Tumulte

In Kenia liegt nach knappem Wahlergebnis erneut Gewalt in der Luft

Die Polizei schießt Trängengaskartuschen in Richtung Demonstranten in Kisumu.
Die Polizei schießt Trängengaskartuschen in Richtung Demonstranten in Kisumu.APA/AFP/YASUYOSHI CHIBA
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William Ruto wird mit 50,49 Prozent zum Sieger erklärt. Dabei haben mehrere Miglieder der Wahlkommission Zweifel. Die Sorge vor einem neuerlichen Gewaltausbruch in dem von einer wirtschaftlichen und sozialen Krise geplagten Land ist groß.

Es ist ein äußerst knappes Ergebnis. Der kenianische Wahlleiter erklärte den stellvertretenden Präsidenten William Ruto mit 50,49 % Prozent der Stimmen am Montag zum Sieger eines knappen Präsidentschaftsrennens. Doch einige hochrangige Wahlbeamte lehnten das Ergebnis ab und schürten damit Ängste vor weit verbreiteter Gewalt, wie sie nach früheren umstrittenen Wahlen zu beobachten war.

Denn nur Minuten bevor der Vorsitzende der Wahlkommission Wafula Chebukati den Sieg Rutos bekannt gab, erklärte seine Stellvertreterin Juliana Cherera gegenüber den Medien an einem anderen Ort, dass sie und drei weitere Kommissionsmitglieder die Ergebnisse nicht anerkennen. Das wären also vier Kommissionsmitglieder in einer aus sieben Personen bestehenden Kommission. "Wir sind nicht in der Lage, uns die Ergebnisse zu eigen zu machen, die bekannt gegeben werden, weil diese letzte Phase der allgemeinen Wahlen so undurchsichtig ist", sagte sie.

Geschichte der Gewalt

Die Wahlkommission hat zahlreiche Kontrollmechanismen eingeführt, um Streitigkeiten zu verhindern, wie sie nach den Wahlen 2007 zu Gewaltausbrüchen führten, bei denen mehr als 1200 Menschen getötet worden waren. Auch im Jahr 2017 wurden mehr als 100 Menschen bei Unruhen getötet, nachdem der Oberste Gerichtshof das ursprüngliche Ergebnis wegen Unregelmäßigkeiten im Wahlprozess annulliert hatte.

Angesichts der Befürchtung, dass die Vorwürfe der Wahlfälschung zu blutigen Szenen wie nach den Präsidentschaftswahlen 2007 und 2017 führen könnten, forderte die Vizepräsidentin der Wahlkommission Cherera die Parteien auf, etwaige Streitigkeiten vor Gericht auszutragen.

Diplomaten und internationale Beobachter wurden noch vor Chebukatis Rede aus der Auszählungshalle geführt, als es zu Handgreiflichkeiten kam. Kenias auf Dollar lautende Staatsanleihen fielen nach Angaben von Tradeweb um bis zu 2,9 Cents pro Dollar.

UNO appelliert an juristische Lösung

Die Vereinten Nationen haben die Ergebnisse zur Kenntnis genommen, sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric, und ermutigte alle Kandidaten, "auf legale Kanäle zurückzugreifen, um etwaige Probleme zu lösen".

Die US-Botschaft in Kenia forderte alle Parteien auf, zusammenzuarbeiten, um die Bedenken gegen die Wahl friedlich auszuräumen. "Wir bitten alle politischen Parteiführer, ihre Anhänger weiterhin aufzufordern, friedlich zu bleiben und auf Gewalt zu verzichten", hieß es in einer Erklärung.

Ruto will in die Zukunft blicken

Nachdem er zum Sieger erklärt worden war, bezeichnete Ruto die Wahlkommission als "Helden": "Es gibt keinen Blick zurück. Wir blicken in die Zukunft. Wir brauchen alle Hände an Deck, um voranzukommen". Der 55-Jährige hatte die Klassenunterschiede in Kenia zum Kernstück seiner Kampagne für die Wahl zum fünften Präsidenten des Landes gemacht und versprochen, die "Stricher" mit niedrigem Einkommen zu belohnen.

Er verachtete auch Kenias politische Dynastien - seinen Gegner Raila Odinga und Präsident Uhuru Kenyatta, den Sohn des ersten Vizepräsidenten bzw. des Präsidenten des Landes. Kenyatta, dessen Amtszeit als Präsident abgelaufen ist, hatte sich nach der letzten Wahl mit Ruto überworfen und diesmal Odinga unterstützt, der seinen fünften Versuch unternahm, die Präsidentschaft zu erringen.

Wirtschaftliche und soziale Krise

Nach seiner Amtsübernahme wird Ruto mit einer wirtschaftlichen und sozialen Krise in Ostafrikas fortschrittlichster Volkswirtschaft konfrontiert sein, in der die armen Kenianer, die bereits unter den Auswirkungen von Covid-19 leiden, von den weltweit steigenden Lebensmittel- und Kraftstoffpreisen betroffen sind.

Die schlimmste Dürre seit 40 Jahren hat den Norden des Landes verwüstet, sodass 4,1 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, während die Verschuldung des Landes in die Höhe geschnellt ist.

Odinga will abwarten

Odinga nahm nicht an der Verkündigung des Wahlsiegers teil. Seine Verbündete Martha Karua twitterte später: "Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist."

Saitabao Kanchory, nationaler Chefvertreter von Odingas Bündnis Azimio La Umoja ("Erklärung der Einheit"), erklärte gegenüber Reportern vor dem Auszählungszentrum, man werde "Wafula Chebukati ... vor dem kenianischen Volk zur Rechenschaft ziehen, um eine freie, faire und glaubwürdige Wahl durchzuführen."

Tumulte in den Kibera-Slums und in Kisumu

In den Kibera-Slums in Nairobi und Kisumu, beides Odinga-Hochburgen, war die Reaktion unmittelbar. Mehrere schwarze Rauchschwaden stiegen in den Straßen auf. Auch in Kisumu im Westen des Landes verbrannten Menschen aus Protest Reifenstapel. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menschenmenge zu zerstreuen.

In Kisumu rief Gouverneur Anyang' Nyong'o zur Ruhe auf, nachdem die Proteste in Teilen der Stadt am See nach der Bekanntgabe von Rutos Sieg in Gewalt umgeschlagen waren. Er erklärte, die Führung von Odingas Azimio-Bündnis plane eine Reaktion, um "Gerechtigkeit" für Odinga zu gewährleisten.

Unter Rufen wie "Wir brauchen Raila jetzt!", "Chebukati muss weg!" und "Kein Raila, kein Frieden!" hupten Motorradfahrer und bliesen in Vuvuzelas und Trillerpfeifen.

Feiern in Rutos Heimatort

Im Gegensatz dazu war die Stimmung in Eldoret - Rutos Heimatort - ekstatisch. "Wir sind sehr glücklich. Ich glaube an den Führer, der gewählt wurde, und ich glaube an die IEBC (die Wahlkommission)", sagte der 25-jährige Kenneth Kibitok aus Eldoret.

"Es geht ihm um die Basis. Die Leute von unten werden hier oben sein", sagte Kibitok, der den ganzen Tag auf einem Teil des Bürgersteigs von Eldoret verbracht hatte.

(Reuters)

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