Fotopreis

World Press Photo Award: Sie starb, ihr Kind auch

(c) World Press Photo/Evgeniy Maloletk/AP
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Ein Bild, das weltweit Entsetzen auslöste, wurde zum Pressefoto des Jahres gewählt: Es zeigt eine hochschwangere Frau in Mariupol nach einem russischen Angriff auf eine Geburtsklinik.

Wenn die World Press Photo Awards jedes Jahr im April verkündet werden, ist das wie ein Schlag in die Magengegend. Die Bilder rufen nicht nur die Konfliktherde der Welt in Erinnerung, sondern führen sie drastisch vor Augen. Mehrfach wurden beim weltweit wichtigsten Preis für Fotojournalismus schon Bilder gekürt, die Tote zeigen. Heuer nicht. Die Abgebildete lebt. Noch. Auf dem Siegerfoto dokumentiert AP-Fotograf Evgeniy Maloletka die Folgen eines russischen Luftangriffs auf die ukrainische Hafenstadt Mariupol, bei dem eine Geburtsklinik getroffen wurde. Auf dem Bild vom 9. März 2022 sieht man die 32-jährige, hochschwangere und schwer verletzte Iryna Kalinina, die von fünf Männern aus dem zerstörten Gebäude getragen wird. Mit ihrer rechten Hand hält sie ihren Bauch, eine für Schwangere typische Geste, die wie ein Schutzversuch wirkt.

Wenige Tage nach der Aufnahme wurde Kalininas Sohn tot geboren, sie selbst starb kurz danach ebenfalls. Die OSZE kam zu dem Schluss, dass die Russen die Geburtsklinik bewusst als Ziel ausgewählt hatten. Das Foto dieses Verbrechens löste weltweit Entsetzen aus. Es zeigt die brutale Realität dieses Konflikts und die Ruchlosigkeit einer Kriegspartei. Ein Bild gegen das Abstumpfen nach mehr als einem Jahr Krieg in der Ukraine.

Khalils Niere wurde verkauft

Auch andere Fotos brennen sich ins Gedächtnis ein. Etwa Mads Nissens Porträt aus seiner preisgekrönten Fotoserie des 15-jährigen Afghanen Khalil. Ernst schaut er in die Kamera und zieht sein Oberteil ein Stück hoch, um seine Operationsnarbe zu zeigen. Seine Familie hat für 3500 Dollar eine seiner Nieren verkauft, um Nahrung zu kaufen. Der illegale Organhandel blüht in Afghanistan, Nissen gab ihm ein Gesicht.

Eindrucksvoll ist auch das Foto der Südafrikanerin Lee-Ann Olwage: Es zeigt eine demente alte Frau, die als Hexe denunziert wurde, und nun Zuflucht gefunden hat. Die berührende Fotoserie von Cristopher Rogel Blanquet handelt von Kindern, die von Chemikalien in der Landwirtschaft irreparabel geschädigt wurden: Liebevoll hält eine Mutter ihren Sohn, der an Hydrocephalus leidet, einer krankhaften Erweiterung der Flüssigkeitsräume des Gehirns.

Tief eintauchen in den Alltag von anderen

Fotos aus einem Alltag, der für viele unvorstellbar ist. Auch davon lebt das Renommee der World Press Photo Awards, diesem tiefen Eintauchen in das Leben von anderen. Eine Arbeit, die immer schwerer möglich wird: Welche Medien können es sich noch leisten, einen Fotojournalisten wochen- oder monatelang auf Reisen zu schicken? Wer bezahlt für die Bilder, die tausend-, millionenfach im Internet geteilt werden, als gäbe es keine Rechteinhaber?

Auch das heurige „World Press Photo of the Year“ von Maloletka wurde schon vielfach reproduziert und hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Ein ikonisches Bild.

Nicht alle ausgezeichneten Fotos sind hoffnungslos: Auf dem Bild von Ahmad Halabisaz sieht man eine junge Iranerin ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit. Direkt sieht sie in die Kamera. Sie ist Teil der Proteste, die mehr Freiheit im Iran fordern, vor allem für Frauen. Das Regime versucht diese mit aller Macht zu unterdrücken. Wenn man das Foto sieht und diesen selbstbewussten Blick, der den Eindruck von starkem Widerstandsgeist erweckt, muss man beinahe lächeln.

World Press Photo Awards

Die diesjährigen Sieger des Wettbewerbs repräsentieren nach Ansicht der Jury die wichtigsten Themen des Jahres 2022. Aus rund 60.000 Fotos waren die Sieger in mehreren Kategorien ausgewählt worden.

Mehr als 3700 Fotografen aus 127 Ländern hatten sich an dem Wettbewerb beteiligt. Zunächst hatten regionale Jurys in mehreren Kategorien Siegerfotos für ihre jeweilige Region ausgewählt.

Alle ausgezeichneten Fotos sollen in einer Ausstellung in mehr als 60 Städten weltweit gezeigt werden. Als erste wird die Ausstellung in Amsterdam am 22. April eröffnet.

Im Wiener WestLicht sind alle preigekrönten Bilder ab 15. September zu sehen.

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