Atomenergie

Wie die Atomindustrie in der EU und den USA von russischem Uran abhängt

AKW MOCHOVCE
AKW MOCHOVCE(c) APA/MILENKO BADZIC (MILENKO BADZIC)
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Uran aus Russland für die EU und USA ist für die westliche Atomindustrie von zentraler Bedeutung, Sanktionen in diesem Bereich sind kein Thema.

Im niedersächsischen Emsland an der deutsch-niederländischen Grenze dauert der deutsche Atomausstieg etwas länger; nein, nicht wegen des AKW Emsland, dessen Laufzeit bis Mitte April verlängert worden ist. Sondern wegen der Brennelementefabrik, die (wie auch die Urananreicherungsanlage in Gronau) vom Ausstieg überhaupt ausgeklammert worden ist. An diesem Wochenende war das AKW mit Ablaufdatum heruntergefahren, um die Brennelemente umzuschichten. Erst das ermöglicht den „Streckbetrieb“.

Mit den Demonstrationen am Wochenende und (und weiteren in der Zukunft) wollen die Atomkraftgegner ihre Stimme gegen jene erheben, die den Weiterbetrieb des AKW verlängern oder überhaupt den Atomausstieg revidieren wollen. Die Aktion richtet sich aber auch gegen die Brennelementefabrik Lingen.

Sie betreibt Framatome, die im Mehrheits-Eigentum der Eléctricité de France (EdF) steht - diese wiederum ist zu 84% im Eigentum des frazösischen Staats. Seit Jahrzehnten arbeiten die Franzosen eng mit dem russischen Konzern Rosatom zusammen. Sowohl EdF als auch Rosatom sind am Weltmarkt für Atomkraftwerke dominante player. Hier geht es nicht nur um Planung und Bau der Kraftwerke, sondern es geht vor allem um den Grundstoff für diese Aktivitäten: um das Uran. Und das kommt zu einem erheblichen Teil aus Russland und Kasachstan. Die kasachischen Uranminen stehen wiederum zu einem Gutteil in russischem Besitz. Rosatom ist ein weltweit verzweigter Atomkonzern, der in russischem Staatseigentum steht und aus dem ehemaligen Atomministerium entstanden ist.

90.000 in der russischen Kernwaffen-Industrie

Das österreichische Umweltbundesamt hat eine Analyse des russischen Konzerns ausgearbeitet. Demnach habe der Konzern weltweit etwa 275.000 Mitarbeiter; 90.000 von ihnen seien im russischen Kernwaffenkomplex tätig. Der Rosatom-Konzern ist weit verzweigt und umfasst etwa 300 Unternehmen. Jahresumsatz: 17,5 Milliarden Euro (2020).

In Europa ist der russische Konzern stark verankert, schon allein durch die Atomkraftwerke im mittleren Osteuropa: Die Atommeiler in der tschechischen Republik sind russischen Designs, ebenso jene in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Lettland. Hier bedarf es russischer Brennstäbe – im tschechischen AKW Temelín hat es einen Versuch mit Westinghouse-Brennstäben gegeben, wobei allerdings Probleme aufgetaucht sind und die Betreiber wieder auf die russischen Brennstoffe umgesattelt haben. Betreiber dieser Kraftwerke sind jedenfalls in hohem Maße auf Ersatzteile aus Russland angewiesen.

Außerdem hat Ungarn mit Rosatom vereinbart, in Paks das bestehende Atomkraftwerk zu erweitern. Federführend soll laut Vertrag Rosatom sein, selbst die Finanzierung würde durch einen russischen Staatskredit sichergestellt werden. Den haben (noch vor Kriegsbeginn) Ungarns Premier Viktor Orban und der russische Präsident Wladimir Putin ausgehandelt.

Die Anreicherung von Uran wird zu einem guten Viertel von den Rosatom-Töchtern Tenex und TVEL durchgeführt; das Uran selbst, das für europäische Atomanlagen benötigt wird, kommt zu einem Fünftel aus russischen Uran-Minen und zu 19% aus Kasachstan. Der UBA-Report bezieht sich dabei auf die Berichte der Euratom Supply Agency. In den Rosatom-Konzern wurde schließlich auch die deutsche Nukem Technologies GmbH übernommen, die in den Bereichen Rückbau, Management von radioaktiven Abfällen sowie Ingenieurtechnik tätig ist.

USA: 49% aus Russland und Kasachstan

In den USA, die mehr als 90% des für den Betrieb der Atomkraftwerke nötigen Urans importieren, besteht eine hohe Abhängigkeit von Rosatom. Die US Energy Information Administration (eine Bundesbehörde, die nach der Energiekrise 1973 gegründet worden ist) meldet, dass 14% des Urans aus Russland stammen und 35% aus Kasachstan, zusammen also fast die Hälfte des Bedarfs. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2021.

Die USA haben 1992 einen Vertrag mit dem damaligen russischen Atomministerium (MiniAtom), aus dem Rosatom hervorgegangen ist, über Uran-Lieferungen geschlossen. Im Oktober 2020 wurde der Vertrag letztmals geändert; unter anderem wird die Importmenge aus Russland gedeckelt. Der Deckel lag 2022 bei 20%, steigt heuer auf 24% und sinkt in den Folgejahren auf 20%, ab 2028 dann auf 15%. Der Vertrag läuft bis 2040.

Eine besondere Rolle in Nordamerika spielt der Atomkonzern „Uranium One“, in den Rosatom seit den 1990er Jahren step by step eingestiegen ist. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Kanada und ist mittlerweile zur Gänze Teil des russischen Atomkonzerns. Uranium One besitzt Uran-Minen in Kasachstan, Namibia und Tansania, bis 2021 auch in den USA und ist außerdem im italienischen Markt für Bio-Treibstoffe und beim Lithium-Abbau in Argentinien präsent.

Von Sanktionen gegen den russischen Atom-Multi ist nichts zu hören. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin heißt es dazu: „Derzeit besteht kein Ein- oder Ausfuhrembargo der EU gegen Russland für Kernbrennstoffe zur friedlichen Nutzung. Auch erweiterte Deklarationspflichten sind aktuell nicht vorgesehen.“ Und weiter: „Über die Sanktionen gegen Russland entscheidet ausschließlich die Europäische Union. Die Beratungen zu diesem Thema unter den EU-Mitgliedstaaten dauern an. Unabhängig von der Frage einer Sanktionierung setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die europäische Abhängigkeit von Russland im zivil-nuklearen Bereich zu reduzieren.“

Aus dem US-State Department wird in einer schriftlichen Stellungnahme verlautbart: „Grundsätzlich spekulieren wir nicht über etwaige künftige Sanktionen. Aber wir trachten auch weiterhin danach, die Folgen für den brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verschärfen."

Wir kehren zurück nach Niedersachsen, zurück zu der Protestaktion am Wochenende, die sich auch gegen das Zusammenrücken von Framatome und Rosatom richtet. Wie weit fortgeschritten sie jetzt schon ist, lässt nicht wirklich exakt beurteilen. Es gibt einerseits Uran-Importe, die direkt aus Russland bzw. Kasachstan nach Lingen gebracht werden (meist mit dem Frachter Mikhail Dudin). Sie scheinen in der Statistik auf. Durchaus üblich ist aber auch andererseits, dass AKW-Betreiber das Uran selbst kaufen; dann verwischen sich Spuren.

Strategische Allianz mit Rosatom

Die Demonstranten wollen jedenfalls, dass das Werk in Lingen zusperrt. Framatome dagegen liebäugelt mit einer Betriebserweiterung. 2017, drei Jahre nach der Annexion der Krim durch Russland, haben die beiden Atomriesen ein Memorandum of Understanding über Zusammenarbeit unterzeichnet, im Dezember 2021 dann ein „strategisches Kooperations-Abkommen“ geschlossen. Und nun, im Winter 2022/23 möchte Framatome, Hand in Hand mit Rosatom, das Business der Brennelementefabrik ausweiten.
Sanktionen sehen anders aus.

Die Demonstranten wollen jedenfalls, dass das Werk in Lingen zusperrt. Framatome dagegen liebäugelt mit einer Betriebserweiterung. 2017, drei Jahre nach der Annexion der Krim durch Russland, haben die beiden Atomriesen ein Memorandum of Understanding über Zusammenarbeit unterzeichnet, im Dezember 2021 dann ein „strategisches Kooperations-Abkommen“ geschlossen. Und nun, im Winter 2022/23 möchte Framatome, Hand in Hand mit Rosatom, das Business der Brennelementefabrik ausweiten.

Sanktionen sehen anders aus.

>> Ausfuhrgenehmigungen für Uran

>> Strategische Allianz zwischen Framatome und Riosatom

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