Der „gerissene Jud'“ und die Nazipropaganda

Gedanken zur Begeisterung der Österreicher für Kreisky.

Als Bruno Kreisky Parteiobmann der SPÖ wurde, hatten wir ein Gespräch unter vier Augen und er sagte: „In Österreich kann ich alles werden, nur nicht Bundeskanzler, wegen meiner Herkunft.“ Darauf ich: „So unüberprüft kann man das nicht behaupten, so etwas muss man untersuchen.“ Darauf Kreisky: „Na, dann untersuche!“ 14 Tage später konnte ich ihn mit dem Ergebnis einer Umfrage konfrontieren. „Für 15 Prozent ist ein Mann jüdischer Herkunft nicht akzeptabel. Dem Rest ist es egal. Übrigens sind für die Tiroler auch Evangelische suspekt und als Kanzler ungeeignet.“Ich hatte noch etwas im Talon. Ich erzählte Kreisky, was eine Trafikantin mir erklärt hatte: „Bisher habe ich immer ÖVP gewählt, jetzt wähle ich den Kreisky, der ist ein gerissener Jud' und weiß immer einen Ausweg.“ Wie ich das einschätze, fragte Kreisky. „Nun, die Frau und sicher auch viele andere halten dich offenkundig für eine Führungspersönlichkeit.“

Ein Gespräch mit Nachspiel

Am nächsten Tag rief mich mein Freund Charly Blecha an: „Ich höre, du erzählst, Kreisky ist ein gerissener Jud'“. Ich: „So ein Blödsinn, das habe ich nur Kreisky gesagt!“ Und der gute Charly sagte: „Na ja, von dem hab ich's ja auch!“ Interessant ist in diesem Zusammenhang die tatsächliche Einstellung der Österreicher zu Kreisky. Im Gegensatz zu der Behauptung, Österreicher seien Nazis, hat die Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft in den späten 70er-Jahren erhoben, dass sich acht Prozent der Österreicher als Antisemiten deklarierten. Als ich das dem Generalsekretär des jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, als große Erkenntnis darlegen wollte, sagte er nur: „Das weiß ich ohnehin. Die Österreicher sind auch nicht anders als die anderen europäischen Nationen.“

Ich kannte einige hochrangige Hitlerjungen. Für sie war ihre Begeisterung für Kreisky ein Mittel zur Selbstvergewisserung, dass sie nur dumme Burschen waren, die von der Nazipropaganda überwältigt wurden. Den nächsten Gedankensprung deute ich nur mit aller Vorsicht an: Vielleicht spielte Kreisky auch für viele andere diese Rolle: „Wir waren keine Nazis, wir sind keine Nazis, wie könnten wir sonst einen Juden zum Kanzler wählen.“ Vielleicht gibt es aber einige Meisterdenker, die dies nicht nur vermuten, sondern auch beweisen könnten.

Dr. Heinz Kienzl (88) war Gewerkschafter und Generaldirektor der Nationalbank.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bruno Kreisky
Bruno Kreisky

Der Sonnenkönig

Leitartikel

Bruno Kreisky, der Vater des sündigen Gedankens

Im Schuldenmachen war Bruno Kreisky ausgesprochen gut. Aber lange nicht so gut wie seine Nachfolger, die das „Erbe“ des großen Bruno deutlich mehrten.
Vranitzky bdquoKreisky hatte breiteren
Innenpolitik

Vranitzky: „Kreisky hatte die breiteren Nadelstreifen“

Franz Vranitzky, Bundeskanzler von Juni 1986 bis Jänner 1997, über Bruno Kreiskys Willen zum Aufbruch, dessen „sinnvolle Schuldenpolitik“ und die Zukunft der SPÖ in Europa.
Gusenbauer Kreisky haette Konsolidierungspolitik
Innenpolitik

Gusenbauer: Kreisky hätte die Konsolidierungspolitik sicher unterstützt

Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler von Jänner 2007 bis Dezember 2008, über das Visionäre an Kreisky als Anhänger des Freihandels und eines Palästinenserstaates.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.