Nachruf

Für das Theater gelebt und gestritten: Jürgen Flimm ist tot

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Regisseur und Intendant Jürgen Flimm hat das deutsche Theater geprägt. Von 2006 bis 2010 leitete er auch die Salzburger Festspiele. Nun ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.

Jürgen Flimm ist tot. Der deutsche Theater- und Opernregisseur ist 81-jährig gestorben, wie die Intendanz der Berliner Linden-Oper am Samstagabend mitteilte. An dem traditionsreichen Berliner Haus war Flimm an der Seite des Musikdirektors Daniel Barenboim lange Zeit als Intendant tätig. Hierzulande kannte man Flimm als Schauspielchef und einige Zeit auch als Intendanten der Salzburger Festspiele. Dort hat er seit 2001 Führungsfunktionen innegehabt, schied aber dann 2010 ein wenig früher als geplant aus seinem Amt. Dem Umzug nach Berlin waren einige Auseinandersetzungen vorausgegangen, was bei Flimm nicht ungewöhnlich war. Denn er war einer der Streitbarsten seiner Zunft - aber, anders als bei manch anderem aufbrausenden Künstler konnte man mit ihm ausgiebig und nachhaltig diskutieren. Wenn sich sein Zorn gelegt hatte, konnte man ihn zuweilen sogar vom Gegenteil dessen überzeugen, das er zuvor wortreich vertreten hatte. Also, zumindest beinah. Jedenfalls fand man in der Regel Kompromisse, nach denen sich alle Parteien noch in den Spiegel schauen konnten.

So waren auch Flimms Inszenierungen angelegt, vor allem jene im Sprechtheater, wo nicht zu viel szenische Dissonanzen mit musikalischen Sachverhalten entstehen konnten. Auch als Regisseur hat Flimm nämlich sein Gegenüber, das Publikum, auf die Palme bringen können; regelmäßig hat er es aber vor Fallen des Vorhangs wieder heruntergeholt: An dem, was er auf die Bühne brachte, war doch immer etwas dran. Das mussten selbst Skeptiker zugeben. Es hatte wohl auch damit zu tun, dass er während der Proben gern aufnahm, was ihm seine Schauspieler anboten. Er konnte vieles „geschehen lassen“. Am Ende ließ sich eine typische Flimm-Produktion, selbst wenn sie einen zunächst vor den Kopf stoßen konnte, gedanklich doch mit der Textvorlage harmonisieren.

Von wie vielen Regisseuren ließe sich dergleichen heute sonst noch behaupten?

Liebe zum Theater von Kindesbeinen an

Jürgen Flimm war quasi im Theater aufgewachsen. Wie so ein Betrieb funktioniert, hat er von Kindesbeinen an studieren dürfen, denn der Vater war praktischer Arzt in Köln und machte regelmäßig am Theater Dienst. Vom Regieassistenten an den Münchner Kammerspielen wurde Flimm in den späten Sechzigerjahren bald zum Regisseur und übernahm rasch auch Chef-Positionen in den Direktionsetagen: Vom Oberspielleiter im Hamburger Thalia-Theater wurde er zum Intendanten des Kölner Schauspielhauses, um 1985 als künstlerischer Leiter des Hauses nach Hamburg zurück zu wechseln. Dort schrieb er nicht nur mit legendären Regiearbeiten - etwa Tschechows "Platonow" und "Onkel Wanja" Theatergeschichte, sondern auch als Animator bedeutender Kollegen. Robert Wilsons Erfolgsstück "Black Rider" kam in Flimms Ära zur Uraufführung. Und in Salzburg war es Flimm, der als Schauspiel-Chef das "Young Directors Project" initiierte, das junge Regisseure ins Festspiel-Rampenlicht rückte.

Neugierig, wie er war, hat sich Flimm auch stets für das spezifische kulturelle Umfeld einer Institution interessiert, an der er tätig war. Bei den Salzburger Festspielen waren es denn auch vor allem die Produktionen österreichischer Dramatiker, mit denen er Schlagzeilen machte, allen voran Ferdinand Raimunds "Bauer als Millionär" und Nestroys "Mädel aus der Vorstadt". Dass sich der deutsche Vorzeige-Regisseur mit dem österreichischen Schauspiel-Nationalheiligtum Otto Schenk so gut vertrug, beweist, wie weit Flimms Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit gingen.

International gefragt

Flimm hat überdies beinah an allen bedeutenden Opernhäusern inszeniert, zahlreiche Produktionen mit Nikolaus Harnoncourt in Salzburg und Zürich, wichtige Premieren von der Mailänder Scala bis zur New Yorker Met, wo man seinen "Fidelio" als "Inszenierung des Jahres" feierte. In Wien war vermutlich sein spektakulärstes Projekt die Produktion von Gounods "Romeo und Julia" in der Ära Holender, ein bemerkenswerter Versuch einer nur auf die Personenführung konzentrierten Theaterarbeit ohne Kulissen: Auf der Bühne standen lediglich Beleuchtungstürme.

Flimm war einer der Auserwählten, die in Bayreuth den "Ring des Nibelungen" inszenieren durften, hat es also auch in Sachen Wagner bis ins Allerheiligste geschafft, mit einer Arbeit, deren Details man heftig diskutieren durfte, auch mit ihm selbst und ausführlich. Denn dass Theater relevant und heutig sein muss, dass es also auch zu kräftigen Meinungsverschiedenheiten führen sollte, davon war er zeitlebens überzeugt. Dafür hat er gestritten. Manchmal auch mit mir. Danke dafür!

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