Die Türkei sucht nach Schuldigen für die Erdbebenkatastrophe. Bei den Betroffenen steigt der Zorn: Warum ließ der türkische Staat illegale Bauten zu? Ein Lokalaugenschein.
Mahmut Özdemir sieht mit versteinerter Miene den Aufräumarbeiten an einer Einsturzstelle im südostanatolischen Diyarbakir zu. Özdemir wartet schon lang nicht mehr auf seine Angehörigen – sie sind vor Tagen tot aus den Trümmern gezogen worden. Trotzdem harrt der bärtige Mann in der klirrenden Kälte aus, um die Arbeiten zu beobachten. Sein Cousin, der mit Frau und Kindern hier starb, hatte die Eigentümer des Gebäudes verklagt, erzählt er, weil sie acht Stützpfeiler im Keller durchgesägt hatten, um eine Tiefgarage einzubauen. Vergangenes Jahr war das, der Prozess zieht sich seither ergebnislos hin, während der Kläger mit seiner Familie bereits begraben ist.
Fast 32.000 Todesopfer sind bei der schlimmsten Katastrophe der jüngeren türkischen Geschichte bisher gezählt worden, doch es dürften noch mehr werden, weil noch Tausende Menschen vermisst werden. Der Unternehmerverband Türkonfed schätzt die Gesamtzahl der Todesopfer auf mehr als 70.000. Hunderttausende sind obdachlos – selbst wenn ihre Häuser noch stehen, sind viele so beschädigt, dass sie unbewohnbar sind. Allein in Diyarbakir leben Tausende Erdbebenopfer in unbeheizten Zelten.
Die Justiz wird aktiv
Beamte des Bauministeriums prüfen in Diyarbakir die Schäden an den Häusern. „Hier in dieser Gasse sieht es eigentlich nicht schlecht aus“, sagt ein Beamter in orangefarbener Sicherheitsweste, der in der Altstadt mit einem Kollegen von Tür zu Tür geht. „Aber in der Umgebung haben wir schon viele Schäden entdeckt.“ Unbewohnbare Häuser werden mit roter Farbe gekennzeichnet und später versiegelt, damit sie keiner mehr betritt.