Fall Guttenberg: "Entzug des Doktortitels und Rücktritt fällig"

Fall Guttenberg Entzug Titels
Fall Guttenberg Entzug Titels(c) EPA (TOBIAS KLEINSCHMIDT)
  • Drucken

Der deutsche Verteidigungsminster habe schon in der Einleitung seiner Dissertation abgeschrieben, sagt der Medienwissenschafter und "Plagiatsjäger" Stefan Weber. Die Plagiate seien vorsätzlich und systematisch.

Der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) soll Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben. Der Medienwissenschafter Stefan Weber hat 2007 dem damaligen österreichischen Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) vorgeworfen, Teile seiner Dissertation abgekupfert zu haben. Die Beweise gegen Guttenberg sieht er als erdrückend an. Der Verteidigungsminister habe vorsätzlich und systematisch abgeschrieben. Schon die ersten Zeilen der Einleitung seien ein Plagiat.

DiePresse.com: Der deutsche Verteidigungsminister steht unter Plagiatsverdacht. Welche Schritte sind jetzt notwendig?
Stefan Weber: Mann muss diese ganze Arbeit durchgoogeln, man muss sie mit Plagiatssoftware testen und überprüfen, wie oft plagiiert wurde. Wenn das, wie sich im Fall Guttenberg gezeigt hat, schon in der Einleitung passiert ist, besteht der Verdacht, dass hier systematisch vorgegangen wurde. Und dann ist es ein schwerer Fehler der Begutachter, ihm dafür eine Auszeichnung gegeben zu haben. Jeder muss im Jahr 2006 die Fähigkeit gehabt haben, ein paar Stichwörter zu googeln. Hätten die Betreuer das getan, hätten sie bemerkt, dass schon die Einleitung abgeschrieben ist. Von den weiteren Stellen, die auch eindeutig belegt sind, rede ich jetzt gar nicht.

Die Textduplikate umfassen mehrere Seiten. Wie viel braucht es, bis der Doktortitel aberkannt wird?
Wie viele Stellen, das kann man nicht quantifizieren. Ich kann nicht sagen, von 400.000 Zeichen müssen 100.000 Plagiat sein. Das Plagiat muss vorsätzlich passiert sein und das ist in diesem Fall nachzuweisen. Das ist ein intentionales Plagiat, ganz sicher. Da sind wir in einem Bereich, der so exakt ist, wie die Naturwissenschaften. Da gibt es keinen Zweifel. Und der Hinweis darauf, dass es sehr oft passiert ist, ist sehr stark, wenn schon in der Einleitung und in einem Kapitel, das er „persönliches Resümee“ nennt, Plagiate vorkommen. Das ist schon erdrückend.



Wenn das belegt wird, welche Konsequenzen muss das haben?
Meiner Meinung nach ist in diesem Fall alles fällig: vom Entzug des Doktorgrades bis zum Rücktritt. Wenn Guttenberg, ein Politiker, der doch deutlicher als (der ehemalige österreichische Wissenschaftsminister Johannes, Anm.) Hahn des Plagiats überführt wird, nicht zurücktreten würde, wäre das auch ein negatives Zeichen erster Ordnung für die Wissenschaftskultur. Das würde heißen, dass Textbetrug nur ein minderes Delikt ist.

Die Dissertation wurde mit summa cum laude benotet, sie ist in einem renommierten Fachverlag erschienen. Hat die Wissenschaft kein Interesse an Qualitätssicherung?
Es herrscht immer noch das Prinzip „Quantität vor Qualität“. Wenn eine Dissertation wie in diesem Fall 450 Seiten hat und viele hunderte Fußnoten, dann geht man offenbar davon aus, dass das per se schon eine Leistung ist. Ich sage dann immer,  von 500 Fußnoten können trotzdem 400 aus anderer Literatur abgeschrieben sein und der Autor hat die Originale vielleicht gar nicht gelesen. Quantität ist überhaupt kein Indikator dafür, ob die Arbeit gut ist. Die Frage, warum Gutachter in so einem Fall – Guttenberg war ja damals schon kein No-Name – nicht genau schauen, ist mir unerklärlich. Wenn ich einen Fließtext bekomme, bei dem der Autor mir klar macht, das hat er selbst geschrieben, dann google ich aus einem inneren Reflex heraus diesen Text, um sicherzustellen, dass er nicht plagiiert ist.

Der Fall Guttenberg erinnert an Johannes Hahn. Dieser Fall wurde ad acta gelegt. Waren die Mängel nicht gravierend genug – oder wird in solchen Fällen mit anderem Maß gemessen?
Im Fall Hahn ist sicherlich mit anderem Maß gemessen worden. Man hat die Arbeit bis heute nicht systematisch überprüft. Es gibt immer zwei Vorgangsweisen, wenn man einmal einige Plagiate gefunden hat. Entweder, die Universitäten sagen: Wir schauen uns das alles an und wir wollen mehr finden. Oder sie sagen, wir hoffen, dass wir nicht mehr finden, denn dann können wir sagen, das, was gefunden wurde, ist zu wenig. Im Fall Hahn hat man immer nur meine Plagiatsfunde einem befreundeten Züricher Professor geschickt, der dann gesagt hat: Das ist ein paar Mal passiert, wohl aus Schlampigkeit. Aber man hat nie gefragt, was diese Funde für die gesamte Arbeit bedeuten könnten. Wenn man bei Guttenberg jetzt sagt, das sind ja nur ein paar Seiten von 450, wäre das das falsche Signal. Das wäre traurig für die Wissenschaftskultur.

Zum Thema Schlampigkeit: Mitunter verlieren Wissenschaftler den Überblick über ihre Exzerpte – ist das ein Milderungsgrund?
Nein. Die Ausrede „das ist mir beim Exzerpieren hineingerutscht“ funktioniert nicht, wenn man, wie im Fall Guttenberg, von 20 Zeilen drei Wörter umgeschrieben hat. Damit ist die Intention bewiesen. Hineingerutscht kann etwas ja nur sein, wenn man es in die Arbeit hineinkopiert und dann vergisst, es umzuschreiben. Damit könnte man sich rausreden.

Immer öfter tauchen Plagiatsvorwürfe auf. Sehen Sie die wissenschaftliche Textkultur im Niedergang?
Es ist traurig, dass die Betreuer oft nicht zwischen einer ehrlichen und einer unredlichen Arbeit unterscheiden können. Das eigentliche Drama ist aber, dass Leute, die in ihrer Ausbildung heucheln lernen, auch ein Signal für ihre Berufswelt mitbekommen: Nämlich, dass es funktioniert, wenn man gut betrügt. Das ist etwas, was im Tierreich gilt, worüber sich die Menschen aber eigentlich emanzipiert haben. Wir wollen ja nicht das Gesetz des Stärkeren, wo der aufgefressen wird, der sich schlecht tarnt. Genau das wird aber so eigentlich gestärkt.

Hinter vorgehaltener Hand wird über Sie oft als „selbsternannter Rächer“ gelästert. Was ist Ihre Motivation?
Der Ursprung ist nicht, dass ich selbst plagiiert worden bin, wie oft berichtet wird. An der Uni Klagenfurt habe ich ab 2002 nur mehr Websamplings eingereicht bekommen. Das war für mich kein wissenschaftliches Arbeiten. Da hat es Streit gegeben, Krisensitzungen, Lehrveranstaltungsabbruch. Dann hat sich ergeben, dass ich im Rahmen von Forschungsprojekten selbst recherchiert habe, wie groß das Ausmaß an plagiierten Arbeiten ist. Von 125 untersuchen Arbeiten wurde ein Grad aberkannt. Bedenken Sie einmal, jedem hundertsten Magister oder Doktor müsste der Titel entzogen werden. 

Zur Person

Stefan Weber ist ist ein österreichischer Medienwissenschaftler und Publizist. Wegen seines unerbittlichen Vorgehens gegen Plagiate wird er gerne als "Plagiatsjäger" betitelt. Für Aufsehen sorgte er 2007, als er dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) vorwarf, in seiner Dissertation "seitenweise unzitiert abgeschrieben" und "absolut schlampig gearbeitet" zu haben.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.