Die Zivilgesellschaft macht mobil, um Bebenopfern beizustehen. Die türkische Regierung fürchtet deshalb einen Machtverlust - wenige Monate vor der Wahl.
Istanbul. Normalerweise füllt Haluk Levent bei seinen Rockkonzerten in der Türkei große Arenen. Derzeit ist der Musiker aber Vollzeitkatastrophenhelfer. Er hat seine private Hilfsorganisation Ahbap mobilisiert, um Rettungsteams und Hilfsgüter ins Erdbebengebiet zu schicken. Als einer der bekanntesten Stars der Türkei erhält Levent viele Spenden von anderen Prominenten – so lässt Fußballmegastar Cristiano Ronaldo eines seiner Trikots zugunsten von Levents Organisation versteigern.
Wie Levent sammeln Tausende Türken in Nachbarschaftsinitiativen für die Erdbebenopfer und schicken Lastwagen los. Auch Stadtverwaltungen aus allen Landesteilen entsenden Helfer. Der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist das Engagement nicht unbedingt recht.
Der 54-jährige Levent informiert die Öffentlichkeit per Twitter ständig über eingehende Spenden, die von Sportlern, Künstlern und selbst von regierungsnahen Unternehmern kommen. Über Twitter veröffentlicht er auch Hinweise, wo besonders dringend Hilfe gebraucht wird und wo Obdachlose einen Schlafplatz finden können. Twitter dient ihm als Plattform, um Vermisste und ihre Verwandten zusammenzuführen. Auch für andere Helfer ist der Kurznachrichtendienst als Kommunikationsmittel unersetzlich. Deshalb reagierte Levent äußerst verärgert, als die Behörden am Mittwoch den Zugang zu Twitter in der Türkei drosselten; Ankara setzte die Beschränkungen in Kraft, um Twitter zu einem strengeren Vorgehen gegen „Desinformation“ in Kommentaren nach dem Erdbeben zu bewegen. Twitter rette Leben, schimpfte Levent.