Der ökonomische Blick

(Was) verlieren Arbeitnehmer, wenn sie ein paar Monate lang nicht arbeiten gehen?

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In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Und kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen.

Viele von uns spüren, wie wichtig es ist, ständig präsent zu sein - sowohl körperlich als auch geistig. Dies trifft auf die unterschiedlichsten Bereiche unseres Lebens zu: nicht nur unsere persönlichen Beziehungen sondern vor allem auch unsere Arbeit leiden in der Regel unter (geistiger) Abwesenheit. Woody Allen witzelte sogar, dass 80 Prozent des Erfolgs darin besteht, einfach nur aufzutauchen. Sollte er damit Recht behalten, dann kann sich eine Abwesenheit von der Arbeit, und sei es auch nur für ein paar Monate, negativ auf die langfristige Lohnentwicklung von Arbeitnehmer:innen auswirken. Das gilt selbst dann, wenn eine solche Abwesenheit keinen Einfluss auf die Produktivität einer Arbeitnehmer:in hat, aber in der Folge zum Beispiel eine anstehende Beförderung ausbleibt.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

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Es ist jedoch alles andere als trivial, solche Effekte einer vorübergehenden Abwesenheit von der Arbeit nachzuweisen. Es reicht zum Beispiel nicht aus, die Lohnentwicklung von Arbeitnehmer:innen, die über einen gewissen Zeitraum abwesend waren, mit der Lohnentwicklung derer zu vergleichen, die durchgehend anwesend waren. Erstens kann eine Abwesenheit gute Gründe haben: die Geburt eines Kindes, die Pflege eines Verwandten oder aber eine Krankheit. Insofern die Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit einem Rückgang der langfristigen Produktivität einhergeht, könnte ein potenziell niedrigerer Lohn nach der Rückkehr auf ebendiese verlorene Produktivität und nicht notwendigerweise auf die Abwesenheit an sich zurückgehen. Zweitens ist es oft eine bewusste Entscheidung, die Arbeit für einen gewissen Zeitraum niederzulegen, und es kann durchaus sein, dass sich gerade diejenigen dazu entscheiden, die im Durchschnitt weniger zu verlieren haben und weniger verdienen würden, selbst wenn sie durchgehend anwesend wären.

Studie untersucht finanzielle Folgen von Abwesenheiten

In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Wir konzentrieren uns auf die Jahre vor der Pandemie und untersuchen den Effekt auf Arbeitnehmer:innen, die einige Monate (zwischen drei und zwölf) von ihrem Arbeitsplatz abwesend waren, weil sie einen leichten und unerwarteten Unfall erlitten, zum Beispiel einen Beinbruch, eine ausgekugelte Schulter oder eine Knieverstauchung. Solche leichten Unfälle scheinen nicht zu langfristigen Produktivitätseinbußen zu führen, da der Lohn der betroffenen Arbeitnehmer:innen nach ihrer Rückkehr in den Job ähnlich hoch ist wie vor dem Unfall. Darüber hinaus beeinträchtigen leichte Unfälle dieser Art die Gesundheit nur kurzfristig. Höchstens sechs Monate nach dem Unfall gibt es keine erkennbaren Unterschiede - in Sachen Krankschreibungen oder Ausgaben für verschreibungspflichtige Medikamente - zu Arbeitnehmer:innen, die keinen Unfall erlitten haben.

Um zu sehen, wie es Arbeitnehmern:innen, die nach einem leichten Unfall abwesend waren, langfristig an ihrem Arbeitsplatz ergeht, stellen wir ihren Lohnverlauf in den drei Jahren vor und nach dem Unfall grafisch dar (siehe die roten Kreuze in der untenstehenden Abbildung). Die vertikale Achse zeigt die prozentuale Veränderung des Lohns im Verhältnis zum durchschnittlichen Lohnniveau 12 Monate vor dem Unfall an (inflationsbereinigt). Zum Vergleich stellen die schwarzen Punkte die Lohnentwicklung von Personen dar, die keinen Unfall erlitten haben. Hierfür wählen wir zufällig ein "Scheinunfall"-Datum (Ereignis).  Der vertikale Abstand zwischen einem roten Kreuz und einem schwarzen Punkt in einem gegebenen Monat zeigt den durchschnittlichen prozentualen Unterschied in den Löhnen zwischen den beiden Gruppen zu diesem Zeitpunkt.

Verdient man nach leichten Unfällen jahrelang weniger Geld?

Aus der Grafik gehen zwei wesentliche Ergebnisse hervor. Erstens verdienen Arbeitnehmer:innen, die aufgrund eines leichten Unfalls einige Monate abwesend waren, auch zwei Jahre nach ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz noch etwa zwei bis drei Prozent weniger als diejenigen, die keinen Unfall erlitten haben. Zweitens ist dieser Lohnunterschied darauf zurückzuführen, dass Arbeitnehmer:innen, die von einem Unfall verschont bleiben, die Lohnleiter hinaufsteigen, während diejenigen, die einen Unfall erleiden, ausgebremst werden. Dies zeigt sich daran, dass die Löhne von Personen ohne Unfall im Laufe der Zeit allmählich ansteigen, während die Löhne von Personen mit einem Unfall erst dann wieder zu steigen beginnen, wenn sie nach drei bis zwölf Monaten an den Arbeitsplatz zurückkehren. Frauen und Männer erleiden hierbei einen ähnlichen Lohnrückgang. Jüngere Arbeitnehmer:innen mit kurzer Betriebszugehörigkeit sowie Angestellte in Bürojobs hingegen müssen in Folge eines leichten Unfalls stärkere Lohneinbußen hinnehmen.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Karrieren der Arbeitnehmer:innen auf Eis gelegt werden, während sie sich von leichten Unfällen erholen und der Arbeit fernbleiben. Während dieser Pause scheinen sie potenzielle Lohnerhöhungen zu verpassen, die ihnen helfen könnten, die Lohnleiter innerhalb ihres derzeitigen Unternehmens zu erklimmen oder zu konkurrierenden Arbeitgebern zu wechseln. Vergleichbare, aber durchgehend anwesende Arbeitnehmer:innen scheinen ebensolche Angebote in der Zwischenzeit zu erhalten. Um sagen zu können, ob diese Angebote zustande kommen, weil Arbeitnehmer:innen, die durchgehend anwesend sind, von guten externen Möglichkeiten hören und sich bewerben oder weil konkurrierende Arbeitgeber von ihrer Leistung hören und ihnen ein Angebot machen, benötigt es jedoch weitere Untersuchungen.

Die Autorin

Timea L. Molnar ist Assistenzprofessorin für Volkswirtschaftslehre an der Central European University. Ihre primären Forschungsgebiete sind die Arbeitsmarkt- und Bildungsökonomie. Sie bedankt sich bei Mats Köster (Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Central European University), der den Artikel ins Deutsche übersetzt hat.

Referenzen

Timea L. Molnar, Aniko Biro, Marta Bisztray, and Joao Galindo da Fonseca. 2023. Accident-Induced Absence from Work and Wage Ladders. Erstentwurf des Arbeitspapieres auf Anfrage erhältlich.

>>> “On Language; The Elision Fields,'” (William Safire, The New York Times, August 13, 1989;

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