Comics

Liv Strömquist über Astrologie und das Zeitalter radikaler Unsicherheit

Liv Strömquist ist der Popstar der Comic-Szene. Zuvor widmete sie sich Themen wie der Schönheit und dem weiblichen Körper. In ihrem neuen Buch interpretiert sie nun die Sterne.

Schützen dürfen sich auch als „Sternzeichen Trotzkopf“ erachten, geht es nach Liv Strömquists Typologie. „Nervt seine Umgebung zu Tode mit seinen stetigen Widersprüchen“, führt sie aus. Taylor Swift wäre da ein prominentes Beispiel. Das mag zwar abschreckend wirken, aber lang nicht so aufreibend wie das Sternzeichen Fische vulgo „Schluckspecht“. Immerhin „liegt der auf dem Teppich und bereut voller Inbrunst Sachen von vor acht Jahren.“ Man denke etwa an Ovid, Anaïs Nin oder Lou Reed. Da umgibt man sich lieber mit Waagen wie Kim Kardashian, die, angenehm wie ein Sommerwind, immer das Richtige sagen, damit sich am Schluss niemand aufregt. In ihrem jüngsten Band widmet sich die schwedische Autorin mit spitzer Feder und viel Ironie dem weit verbreiteten Interesse an Astrologie: ein thematischer Ausreißer für das Aushängeschild der alternativen Comicszene. „Als Jugendliche interessierten meine Freunde und ich uns schon mal mehr für Astrologie, hatten unseren Spaß damit, machten uns darüber lustig. In den letzten Jahren begegnete mir das Thema wieder vermehrt, etwa über soziale Medien. Da entstand in mir der Wunsch, diesen Umstand zu analysieren“, meint Strömquist.

„Astrologie“
„Astrologie“Liv Strömquist

Irrwitzige Exkurse

Über Schweden hinaus wurde Strömquist mit dem grafischen Essay „Der Ursprung der Welt“ bekannt, der 2017 in deutscher Sprache erschien. Darin beschäftigt sie sich mit der Vulva, der Vagina und ihren Verschiedenheiten, den Gründen, warum das weibliche Geschlechtsorgan so lang tabuisiert, falsch benannt oder dargestellt wurde; warum etwa der Aufbau der Klitoris erst 1998 entdeckt wurde oder Menstruation auch heute noch oft schambehaftet ist. In pointierten Comics gibt sie die absurden Theorien großer Denker wie Sigmund Freud oder etwa JeanPaul Sartre zum Thema wieder, die das gesellschaftliche Bild des weiblichen Körpers mitformten: „Das weibliche Geschlechtsorgan ist (...) ein Ruf nach Sein wie überhaupt alle Löcher“, meinte der französische Existenzialist etwa.

„Ursprung der Welt“
„Ursprung der Welt“Liv Strömquist

Profunde Kulturkritik verwebt sie zu kompaktem Stoff mit popkulturellen sowie historischen Erzählungen und irrwitzigen Exkursen, etwa ins Weltall, wo sich Außerirdische über die rückständigen Fähigkeiten der Menschheit wundern, nachdem sie nicht einmal anatomisch korrekte Zeichnungen des weiblichen Körpers abliefern können. Dabei ist die Beliebtheit ihrer Bücher nicht nur der umfassenden Recherchearbeit oder ihrem undogmatischen und zeitgemäßen Zeichenstil zu verdanken. Die Autorin hat auch ein Händchen für Themen, die viele Menschen beschäftigen. In „Ursprung der Liebe“ etwa räumt Strömquist mit modernen Beziehungsmodellen auf, in „I’m every woman“ rechnet sie mit dem Mythos des männlichen Genies ab, und „Im Spiegelsaal“ geht sie dem durch Apps wie Instagram tradierten kollektiven Schönheitsverständnis auf den Grund. Noch nie seien Menschen mit so vielen Abbildungen ihrer selbst konfrontiert gewesen: „Wie man selbst und das eigene Leben auf Fotos aussehen, scheint wichtiger geworden zu sein als das Leben abseits der Kamera“, sagt Strömquist.

„Im Spiegelsaal“
„Im Spiegelsaal“Liv Strömquist

Dabei ist die Auswahl der philosophischen und soziologischen Positionen meist feministisch, aber nie absolut. „Ich will komplexe Ideen nicht vereinfachen, ich will sie nur zugänglicher machen“, sagt Strömquist. Und das sind ihre Graphic Novels auch formal, denn sie sind stark textlastig, beinhalten auch Fußnoten und Quellenverweise und wirken dadurch eher wie üppig bebilderte soziologische Essays. Das hebt sie aus der Nische der Graphic Novels und macht sie für ein breiteres Publikum bekömmlich. „Meine Arbeit geht auf ein kommunikatives Bedürfnis zurück. Wenn ich in einem verstaubten Buch einen interessanten Gedanken aufschnappe, will ich ihn weitergeben, meinen Leserinnen quasi wie einer guten Freundin davon erzählen“, sagt Strömquist.

„Im Spiegelsaal“
„Im Spiegelsaal“Liv Strömquist

Gezeichnete Verrenkungen

Comics zeichnet die Schwedin seit ihrer Kindheit. Notizbücher über Notizbücher sind vollgekritzelt mit dem erfundenen Charakter einer weltbekannten Sängerin, die nicht singen kann und die sie über Jahre ihrer Kindheit hinweg begleitete. Als Studentin fühlte sich sich dann von der Punkszene der 80er und 90er und alternativen Comiczeichnern in Schweden und den USA inspiriert. „Viele dieser Comics schreckten nicht vor tiefergehenden Themen zurück, hatten auch Mut zu hässlichen Zeichnungen und waren oft biografisch und inhaltich explizit“, sagt Strömquist. Es ist eine Tradition, in die sich auch ihre eigenen Comics einordnen lassen. Als Studierende begann sie erste Fanzines zu entwerfen, also Magazine von Fans für Fans eines bestimmten kulturellen Phänomens. Anstoß zu ihrem ersten international beachteten Buch „Ursprung der Welt“ gab unter anderem die Erinnerung an die eigene Kindheit. Hatte sie Regelschmerzen in der Schule, schämte sie sich zu sehr, um sich ihrem Lehrer mitzuteilen. Das ging so weit, dass sie in der Klasse ohnmächtig wurde. Ebendiese Scham in Bezug auf den eigenen Körper wollte Strömquist erkunden.

„Ursprung der Welt“
„Ursprung der Welt“Liv Strömquist

Ihr jüngstes Werk „Astrologie“ war eine Art Spielerei, die Möglichkeit, ein Thema zu bearbeiten, das nicht todernst ist. Die humoristische Typologie verschiedener Sternzeichen setzt sie mit einem kurzen Theorieteil am Ende in Kontext. „Ohne diesen Part hätte es sich unverantwortlich angefühlt, das Buch zu veröffentlichen“, so Strömquist. Also referiert am Schluss der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno in gezeichneten Verrenkungen darüber, dass ein Interesse an Astrologie weniger einen aufrichtigen Glauben an das Mystische widerspiegelt, als eine Form narzisstischer Selbstbeschäftigung darstellt. Und Soziologe Aris KomporozosAthanasiou darf hinzufügen, dass in einer Zeit „radikaler Ungewissheit“, in der wir leben, die randomisierten und chaotischen Antworten, die die Astrologie bereithält, diese Epoche angemessen zu repräsentieren scheinen. Das eigene Horoskop ist also genauso ungewiss, undurchsichtig und beliebig, wie uns die eigene Zukunft erscheint. Also kurz vorm Schluss wird das Buch dann doch todernst. Oder Adornos „schulmeisterliche, perfektionistische, humorfreie Einstellung zur Astrologie“ beruht einfach darauf, dass er im Sternzeichen Jungfrau ist.

Liv Strömquist
Liv StrömquistMaja Flink

Info

„Astrologie“. Der Comicband ist seit 23. März im Handel erhältlich.

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