"How I'm Feeling Now"

Netflix-Doku: Wie Lewis Capaldi gegen Tourette und Selbstzweifel kämpft

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Wie geht es einem plötzlich zum Popstar avancierten Mittzwanziger? Netflix bietet in einer etwas langatmig erzählten Doku Einblicke in Lewis Capaldis Arbeit an seinem zweiten Album. Und wie seine Diagnose, Tourette, eine Art Neustart brachte.

Es war ein steiler Aufstieg in den Pop-Olymp. Tourte Lewis Capaldi doch jahrelang durch Pubs in Großbritannien und Irland, bevor ihn ein viral gegangenens Video eines eigenen Songs ("Bruises") und dann der Superhit „Someone You Loved“ plötzlich zum weltweit gefragten Popstar machten. Nummer-Eins-Hits weltweit, inklusive USA, Stadiontourneen, Weltruhm. Und das war für den in einer schottischen Kleinstadt aufgewachsen, mittlerweile 26-Jährigen, offenbar nicht ganz einfach zu verkraften.

Davon, und vor allem von seinem Druck für sein zweites Album, erzählt die neue Dokumentation auf Netflix, „Lewis Capaldi: How I'm Feeling Now“ (in etwa: "Wie es mir jetzt geht"). Für ein erstes Album hat man sein Leben lang Zeit, wiederholt Capaldi darin einen in der Musikbranche oft gehörten Satz, aber für das zweite nur wenige Wochen. Ständig muss nachgelegt werden. Besser als zuvor. Man muss sich neu erfinden und sich dennoch treu bleiben.

Von der Pandemie bis zur Diagnose

In der Dokumentation öffnet sich Capaldi weit: Regisseur Joe Pearlman begleitet ihn in der Pandemie in sein Zimmer im Elternhaus und filmt ihn beim Songschreiben. Bei Sessions mit anderen Songwritern, bei Gesprächen mit Management und Labels. Und man kann dem Schotten Szene für Szene dabei zusehen, wie es ihm körperlich schlechter geht. Es fängt mit einem Schulterzucken an, auf das ihn sein Vater anspricht. Nur keinen Fokus darauf richten, erklärt der Sohn, der Popstar. Sonst werde es nur schlimmer. Sobald sich Capaldi innerlich nicht wohlfühlt, er unter Druck steht, beginnen seine Ticks zuzunehmen.

Capaldi gilt generell als bodenständiger Spaßvogel, das zeigt etwa auch sein Instagram-Account. Umso beeindruckender, wie der Mittzwanziger mit dem Gefühl umzugehen lernen muss, dass er seine Erfolge nur vorgetäuscht hat und in Wirklichkeit unfähig ist. Imposter-Syndrom nennt sich das. Und es befällt offenbar auch jene Menschen, die schon ganze Stadien als Popmusiker füllen und ihre Alben millionenfach verkauft haben.

Tourette: Eine Pause tut auch Lewis Capaldi gut

Capaldi pausiert die Albumproduktion dann für mehrere Monate - und den Doku-Dreh. Und kommt offenbar gestärkt, mit neuen Ideen - und mit mehr Sport und psychologischer Betreuung zurück. Und einer Diagnose: Tourette. Etwas, dass der Sänger auch in einem seiner Konzerte öffentlich gemacht hat - und daraufhin weltweit Sympathien und Dankbarkeit für seine Offenheit geerntet hat.

So spannend die Eindrücke aus dem Leben des Musikers, der ständig zwischen etwas pubertären Witzen und dem Ausdruck seines inneren Leids samt feinfühliger Lyrik in seinen Texten hin und her wechselt, auch sein mögen: Die Dokumentation hat ihre Schwächen. Man hätte den 96 Minuten langen Film deutlich straffen können. Netflix eröffnet - wie etwa in Reality-Dokus üblich - mit Schnipseln mancher Aussagen, die die Zuseher später erwarten. Ein Trailer im Film quasi, und verzichtbar. Allzu oft verliert man sich in bildlichem Füllmaterial. Die Stärke liegt nicht in den Aufnahmen von Häuserfronten in schottischen Kleinstädten oder einem Schnelldurchlauf durch Capaldis Instagram-Feed, sondern in dem intimen Einblick, den er in das Leben eines wahrlich ungewöhnlichen Popstar erlaubt.

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