Sicherheit

Österreichs Militär warnt vor "Neutralitätsrisiko"

MEDIENTERMIN ANL. �BUNG ZUM SCHUTZ VON KRITISCHER INFRASTRUKTUR: WIENER POLIZEI UND �STERREICHISCHES BUNDESHEER �BEN F�R DEN ERNSTFALL IM SZENARIO EINER ENERGIEKRISE
MEDIENTERMIN ANL. �BUNG ZUM SCHUTZ VON KRITISCHER INFRASTRUKTUR: WIENER POLIZEI UND �STERREICHISCHES BUNDESHEER �BEN F�R DEN ERNSTFALL IM SZENARIO EINER ENERGIEKRISE(c) APA/EVA MANHART (EVA MANHART)
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Die Neutralität bringt Österreich laut internem Papier des Verteidigungsressorts verstärkt in die Bredouille. Der Staat sei nur eingeschränkt strategiefähig.

Sich auf die Neutralität berufen und möglichst keine Position beziehen: Für Österreich wird das immer schwieriger. Nicht nur der Konflikt zwischen Russland und dem Westen wirft die Frage auf, wo Österreich steht. Auch im Konkurrenzkampf zwischen China und den USA werden die EU und letztlich auch Österreich zunehmend Partei ergreifen müssen. Die Voraussetzungen, um sich darauf vorzubereiten und kluge Entscheidungen zu treffen, sind in Österreich aber nicht ausreichend vorhanden: Denn der Staat ist nur eingeschränkt strategiefähig.

Zu diesem Befund kommt das vertrauliche „Risikobild 2032“ des Verteidigungsministeriums. In dem Dokument werden die Risiken für Österreichs Sicherheits- und Verteidigungspolitik bis zum Jahr 2032 analysiert und bewertet. Der Bericht baut im Wesentlichen auf dem „Risikobild 2030“ aus dem Jänner 2021 auf, dieses wurde im Zuge des Ukraine-Kriegs aber adaptiert.

Drohende Isolation Österreichs

Der „Presse“ liegt die Zusammenfassung des „Risikobilds 2032“ vor. Darin findet sich das „Neutralitätsrisiko“ als eine neue Bedrohung für Österreich. Darunter sind alle Herausforderungen für Österreich zu verstehen, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen Neutralität und Solidarität ergeben.

Als Beispiel nennt der Bericht einen Angriff auf einen EU-Mitgliedstaat. Dieses Risiko habe sich durch den Ukraine-Krieg sowie den Nato-Beitritt Finnlands und den Aufnahmeantrag Schwedens stark erhöht. In solch einem Fall könnte der angegriffene Staat nach dem EU-Vertrag die Beistandsklausel aktivieren. Für Österreich würden hier „Positionierungsfragen bezüglich Beistandspflicht, Solidarität sowie der Neutralität“ aufkommen. Eine europäische Isolation Österreichs wird befürchtet, falls sich das Land in einem Verteidigungsfall auf seine Neutralität beruft und nicht beteiligt. Das könnte massive Folgen etwa auf politischer und wirtschaftlicher Ebene haben.

Klarere Festlegung gefordert

Diese Erkenntnisse aus dem Risikobild spiegeln sich im „Landesverteidigungsbericht 2022“ des Verteidigungsressorts wider. Er wurde diese Woche dem Nationalrat vorgelegt. Auch darin wird auf die wachsenden Herausforderungen hingewiesen, welche die Neutralität mit sich bringt. Österreichs Politik müsse sein Verhalten und seinen Beitrag hinsichtlich möglicher Beistandsverpflichtungen klarer definieren, wird gewarnt: „Wer auf Solidarität anderer zählt und die europäische Sicherheitspolitik mitgestalten will, muss auch selbst in der Lage sein, relevante Beiträge zu leisten“, heißt es.

Laut dem Risikobild drohen die EU und Österreich auch in den Systemkampf zwischen den USA und China hineingezogen zu werden. Es zeichne sich eine Spaltung der Welt in zwei Einflusssphären ab, verschärft werde das durch den Ukraine-Krieg. Bei dieser Systemkonkurrenz werde sich für die EU und Österreich „zunehmend die Frage der Positionierung stellen“. Zumal verstärkte hybride Einflussnahmen auf die EU und für Österreich wichtige Drittstaaten wie die Westbalkan-Länder befürchtet werden.

Mangelhafte Strategiekultur

Auf diese Herausforderungen ist Österreich schlecht vorbereitet. Das Verteidigungsministerium geht im „Risikobild 2032", wie bereits im „Risikobild 2030“, harsch mit Österreichs Strategiefähigkeit ins Gericht. Dabei geht es um die Fähigkeit des Staats, mit Krisen umzugehen, Bedrohungen zu analysieren sowie Szenarien und Strategien zu entwickeln. Sie ist laut dem Bericht in Österreich nur eingeschränkt vorhanden.

Derzeit gebe es auf gesamtstaatlicher Ebene „kein ausreichend entwickeltes Instrumentarium für die Krisenfrüherkennung, Risiko- und Folgenabschätzung, Entwicklung von Handlungsoptionen und strategische Entscheidungsfindung“. „Auch die Führungs- und Kommunikationssysteme zur raschen Umsetzung von Strategien fehlen“, wird in dem Bericht bemängelt. Es handle sich um „ein systemisches Risiko besonderer Art“ für Österreich, dessen Relevanz „sehr hoch“ sei. Die Kombination mehrerer Risiken oder das Eintreten eines großen Risikos könnten aufgrund der eingeschränkten Strategiefähigkeit des Landes „verheerende Folgen“ für Österreich haben.

Fragile Lage auf dem Westbalkan

Dass solche Risiken eintreten, ist laut dem Bericht durchaus möglich. Im europäischen Umfeld könnten innerhalb der nächsten zehn Jahre weitere Konflikte ausbrechen, heißt es im „Risikobild 2032“. Die militärische Bedrohung Europas durch Russland sei wieder wahrscheinlicher geworden. Es sei davon auszugehen, dass Russland versuchen werde, das Umfeld Europas durch eine hybride Konfrontation zu destabilisieren. Vor allem auf dem Westbalkan zeichne sich eine stabilitätsgefährdende Entwicklung ab. Dort könnten Russland, China, die Türkei und Saudiarabien an Einfluss gewinnen, wenn der EU-Beitrittsprozess der dortigen Länder stagniere und die Konsolidierungspolitik scheitere.

Gefordert wäre hier vor allem die EU. Zwar gebe es Ansätze der Union, als globaler politischer und strategischer Akteur zu agieren, so etwa bei der Impfstoffbeschaffung und den Russland-Sanktionen. Doch würden die zukünftigen Herausforderungen die strategische Handlungsfähigkeit der EU auf die Probe stellen. Es sei davon auszugehen, dass Russland und China verstärkt versuchen werden, „den europäischen Integrationsprozess von außen negativ zu beeinflussen, um Europa zu spalten und ein gemeinsames Handeln zu unterbinden“.

Höher bewertet wird die Gefahr, dass Österreich territorial angegriffen wird. Wurde dieses Risiko in der Prognose für 2030 als wenig wahrscheinlich eingestuft, so wurde es nun als relevantes Risiko bewertet. Das „Risikobild 2032“ hält fest, dass sich für Österreich durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine „nahezu alle militärstrategischen Risiken gegenüber Österreich signifikant verschärft“ haben.

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