Games im Museum

Wie aus Computerspielen (keine) Kunst wird

Ein Videospiel-„Avatar“ im digitalen Dunst: Wer sich hinter der Kunst- und Künstlerfigur La Turbo Avedon verbirgt, wird bewusst im Unklaren gelassen.
Ein Videospiel-„Avatar“ im digitalen Dunst: Wer sich hinter der Kunst- und Künstlerfigur La Turbo Avedon verbirgt, wird bewusst im Unklaren gelassen.La Turbo Avedon
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Drei laufende Ausstellungen in Wien kokettieren – auf sehr unterschiedliche Weise – mit der Bildästhetik von Videospielen. Kann das aufgehen?

Es sind oft die einprägsamsten Momente eines Ausstellungsbesuchs: wenn man unerwartet auf ein Exponat stößt, das irgendwie ins Private geht. Etwa auf Fotos eines Raums, der einem persönlich vertraut ist. Computerspieler, die das Architekturzentrum Wien besuchen, könnten derzeit diese Erfahrung machen: Da prangen an einer Trennwand vier Querformate: Ansichten vage arabisch anmutender Steinbauten vor einem bewölkten Pixelhimmel.

Einschlägig Vorbelastete erkennen sofort: Es handelt sich um Screenshots einer „Map“ (d. h. Spielarena) namens „Dust“ aus dem Ego-Shooter „Counter-Strike“. Für den deutschen Medienkünstler Aram Bartholl gehört ihr klobiges Design längst zum Kulturerbe. „Wie viele Millionen Spielende haben einen Teil ihres Lebens in Dust verbracht?“, fragt der Begleittext zu „Dust Scapes“. Einige: „CS“, 1999 veröffentlicht, ist als kompetitive Online-Vergnügung nach wie vor sehr beliebt. Dass man dem Gaming-Hit, der einst als jugendgefährdendes „Killerspiel“ verschrien war, irgendwann in einer Kunsthalle begegnen würde, hätte man sich als Teenager dennoch nie erträumt.

MQ: Besser bauen mit „Minecraft“

Gaming ist, wie man sagt, „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ – und damit auch im Museum. Immer öfter kokettieren Ausstellungshäuser mit Kultur und Ästhetik eines Pop-Phänomens, das für viele zum Alltag gehört. In Wien kann man sich derzeit gleich dreifach von diesem (nicht mehr ganz taufrischen) Trend überzeugen – in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Einem widmet sich das Architekturzentrum im Museumsquartier mit „Serious Fun. Architektur & Spiele“. Um Gaming geht es hier nur am Rande: Die dicht gedrängte und bunt gewürfelte Ausstellung im Ziegelgewölbe der Alten Halle fasst den Begriff „Spiel“ sehr weit.

Die satirische App London Developers Toolkit untersucht die aufkeimende Skyline phallisch anmutender Wohntürme in ganz London.
Die satirische App London Developers Toolkit untersucht die aufkeimende Skyline phallisch anmutender Wohntürme in ganz London.(c) London Developers Toolkit, You+Pea, 2015

Im Schatten von Brettspielbergen stehen hier (etwas gar viele) entzauberte Puppenhäuser mit ironischem oder düster-satirischem Inhalt, weiter hinten häufen sich leseintensive Dokumentationen von Projekten, die städtebauliche Herausforderungen mit bürgernahen Planspielen zu meistern suchen. Darunter „Block-by-Block-Workshops“ der Vereinten Nationen, die mithilfe des beliebten Bauklotz-Sandkastenspiels „Minecraft“ zwischen Bewohnern, Architekten und Leitern öffentlicher Bauvorhaben vermitteln sollen. Was eher „serious“ klingt als „Fun“.

Mehr Spaß verheißen indessen ein paar Mini-Games à la „Sim City“. Wäre da nicht ihre didaktische Schlagseite: Es geht um Gentrifizierung, Mietdeckel und Immobilienblasen, der marktkritische Spielverlauf scheint vorbestimmt. Da sind Bartholls Bildschirmfotos interessanter. Auch Arbeiten, die anders als vorgesehen auf Videospiele blicken: Alan Butlers Bildstrecke „Down and Out in Los Santos“ fokussiert auf wohnungslose Komparsen in „Grand Theft Auto V“, der Kurzfilm „Operation Jane Walk“ von Leonhard Müllner und Robin Klengel nutzt den Shooter „Tom Clancy's the Division“ für einen Bildungsspaziergang durch New York. Das wirkt fast echter als echt. Wie die sepiagetönten Analogfotos digitaler „In Game“-Fassaden aus einer Dia-Installation von Gareth Damian Martins: So schön können „Deep Fakes“ sein! Auf Witz setzt hingegen „Wait“ von Lindsay Grace – ein Spielautomat, bei dem nur Kontemplation den High-Score bringt: Wer zerstreut durch seine begrünte Welt läuft, verliert. Wer innehält und die grob animierten Blümchen betrachtet, wird belohnt.

Secession: NFT-Kunst zum Mitnehmen

Belohnung winkt auch eifrigen Besuchern der Secession. Hier hat der französisch-algerische Künstler Neïl Beloufa mit seiner Produktionsfirma EBB eine Mitmach-Ausstellung namens „Pandemic Pandemonium“ eingerichtet, die ein aufliegender Info-Zettel mit Nachdruck als „Spiel!!!!“ definiert. Dieses ist von ausnehmender Hässlichkeit, was womöglich Absicht ist: Geht es hier doch um eine Satire auf den NFT-Rausch der Corona-Ära. Man wandelt durch einen verdunkelten, gerasterten und von Beamern bestrahlten Raum. Ringsum Anleitungen für die Aktivierung eines Avatars per QR-Code (Spieleinsatz: fünf Euro), mit dem man an designierten Stationen scheußliche Krypto-Kunst erstellen (und auch erstehen) kann.

EBB & Neïl Beloufa, Pandemic Pandemonium, Ausstellungsansicht, Secession 2022.
EBB & Neïl Beloufa, Pandemic Pandemonium, Ausstellungsansicht, Secession 2022.(c) Oliver Ottenschläger

Wer beim Sichten einer – vor Covid gedrehten – Pandemie-Sitcom brav aufpasst, mit unförmigen „Host“-Skulpturen chattet und beim Konsolenquiz punktet, kann Spielgeld gewinnen und es anschließend im Souvenir-Shop gegen Kunstdrucke Beloufas eintauschen. Diese haben angeblich echten, in Einzelfällen sogar recht hohen Geldwert (von 40 bis 1500 Euro). Abnehmer dafür muss man allerdings selbst finden. Schön wär's – als Entschädigung für den Augenkater, der sich nach einem längeren Streifzug durch diese klickibunte Internetmülldeponie einstellt.

MAK: Eine Kapelle für Digitalkultur

Zur Seelenreinigung empfiehlt sich ein Abstecher ins MAK, wo die Kunstfigur La Turbo Avedon eine Art digitalen Altar hingepflanzt hat. Wer oder was sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, bleibt bewusst im Unklaren – ein Mann, eine Frau, eine Transperson? Oder das Marketingteam von Facebook, das verquaste Guerilla-Werbung für sein Metaverse betreibt? Das überlässt Kunst 3.0 der Fantasie. Ein No-Name ist Avedon nicht: Ihre Arbeiten waren im New Yorker Whitney Museum und im Londoner Barbican Centre zu sehen. „Geboren“ wurde sie als Avatar (sprich: Spielfigur) im Online-Rollenspiel „Second Life“, einem Prototypen zeitgenössischer Virtual-Reality-Welten.

Für ihre Installation „Pardon Our Dust“ hat Avedon ein Kellergewölbe des MAK mit Bildschirmen ausstaffiert, vor denen man sich auf einem Sitzsack niederlassen kann. Was hier im Loop läuft, wirkt wie der Traum einer Videospielfigur: Die Kamera gleitet durch computergenerierte Landschaften – einen Wald, eine Tankstelle –, kommt zur Ruhe, taucht unter Wasser. Menschliche Schemen erscheinen in diffusem Kunstlicht, dazu rezitiert eine hallende, androgyne Stimme ein Gedicht, das auch von einer KI stammen könnte: „Have I loaded once again / Have I fallen out of time“.

Still from Pardon Our Dust, 2022.
Still from Pardon Our Dust, 2022.(c) La Turbo Avedon

Zugleich erglänzt Avedons Antlitz als Ikone, in vierfacher, auch geschlechtlich gespaltener Ausführung: Eine Anspielung auf die Freiheiten, die man in jüngeren Games bei der Erstellung virtueller Identitäten genießt. Im „Web3“ – ein Begriff für Internet-Trends, zu denen auch das Metaverse gehört – ist letztlich alles Äther und Fluidum: Raum, Zeit, Gender, Gestalt. Ob Avedon dazu auch eine „kritische Position“ bezieht, wie es im Ausstellungstext heißt, lässt sich ihrer meditativen Installation kaum entnehmen.

Mit wirklichen Gaming-Erfahrungen hat diese – trotz ästhetischer Parallelen – jedenfalls nur bedingt zu tun. Am Ende führen die erwähnten Ausstellungen, ungeachtet ihrer jeweiligen Qualitäten, zu einer simplen Erkenntnis: Um den künstlerischen Wert von Videospielen zu fassen, muss man sie spielen. Medienferne Adaptionen geben ihren Charakter nicht wieder. Vielleicht steht ja irgendwann ein PC im KHM, auf dem Besucher bei Bedarf „ein bisschen CS zocken“ können (um im Gaming-Jargon zu bleiben). Aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.

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