Inszenierung

Hochzeiten zwischen "wahrer Liebe" und perfekten Bildern

(c) Caio Kauffmann
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Bilder von scheinbar perfekten Hochzeiten überschwemmen die sozialen Medien. Manche sehen das als Inspiration, manchen macht es Druck.

Sarah Pinkl öffnet Instagram. Für sie ist das jedes Mal aufs Neue mit gemischten Gefühlen verbunden. „Man sucht Inspiration – welche Blumengestecke sind die schönsten, wie sollte die Torte aussehen – und dann kommt man vom Hundertsten ins Tausendste.“ So wird aus dem Wunsch nach Anregungen ein Druck, wie die 28-Jährige erzählt. Ein Druck, der in ihrem Fall vor wenigen Monaten dazu führte, ihre eigene Hochzeit abzusagen. „Ich konnte das alles nicht mehr“, sagt Sarah. Und weiter: „Ich hatte das Gefühl, ich mache das alles gar nicht mehr für uns, sondern nur für die Leute auf Social Media.“ Auch der Druck „von innerhalb“ sei stark gewesen. Familie, Freundinnen – alle wollten mitreden. Sarah zog die Reißleine, auch wenn ihre Liebsten protestierten.

Heute ist sie trotzdem glücklich verheiratet. Ihr Mann Martin und sie haben sich im engsten Kreis das Ja-Wort gegeben. Statt eleganter Location und aufwendigem Galadinner wurde standesamtlich am Land geheiratet. „Wir haben sofort spontan einen Termin bekommen statt ewig langen Wartelisten in Wien. Alles war so entspannt.“ Wäre da nicht die Erwartungshaltung von den anderen gewesen, sagt Sarah, hätte sie es vielleicht gleich so gemacht.

Mit ihren Erfahrungen ist sie nicht allein. Wer Instagram öffnet, der kommt an strahlenden Bräuten, perfekt sitzenden Krawatten, imposanten, weißen Kleidern, Blumensträußen, kurz gesagt: an makellosen Hochzeiten nicht vorbei. Insbesondere Instagram hat die Vorherrschaft bei diesem Event eingenommen.

Nutzerinnen und Nutzer posten Fotos von der Trauung, sogenannte „Stories“ mit dem Ringtausch, kurze Videos vom Werfen des Brautstraußes und weitere Videos, die die gesamte Hochzeit zusammenfassen. Fotografen werden engagiert, extravagante Locations organisiert, aufwendige Dekoration bestellt.

Die Presse / Jana Madzigon



Social Media erweckt Illusionen. Instagram ist aber nicht die einzige Plattform, auf der zurzeit ein richtiger Hochzeitshype aus den USA herüberschwappt. Auf TikTok etwa werden Videos von Brautgeschäften verbreitet, deren Mitarbeiterinnen der Reihe nach alle Kleider anprobieren. Und auf der pinnwandinspirierten Plattform Pinterest gibt es unzählige sogenannte Mood-Boards, also zusammengestellten Seiten mit diversen Vorschlägen für die Hochzeit. Dass etwa die Brautjungfern farblich aufeinander abgestimmte Kleider tragen müssen, erscheint dort wie eine Selbstverständlichkeit.

Eine Zunahme von all diesen, vornehmlich US-amerikanischen Trends bemerken auch die beiden Hochzeitsplanerinnen Rebeka Winkler und Luise Wagner; Letztere betreibt gemeinsam mit ihrer Schwester die Brautkleiderboutique „Hello Gorgeous“ in Wien Mariahilf. „Durch das überwältigende Angebot auf Social Media werden bei Brautpaaren Illusionen erweckt“, mahnt Winkler. „Was oft nicht gezeigt wird“, merkt Wagner an, „sind die Arbeit und die Kosten hinter diesen tollen Fotos – die dann oft so nicht umsetzbar sind aufgrund des Budgets oder der Materialien.“ Die Kunst sei es dann, die Wünsche im Rahmen der Möglichkeiten umzusetzen.

Der Mythos von „Bridezilla“ – der ausgeflippten Braut – kommt aber nicht von ungefähr, räumt Winkler ein: „Es gibt Brautpaare, die nach dem Motto ,Mehr ist mehr‘ ihren Hochzeitstag verbringen und sich mehr über das perfekte Foto Sorgen machen als den Austausch mit der Hochzeitsgesellschaft.“ Vergleichbare Erfahrungen hat auch Wagner gemacht: „Ich hatte schon einige Hochzeiten, wo einfach klar war, dass diese Brautpaare wirklich alles nur für Instagram machen. Das finde ich oft schade, weil für diese Paare wirklich nur zählt, wie es auf dem Foto aussieht.“

Das perfekte Kleid. Ähnliches merkt auch Julia König. Die Schneiderin mit eigenem Atelier im neunten Wiener Gemeindebezirk betreut viele Bräute auf der Suche nach dem perfekten Kleid. Und mit „perfekt“ meinen einige vor allem schön und fotogen. Immer wieder kommen Frauen zu ihr mit Fotos von Kleidern, die sie auf Instagram oder anderen sozialen Netzwerken gesehen haben. „Die bekommen aber auch Feedback von mir, welche Sachen nur am Foto gut ausschauen, am Tag selber aber dann total unpraktisch sind“, sagt sie. Denn in einigen Kleidern könne man sich einfach nicht rühren. Manche Kundinnen würden dann davon absehen oder es wird ein Kompromiss gefunden. Manche aber halten daran fest und sagen: „Nein, ich muss nicht atmen können, ich muss nicht sitzen können.“ Da liege die Priorität der Hochzeit eben mehr auf dem Äußeren. „Das geht dann aber auf Kosten der Partytauglichkeit und der Bequemlichkeit“, sagt die 34-Jährige.

Immer häufiger würden auch sogenannte Farbcodes auftauchen. Dabei gibt das Brautpaar vor, welche Farben die Gäste tragen sollen. So soll ein stimmiger Fotohintergrund entstehen bzw. ein Gemeinschaftsbild abgegeben werden, „bei dem nicht ein rot geblümtes neben einem blau gestreiften Kleid steht“.

Sie merke schon immer wieder, sagt König, dass diese Vorstellung von dem perfekten Kleid, die man oft auf Basis diverser Eindrücke auf Instagram hat, einen großen Druck auf die Bräute ausübe. „Ich habe teilweise wirklich verzweifelte Kundinnen, die sich gedacht haben, sie gehen in ein Geschäft rein und probieren ein paar Kleider, doch diese haben ihnen nicht gepasst, nicht gestanden und nicht gefallen.“ Dieses Jahr habe auch eine ihrer Kundinnen ihre Hochzeit abgesagt, weil ihr alles zu viel wurde. Die sozialen Medien würden einem ja viele Möglichkeiten eröffnen, sagt König, aber am Ende müsse man sich eben alleine zur Entscheidung durchringen.

In Zahlen

49 Prozent der Ehen wurden in Österreich 2007 geschieden.

38 Prozent der Paare lassen sich heute (Stand 2020) im Schnitt scheiden.

10,6 Jahre beträgt die durchschnittliche Ehedauer aktuell.

7,7 Jahre hat eine Ehe 1981 im Schnitt noch gehalten.

31 bei Frauen und 33 bei Männern ist heutzutage das Durchschnittsalter für eine Erstheirat.

21 und 24 Jahre alt waren die durchschnittliche Frau und der durchschnittliche Mann 1970 noch beider Eheschließung.

25 Prozent beträgt mittlerweile der Anteil an Personen, die in ihrem Leben nie heiraten. In manchen Personengruppen stieg der Anteil um ganze 15 Prozent.

76 Prozent stimmen der Aussage nicht zu, dass die Ehe eine überholte Einrichtung sei. Dennoch hat sich der Anteil jener Personen, die der Aussage zustimmen, seit 1990 verdoppelt.

80 Prozent sehen Treue als wichtigsten Faktor für eine gute Partnerschaft.

Konsumgut Liebe. Was aber steckt hinter dieser Selbstinszenierung – und woher kommt es? „Es gibt viele Parallelentwicklungen, die dieses gesteigerte Bedürfnis befördert haben dürften“, sagt die Soziologin Eva-Maria Schmidt von der Universität Wien. Zum einen stehe der einzelne Mensch stärker im Fokus und ist sehr viel mehr für sich selbst, das heißt „für das eigene Fortkommen im Leben, die eigene Vermarktung verantwortlich“. Zum anderen haben Digitalisierung und Globalisierung diese Entwicklung befördert. Mit wenig Aufwand kann man sehen, wie andere Menschen ihr Leben, ihre Beziehungen gestalten. Damit wisse man um die zahlreichen Möglichkeiten, dies zu tun, was eine Entscheidung oft schwierig mache, so die Soziologin und Expertin vom Institut für Familienforschung.

Diese Selbstinszenierungstendenzen hätten sehr ambivalente Auswirkungen: Sie führten einerseits dazu, dass die Menschen mit dem Gefühl unendlich vieler Möglichkeiten ausgestattet werden, um sich selbst zu verwirklichen. Andererseits jedoch könne das zu einer Art Zwangsgefühl führen, verschiedensten Dingen zu entsprechen, die oft gar nicht realistisch sind, „sondern eine geschönte Form darstellen“. Der Druck, bestimmten Idealvorstellungen nachzueifern, sei dadurch erhöht – insbesondere bei den Themen Liebe, Beziehung und Hochzeit. Dass bei letzterer aufgrund der teilweisen Fixierung auf Äußerlichkeiten das Wesentliche – einen Bund fürs Leben einzugehen – gänzlich verloren geht, glaubt Schmidt nicht. Aber: „Liebe ist zum Konsumgut geworden.“

Nun, auch wenn die sozialen Medien das durchaus vorgaukeln: Nicht alle Brautpaare haben das Bedürfnis, die eigene Hochzeit perfekt in Szene zu setzen. Es gebe durchaus auch das andere Extrem, gibt die Hochzeitsplanerin Luise Wagner zu bedenken. „Paare, die absolut nichts teilen wollen und die dann auch uns Dienstleistern die Fotos nicht zur Verfügung stellen, da dieser Tag für sie ganz privat ist und auch bleiben soll.“

Eines haben aber doch die meisten Hochzeitspaare mittlerweile gemein – um perfekt inszenierte Bilder auf Social Media kommen sie nicht herum. „Das Erste, was das Brautpaar macht, ist oft, ein Handy ins Gesicht halten und sagen: ,Schau, so stellen wir uns das vor, so soll es sein.‘“ Das habe durchaus auch Vorteile für die Hochzeitsplanung, weil so die Erwartungen von vornherein geklärt sind.

Natürlichkeit inszenieren. Diese Erfahrung hat auch Selina Schöberl gemacht. Sie ist Fotografin und spezialisiert auf Pärchen und Hochzeiten. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Paare Bilder von Instagram oder Pinterest zurechtlegen, die sie auch gerne hätten“, erzählt sie. Sie selbst sei als Fotografin bis zu einem gewissen Grad auch Teil der Inszenierung. Man müsse eine ungezwungene Situation gestalten, sagt die 25-Jährige aus Melk. Denn das Shooting per se sei es ja nicht.

Gewisse Posen vorzugeben oder das beliebte „Cheese“ anzuordnen, entspreche nicht ihrem Stil. Sie sei mehr auf der natürlichen Seite der Fotografie angesiedelt. Das heißt: „Ich versuche bei den Shootings, immer Situationen zu kreieren, in denen das Brautpaar natürlich ist, zum Beispiel natürlich anfängt zu lachen“, sagt Schöberl. Es gehöre eben zu den schwierigsten Sachen, Fotos zu machen, die nicht gestellt wirken.

Aber nicht nur die Hochzeitsfeier ist im Fokus der Kameralinse, sondern auch das Drumherum. Verlobungen werden gefilmt, Junggesellinnenabschiede auf Inseln im Mittelmeer ausgelassen zelebriert, Jahrestage zur Schau gestellt. Problematisch wird es vor allem, wenn das für die Gäste zur finanziellen Belastungsprobe wird. So erging es auch Tanja, die anonym bleiben möchte. Ihre Freundin bestand darauf, den Junggesellinnenabschied in Form einer mehrtägigen Reise auf Ibiza zu feiern, erzählt sie. Tanjas Vorschlag, eine weniger kostspielige Alternative zu wählen, wurde von der Braut abgelehnt. Frei nach dem Motto: Wer es sich nicht leisten kann, ist eben nicht dabei. Verlobungen auf die „traditionelle Art“, ganz ohne Ibizareisen und Videografen, gibt es aber natürlich nach wie vor. So privat war es etwa bei Jakob und Mara, „bei einer Wanderung an der Küste von Almería“. Geheiratet werden soll erst in zwei Jahren, mit Familie und Freunden. Eine Ankündigung auf Social Media wird es nicht geben, höchstens ein Foto danach.

Ehe als Ideal. Warum aber sind es überhaupt Hochzeiten, für die oft ein so großer Aufwand betrieben wird? Und warum wird gerade dieses Event so intensiv auf Social Media hergezeigt? „Die Ehe hat nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft“, sagt die Soziologin Schmidt. Sie gelte immer noch bei den meisten als das Ideal. Das zeigen Untersuchungen zum Thema, so etwa die Europäische Wertestudie: 76 Prozent der Befragten in Österreich widersprechen hier der Aussage, dass die Ehe eine überholte Einrichtung sei. Gleichzeitig ist die Institution aber brüchiger geworden. Scheidungen sind kein Tabu mehr, man kann mehrere Ehen im Laufe des Lebens führen, es gibt diverse andere Lebensformen abseits der Ehe. Diese Brüchigkeit führe auch dazu, dass an traditionellen Strukturen und Idealen wieder stärker festgehalten wird.

Auch die sozialen Medien fördern Traditionelles. Zwar werden hier sehr viele unterschiedliche Hochzeitsfeiern gezeigt, meist aber kommen sie ohne konventionelle Symbole nicht aus: weißes Kleid, Ringtausch, Brautstrauß, mehrstöckige Torte. „Selten wird jemand ein Foto posten, auf dem man zu zweit im Alltagsgewand vorm Standesbeamten steht und sich den Ring, den man sich aus der Hosentasche zieht, ansteckt“, sagt Schmidt. Auch wenn Scheidungen und mehrere Ehen kein Tabu mehr sind, ist der Bund fürs Leben nach wie vor das Ideal. „Das wird mit dieser öffentlichen Inszenierung auch zu verstärken versucht“, sagt die Soziologin. Es sei auch eine Strategie, mit der Brüchigkeit der Institution Ehe umzugehen.

Die romantische Liebe ist für viele immer noch das Ziel. Und obwohl, oder vielleicht auch gerade weil das Bewusstsein durchaus da ist, dass diese auch schlecht enden kann, wollen sie viele mit einer Hochzeit zelebrieren und besiegeln.

Die sozialen Medien versprechen dabei viel. Hier scheint alles perfekt zu sein. Für manche erzeugt das Druck, für andere die Hoffnung auf eine epische Liebesgeschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2023)

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