Der ökonomische Blick

Sinnstiftende Arbeit oder höheres Gehalt: Was ist Arbeitnehmern wichtiger?

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PflegerinDie Presse (Clemens Fabry)
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Der Kulturanthropologe David Graeber schreibt in seinem Buch „Bullshit Jobs“, dass Arbeitnehmer bereit wären, auf Lohn zu verzichten, wenn sie dafür einer sinnvolleren Arbeit nachgehen können. Hält die These?

Wären Arbeitnehmer bereit, auf Gehalt zu verzichten, wenn sie dadurch eine Tätigkeit ausüben könnten, die der Allgemeinheit hilft? Zu dieser Frage gibt es mehrere Ansichten. Der Kulturanthropologe David Graeber postulierte in seinem Buch „Bullshit Jobs“, dass viele Arbeitnehmer Tätigkeiten verrichten, die sie selbst als sinnlos erachten, selbst wenn sie dafür viel Geld erhalten. Sinnlose Arbeit könne fatale Folgen haben und zu  psychischen Problemen und Frustration führen. Nach dieser These sollten manche Arbeitnehmer bereit sein, auf Lohn zu verzichten, um nicht länger in einem „Bullshit Job“ zu arbeiten und stattdessen einer sinnvollen Arbeit nachgehen zu können.

Eine verwandte Idee greifen die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens auf um zu argumentieren, dass viele Leute auch dann arbeiten würden, wenn sie ein Einkommen ohne Vorbedingung beziehen. Die Befreiung von der Notwendigkeit zu arbeiten würde dafür sorgen, dass sich viele Leute für die Allgemeinheit engagieren würden, z.B. in karitativen Tätigkeiten.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Eine ganz andere Perspektive ergibt sich aber, wenn wir die sogenannten „systemrelevanten“ Berufe betrachten. Während der Covid-19-Pandemie wurde die Arbeit, welche Pflegepersonal oder KassiererInnen im Supermarkt verrichteten, als besonders wichtig für die Allgemeinheit erachtet. Es ergab sich daraus vor allem die Forderung, diese Tätigkeiten besser zu bezahlen. Aus Fairnessgründen wäre es also sogar angebracht, wenn die Leute besser bezahlt werden, die eine für die Allgemeinheit wichtige Tätigkeit ausüben.

In mehreren Studien untersuchen wir, ob Arbeitnehmer bereit sind, auf Gehalt zu verzichten, oder ob sie, z.B. aus Fairnessgründen, mehr Gehalt fordern, wenn ihre Arbeit einen zusätzlichen Nutzen für die Allgemeinheit, z.B. für bedürftige Gruppen wie arme oder kranken Menschen generiert. Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in Deutschland zeigen, dass es Arbeitnehmern durchaus wichtig ist, dass ihre Arbeit einen Beitrag für die Gesellschaft leistet. Allerdings ist dies deutlich weniger wichtig als andere Eigenschaften eines Arbeitsplatzes wie das Gehalt, die Arbeitsplatzsicherheit oder Fortbildungsmöglichkeiten.

Experiment mit Arbeitnehmern und Arbeitslosen

Weiter untersuchen wir in einem Experiment mit Arbeitnehmern und Arbeitslosen, ob Leute eher bereit sind eine Arbeit anzunehmen, wenn diese einen sinnvollen gesellschaftlichen Beitrag leistet. Dazu variieren wir die Beschreibung eines Jobs (den man in einer Stunde erledigen kann) und stellen ihn einmal als besonders sinnvoll und in der Kontrollgruppe als wenig sinnvoll dar. Die Teilnehmer der Studie müssen jeweils angeben, ab welchem Stundenlohn sie bereit wären, den Job anzunehmen. Die Arbeitnehmer geben im Schnitt eine etwas niedrigere Lohnforderung an, wenn der Job besonders sinnvoll war. Im Gegensatz dazu fordern die Arbeitslosen genau dann einen höheren Lohn, wenn der Job als sinnvoll dargestellt wird. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Überlegungen zur Lohngerechtigkeit und Fairness zu einer höheren Lohnforderung dieser Personengruppe führen, insbesondere wenn die Arbeit wertvoll für die Allgemeinheit ist.

Um unterschiedliche Reaktionen auf die Sinnhaftigkeit einer Arbeitsstelle unter Arbeitnehmern festzustellen, können wir leider nicht immer auf Experimente zurückgreifen, da es bei einer Vollzeitstelle (im Gegensatz zu einem einstündigen Job) schwierig ist, ihren Arbeitsinhalt experimentell zu variieren. Wir wenden daher Umfragen an, in welchen wir zuerst in klassischer Weise den sogenannten „Reservationslohn“ erheben, also jene Lohnuntergrenze zu der eine Person bereit ist eine Arbeit anzunehmen. Von diesen Umfragen wissen wir, dass sie das Arbeitsangebot relativ genau erfassen. Im Folgenden verändern wir dann – hypothetisch – eine Arbeitsstelle dahingehend, dass sie für eine Gruppe von Bedürftigen (Arme, Alte und Kranke) zusätzlichen Nutzen generiert. Die Aufgaben dieser Arbeitsstelle für die Arbeitnehmer bleiben die gleichen, aber durch deren Tätigkeiten wird direkt oder indirekt einer Gruppe von Bedürftigen geholfen. Uns interessiert für diese – hypothetische – Situation, ob die befragte Person mehr Gehalt, weniger Gehalt oder das gleiche Gehalt wie bisher fordert.

Breitschaft zum Gehaltsverzicht

In dieser Studie erhalten wir folgendes Ergebnis: 44 Prozent der Befragten wären bereit, auf Gehalt zu verzichten (relativ zu ihrem Reservationslohn) um eine Stelle anzunehmen, bei der die Tätigkeit einen zusätzlichen Nutzen für Bedürftige generiert. Im Schnitt würden diese Befragten auf ca. 1000 Euro verzichten. Diese Zahl ist mit Sicherheit mit Vorsicht zu genießen. Weiter geben 33 Prozent der Befragten an, dass sie von ihrer Mindestlohnforderung nicht abrücken, aber auch nicht mehr Gehalt fordern würden. Schließlich würden 23 Prozent der Befragten einen höheren Lohn fordern, wenn ihre Tätigkeit zusätzlich Bedürftigen hilft. Diese Gruppe würde ihren Reservationslohn sogar um 1200 Euro erhöhen.

Es ergibt sich also grob folgendes Bild auf die zu Beginn gestellte Frage: Eine substantielle Gruppe von Arbeitnehmern ist tatsächlich bereit, auf Gehalt zu verzichten, wenn ihre Arbeit dadurch (noch) sinnvoller für die Allgemeinheit wird. Aber diese Gruppe ist nicht in der Mehrheit. Fairnessüberlegungen scheinen ebenfalls wichtig zu sein. Daher wäre es gerechtfertigt, dass Arbeit, die für die Allgemeinheit wichtig ist, auch dementsprechend entlohnt wird.

Die angeführten Studien wurden zusammen mit Prof. Dr. Iris Kesternich (KU Leuven und Universität Hamburg), Dr. Stefan Schwarz (IAB), Prof. Dr. Bettina Siflinger (Tilburg University) und Thimo De Schouwer (KU Leuven) durchgeführt.

Die Autoren
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