Posthum-Release

Erinnerungen an Wanda-Keyboarder Christian Hummer, und eine erste Posthum-Single

Cover der ersten Postum-Single "Fliegen"
Cover der ersten Postum-Single "Fliegen" beigestellt
  • Drucken

Bekannt war er vor allem als Wanda-Keyboarder, dabei hatte er zuletzt ein ganz eigenes Projekt. Am 3. Februar erscheint die erste Single nach seinem Tod. Persönliche Erinnerungen an den Multiinstrumentalisten.

Christian und ich sprachen mehrheitlich über Essen. Suchte ich ein Wiener Lokal, stand er mit drei bis vier Tipps pro nationaler Küche zur Seite. Ich notierte dann fleißig, eingefahren bin ich damit nie. „In dir ist echt ein Gourmet-Redakteur verloren gegangen“, schrieb ich einmal, und spielte damit auch auf seine eloquente Ausdrucksweise an. „Ja, schleus' mich ein beim Schaufenster“, witzelte er. Ich hatte elf Tage zuvor meinen Job als Redakteurin angetreten. Musik war nie großes Thema zwischen uns, waren wir in kleiner Runde bei ihm zu Hause, überließ er mir mal mehr, mal weniger erfreut die Bluetooth-Box. Ich spielte dann, abhängig von Uhrzeit und Alkoholpegel, meine Guilty Pleasures. (Jene Titel, die man eigentlich nur heimlich unter der Dusche hört, niemals aber auf einer Party anmachen würde.) Der sonst so strenge Kritiker verurteilte mein Faible für weniger gehaltvolle Musik nie, wohl auch, weil seine Freundin und ich zu viel Spaß damit hatten. Wie oft ich von ihm Geschriebenes lautstark unter der Dusche hörte, wusste er nicht. Zwar war ich bei fast jedem seiner Konzerte, als einer seiner Fans wollte ich mich aber schon deshalb nicht outen, weil er als Keyboarder der österreichischen Band Wanda genügend hatte. 

Kennengelernt habe ich Christian, als er schon längst an seinem Solo-Projekt Loeweloewe bastelte. Stand er mit Wanda vor 15.000 Menschen auf großen Bühnen, so stellte er sich mit seiner eigenen Band wieder in Gürtelbars, spielte vor einer Handvoll Leuten, wovon ein Großteil Bekannte waren wie ich. Das begeisterte mich. Dieses mühelose nochmal „von unten anfangen“, wenn auch mit gewissem Startvorteil. Im August 2021 erschien die erste Single „Lauter Als Die Stimme Im Kopf“. Melancholisch im Text, hoffnungsvoll (und leicht psychedelisch) im Klang. Darauf folgte „Stop Lift Stop“ mit dadaeskem Text, hellem Backing-Gesang und prominenter Gitarre. Es sollten noch viele Singles werden, und eine EP im Herbst. Im September 2022 starb Christian nach schwerer Krankheit.

Stückweise am Leben

Seine Schwester Marie Hummer will ihn und sein Werk „weitertragen“, seine Songs vollenden, nach und nach veröffentlichen. Die erste Posthum-Single „Fliegen“ erscheint am 3. Februar. Als ich sie Mitte Jänner in einem Café im Siebten Wiener Gemeindebezirk treffe, erzählt sie mir von dem Prozess, der Arbeit mit Christians Stimme und wieso sie nicht den Anspruch hat, dass ihr Bruder „es genau so gewollt hätte“. Fast täglich soll ihr Christian Ausschnitte von neuen Liedern, Textzeilen und Fragen dazu geschickt haben, immer wieder standen sie gemeinsam im Studio. Sie weiß genau, wie er gearbeitet hat. Meistens, so habe auch ich die Geschwister wahrgenommen, waren sie einer Meinung. „Es gab aber auch Momente, in denen er eine Meinung hatte, die ich nicht nachvollziehen konnte, die aus dem Nichts kam und absurd war für meine Ohren. Die Gefahr, dass ich Änderung vornehme, die Christian urschlimm fände, besteht“, so Marie. Wer die beiden mal zusammen erlebt hat, weiß allerdings, dass Christian seiner Schwester fraglos alles - auch die Songs - guten Gewissens in die Hände gelegt hätte. Auch führt sie das gemeinsam gegründete Musiklabel Radio International weiter.

„Fliegen“ war wohl das letzte Projekt, an dem Christian aktiv gearbeitet hat. An den meisten Liedern arbeitete er über Jahre, dieses hingegen war in seiner Rohfassung schnell niedergeschrieben. Zusammen mit Raphael Krenn, selbst Musiker und Produzent, stellte Marie das Lied in den letzten Monaten fertig. Sie hätte es alleine nicht geschafft, emotional wie technisch. „Zum einen bin ich euphorisch und hab Freude, an den Liedern zu arbeiten. Währenddessen bin ich immer sehr konzentriert, aber danach, wenn ich wieder rausgehe, fährt es mir immer ziemlich ein. Man fühlt sich kurze Zeit wieder so verbunden und es ist schwer danach wieder in den Alltag reinzufinden.“ 

Einblick in die Gefühlswelt

Im Gegensatz zu den rockigen Gitarrenwellen in „Stop Lift Stop“ ist „Fliegen“ geprägt von sanfter Klaviermelodie, die kurz Schlagzeug und Bass weicht, bevor sie ebenso sanft wieder einsetzt. „Man muss beim Bearbeiten der unfertigen Demos ziemlich radikal denken“, sagt Marie, „Hat er die eine Tonspur stummgeschaltet, weil er sie gerade nicht gebraucht hat oder fand er sie scheiße?“ Textlich gibt die erste Posthum-Single Einblicke in Christians Gefühlswelt und seine „sehr getriebene Persönlichkeit“, wie Marie es nennt. So wie es in der Debüt-Single eine andere Person ist, die ihn von inneren Zwängen befreit („Sei bitte lauter als die Stimme in meinem Kopf“), ist es hier das Fliegen („Beim Fliegen steht die Zeit still/Existenz ist nur ein kleiner Ort/Ich bin weder da noch bin ich dort/Alle Zwänge sind auf einmal fort“). „Es hat immer dieses andere gebraucht, damit er kurz aus sich selbst raus konnte.“ Christian hätte sich ihr gegenüber schwergetan, die Handlung des Liedes zu erklären, auch weil sie „aus dem Inneren“ kommt.

Christian hat seine Texte überhaupt sehr ungern erklärt, auch um den Interpretationsspielraum der Hörenden nicht zu schmälern. Für seine Schwester beinhaltet „Fliegen“ trotzdem eindeutig eine Leben-Tod-Metapher: „Das hat er mir zwar so nicht gesagt, aber es erinnert mich immer an einen Moment von früher. Ich hatte damals eine Existenzkrise, hatte Angst, zu sterben, und Christian meinte damals zu mir: ,Naja zuerst lebt man halt, da ist man eh nicht tot und dann ist man tot und weiß eh nicht, dass man tot ist. Wo ist der Problem-Moment?’. Daran erinnere ich mich bis heute.“ Was ein bisschen an Georg Kreislers Lied „Das Beste“ erinnert („Und wie gesagt, ich finde es das Beste/Dass ich nicht weiß, ob ich schon tot bin oder nicht“), entsprach zwar nicht dem, was Christian Jahre später selbst erlebt hatte. Aber seine Schwester sah bis zuletzt beide Teile in ihm: den, dem alles ein bisserl egal war und den extrem schwermütigen. „Fliegen“ unterstreicht beide auf ihre Art.

Alle drei Monate soll von nun eine Single von Christian kommen, an seinem ersten Todestag dann ein ganzes Album. Ein großes Tributekonzert soll außerdem stattfinden. Mein persönliches Lieblingslied von ihm ist „Teleskop“. Irgendwann bis September wird auch das freilich released, derweil kann man eine private Live-Aufnahme des Stücks auf dem Instagram-Account von Radio International anhören. 

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.