War der Mörder des Ex-Premiers ein religiöser Fanatiker? Japan rätselt, es trauert – und hat gewählt: Für die Partei des getöteten Ex-Premiers deutete sich bei Oberhaus-Teilwahl ein Erdrutschsieg an.
Tokio. Japan sucht nach einer Erklärung für das Attentat auf den früheren Premierminister Shinzō Abe und rätselt über die Hintergründe der Bluttat. Verfolgte der geständige Schütze, Tetsuya Yamagami, politische oder auch religiöse Motive? Die Untersuchungsbehörden schweigen sich bislang aus. Angeblich soll er jedoch ausgesagt haben, dass er – anders als zunächst berichtet – keinen persönlichen Groll gegen Abes politische Überzeugung gehegt habe. Es sei auch nicht seine ursprüngliche Absicht gewesen, den rechtskonservativen Ex-Premier zu töten, sondern eher einen religiösen Anführer.
Bei der ersten Vernehmung nach seiner Überwältigung hatte der Attentäter zunächst angegeben, dass er aus Hass auf eine religiöse Gruppierung gehandelt habe, die von Abe angeblich unterstützt wurde. Yamagami erklärte, seine Mutter habe dieser Sekte hohe Summen gespendet und sich dabei finanziell ruiniert. Um welche Organisation es sich handeln könnte, will die Polizei bisher nicht preisgeben. Das Onlinemagazin Gendai Business will aus Ermittlerkreisen erfahren haben, dass es sich um die 1954 gegründete und weltweit umstrittene Vereinigungskirche des verstorbenen koreanischen Sektengründers Sun Myung Moon handeln könnte. Dank einer ihm fast sklavisch ergebenen Gefolgschaft baute der Sektenführer mit deren Zuwendungen aus Geld und Sachwerten ein Imperium auf, das ihn zum Milliardär machte. Seine Sekte rekrutierte in vielen Ländern zahlreiche Mitglieder, auch in Japan. Dabei unterstützte deren antikommunistisch orientierte Guru Moon mehr oder weniger offen konservative politische Ansichten. Auch Abe wurde nachgesagt, dass er der Moon-Kirche sehr freundlich gesinnt war.
Fest steht den japanischen Berichten zufolge, dass in der Wohnung des Täters Sprengstoff gefunden wurde. Die Ermittler gehen davon aus, dass er nicht nur die zweiläufige Schusswaffe gebaut hat, mit der er Abe am Freitag bei einer Wahlveranstaltung in Nara auf offener Straße erschossen hat. Der Ex-Marinesoldat soll in seiner Wohnung auch versucht haben, eine Bombe zu basteln. Was er nach dem Militärdienst seit 2005 beruflich gemacht hat, ist weiterhin unklar.
Es besteht der Verdacht, dass sich das Abe-Attentat auch gegen die einflussreiche Rechte und die der Shinto-Religion verbundene Vereinigung „Nippon Kaiga“ gerichtet habe könnte, zu deren Anhängerschaft auch Abe und mehrere seiner früheren Kabinettsmitglieder gerechnet werden.