Morgenglosse

Schafft doch ORF.at einfach ab!

Statt um die Anzahl von Textbeiträgen auf ORF.at zu feilschen, hätten die Privatmedien die Einstellung der Blauen Seite fordern sollen. Damit ihnen neben dem dominanten ORF noch Platz zum Überleben bleibt.

Nun ist er also da, der lang erwartete Entwurf zur ORF-Digitalnovelle*. Und damit die Erkenntnis, dass der türkis-grünen Regierung hier das Kunststück gelungen ist, alle Betroffenen gleichermaßen unglücklich zu machen: den ORF, die Privatmedien und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Wobei nur Letztere in dieser Debatte gar kein Anhörungsrecht haben.

In den Verhandlungen zwischen dem ORF, den Privatmedien und den Verantwortlichen in der schwarz-grünen Bundesregierung war der Dreh- und Angelpunkt diesmal (wie schon oft) die reichweitenstarke Blaue Seite ORF.at.

Die Verleger wollten dort eine Beschränkung der Textbeiträge auf 100 Beiträge der Woche, nun sind es doch 350 Beiträge pro Woche geworden. Das sind weniger als bisher, dafür darf der ORF im Gegenzug künftig mehr Video- und Audiobeiträge ausspielen und das sogar, ohne diese vorher im linearen TV- oder Radioprogramm zeigen zu müssen. So fällt eine langjährige Einschränkung für den ORF, die ihn bisher massiv behindert hat. Und die Privatmedien? Die haben zwar im Groben bekommen, was sie wollten, aber nun dämmert ihnen, dass dieser angestrebte Abtausch weniger prickelnd ist als angenommen.

Setzen doch heute alle einstigen Printmedien und vor allem die Privatsender auf ihren Onlineseiten auch auf Videos und Audioinhalte. Ein frei zugängliches ORF.at, in dem künftig immer noch mehr als 1000 Video-, Audio- und Textbeiträge pro Woche ausgespielt werden können, schadet allen privaten Medien, egal ob sie eine Bezahlschranke haben oder nicht. Dass der ORF so dominant ist, ist nicht neu, wenn er digitalen Privatmedien aber immer weniger Luft zum Atmen lässt, wird deren Überlebenschance vor allem in wirtschaftlich angespannten Zeiten wie diesen immer kleiner (und die gestern offiziell beerdigte „Wiener Zeitung“ nicht die letzte eingestellte Zeitung sein). Das ist wiederum eine schlechte Nachricht für Nutzerinnen und Nutzer, weil die Medienvielfalt im Land leidet.

Eine radikale Idee? Ohne Zweifel!

Vielleicht hätten die Privatmedien ja von Anfang an mit einem höheren Einsatz in diesen Gesetzwerdungs-Poker gehen sollen, nämlich mit der Maximalforderung: Schafft doch ORF.at einfach ab! Denn die erfolgreiche Webseite ist eben nicht mehr nur mit ihren Artikeln, sondern gerade mit den Bewegtbildbeiträgen Konkurrent für die Privaten. Und es gibt ja ohnehin noch die TVthek und die Audioplattform ORF Sound.

Eine radikale Idee? Ohne Zweifel. Eine Idee, die viele Kritiker hätte? Natürlich. Aber eine Idee, an der man den Mut zu Reformen erkennen hätte können und das Bekenntnis, das Kräfteverhältnis zwischen dem nun mit 710 Millionen Euro Gebührengeld gepolsterten ORF und den Privatmedien etwas auszugleichen. Nur liegt der Verdacht nahe: Die Politik mag einen mächtigen ORF, bei dem sie mitbestimmen kann, wer ihn führt.

So wird sie auch nie auf die ebenso radikale Idee kommen, die ORF-Gremien zu reformieren und den Einfluss der Parteien und Landeshauptleute zu minimieren.

*Übrigens, für alle Menschen, die genau sind, der Entwurf heißt in voller Länge: „Bundesgesetz, mit dem das ORF-Gesetz, die Fernmeldegebührenordnung, das Fernsprechentgeltzuschussgesetz, das Finanzausgleichsgesetz 2017, das KommAustria-Gesetz, das Kommunikationsplattformen-Gesetz und das Fernseh-Exklusivrechtegesetz geändert werden, ein ORF-Beitrags-Gesetz 2024 erlassen wird sowie das Rundfunkgebührengesetz und das Fernmeldegebührengesetz aufgehoben werden."

Von nervös bis panisch: Warum regt die ORF-Reform so auf?

Die lang erwartete ORF-Digitalnovelle ist da und sieht Einschränkungen und neue Freiheiten für den ORF vor. Die Haushaltsabgabe kommt fix ab 2024. Warum weder der ORF, die Privatmedien noch die Steuerzahler mit dem neuen Modell zufrieden sind, darum geht es auch in dieser Podcast-Folge. 

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