London wird Anti-EU-Kurs fortsetzen

Liz Truss vor Downing Street 10
Liz Truss vor Downing Street 10REUTERS
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Beide Anwärter aufs Premierministeramt sind überzeugte Brexit-Anhänger. Eine Entspannung im Verhältnis zur EU ist nicht in Sicht.

In der Aufregung um den Tory-Führungskampf ging die Nachricht fast unter: Wenige Stunden nachdem Liz Truss und Rishi Sunak zu den zwei Spitzenkandidaten fürs Premierministeramt gekürt wurden, passierte die umstrittene Nordirland-Vorlage das Unterhaus. Damit hat sie eine wichtige Hürde genommen – und der drohende Handelskrieg mit der EU ist ein Stück näher gerückt. Was in Brüssel besondere Sorge auslösen dürfte: Keiner der beiden Kandidaten für die Nachfolge von Boris Johnson hat offenbar vor, eine Entspannung im Verhältnis zur EU einzuleiten. Besonders die Favoritin, Außenministerin Truss, dürfte in ihrer harten Haltung verharren – immerhin war sie es, die den Streit vom Zaun gebrochen hat.

Die Gesetzesvorlage zum Nordirland-Protokoll, die Truss im Juni vorstellte, wird von der britischen Regierung als ein Versuch verkauft, die Zollprobleme in der irischen See zu beheben. Seit dem Brexit kämpfen nordirische Unternehmen mit zusätzlicher Bürokratie, weil der Handel zwischen dem Festland und der britischen Provinz jetzt Grenzkontrollen unterliegt.

Das hat insbesondere die unionistischen Politiker erzürnt: Sie befürchten, dass Nordirland damit stärker an Irland heranrückt – tatsächlich ist das Handelsvolumen mit der Republik seit dem Brexit dramatisch angestiegen. Die Democratic Unionist Party (DUP) verweigert sich seit Monaten einer Regierungsbeteiligung in Belfast: Erst wenn das Protokoll-Problem beseitigt sei, werde sie eine nordirische Regierung ermöglichen. Auch Liz Truss sagt: „Das Nordirland-Protokoll muss geändert werden, um den hart erkämpften Frieden hier zu sichern.“ Das Problem ist nur: Die Vorlage verstößt gegen internationales Recht, weil es die Bestimmungen des Brexit-Vertrags einseitig kündigt. Die EU hat Vergeltungsmaßnahmen angedroht, sie könnte etwa Zölle auf Importe aus Großbritannien einführen.

Aber Truss hat nicht vor, einen Rückzieher zu machen. Die „Brexit-Heldin“, wie sie von konservativen Medien betitelt wird, gibt sich gern als beinharte Politikerin, die vor Kontroversen nicht zurückschreckt. Zu Beginn des Führungskampfs wiederholte sie: Es sei „die Unnachgiebigkeit der EU“ gewesen, die sie gezwungen habe, das Nordirland-Protokoll zu revidieren. Dazu kommt, dass die Tory-Basis, die über den Regierungschef entscheidet, mehrheitlich aus Brexit-Anhängern besteht. Wenn sie gegenüber der EU mehr Kulanz zeigen würde, könnte sich Truss die Wahlchancen vermasseln.

Ist Sunak ein Beschwichtiger?

Auch ihr Rivale im Führungskampf, Rishi Sunak, ist ein „Brexiteer.“ Als Finanzminister in Johnsons Kabinett seit zweieinhalb Jahren hat er alle Entscheidungen mitgetragen, auch die kontroverse Nordirland-Politik. Allerdings sah man in den vergangenen Wochen eine paradoxe Entwicklung: Liz Truss, die 2016 für den Verbleib in der EU gestimmt hat, gilt heute als Champion des Brexit; Sunak hingegen, der bereits vor sechs Jahren den Brexit unterstützte, muss sich Vorwürfe gefallen lassen, er sei ein zu wenig gefestigter EU-Gegner. Manche unionistischen Politiker nennen ihn einen „Appeaser“, also einen Beschwichtiger, der gegenüber der EU nachgeben wird.

Tatsächlich berichtet die britische Presse, dass Sunak seinen früheren Boss Johnson im Herbst gemahnt habe, den Nordirland-Streit mit der EU nicht zu eskalieren. Auch habe er es nicht so eilig gehabt wie andere Kabinettsmitglieder, das Protokoll zu reformieren. Sorgen über die wirtschaftlichen Folgen dürften diese Zurückhaltung erklären. Im Gegensatz zu Truss, die den EU-Austritt ausschließlich als Chance wahrnimmt, hat Sunak eingestanden, dass der Brexit ökonomischen Schaden angerichtet hat. Im März sagte er, dass die zusätzliche Bürokratie, die Unternehmen bewältigen müssen, die Exporte ein Stück weit hat einbrechen lassen.

Aber gerade weil sich Sunak pragmatischer gibt als Truss, liegt ihm daran, keine Zweifel an seinem Enthusiasmus für den Brexit aufkommen zu lassen. In Brüssel hegt man dennoch die Hoffnung, dass der 5. September, wenn entweder Sunak oder Truss in der Downing Street einzieht, einen Neustart in den bilateralen Beziehungen markiert.

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