Plagiate: "Immer Zufall, wenn man auf etwas stößt"

Plagiate Immer Zufall wenn
Plagiate Immer Zufall wenn(c) FABRY Clemens
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Peter Weingart, Vorsitzender der "Kommission für wissenschaftliche Integrität", sprach im Interview mit der "Presse" über Schummelei in der Wissenschaft und die Rolle des Internet.

Die Presse: Seit dem Fall Guttenberg sind Plagiate in aller Munde. Hat das auch etwas Gutes für den Wissenschaftsbetrieb?

Peter Weingart: Wenn es etwas Gutes hat, dann, dass es sowohl die Öffentlichkeit als auch die jungen Leute, die gerade an ihren Arbeiten sitzen, darauf aufmerksam macht, dass es sich um eine ernste Sache handelt und nicht um eine Kleinigkeit.

Wie viele Absolventen verlassen die Uni jedes Jahr mit einem erschummelten Abschluss?

Das kann man nicht sagen. Es gibt Schätzungen, aber die sind so unterschiedlich, darauf kann man überhaupt nichts geben. Sie reichen von 0,05 Prozent bis 25 Prozent. Aber wir wissen es nicht, weil unentdeckte Fälle eben unentdeckt bleiben.

Finden sich die Übeltäter auch unter den Professoren selbst?

Fehlverhalten zieht sich durch die ganze Wissenschaft hindurch. Es fängt bei den Studenten an. Und genauso gibt es Fälle von Professoren, die Daten fälschen.

Wie viele Fälle hat die Agentur für Wissenschaftliche Integrität in Österreich bisher untersucht?

Es gab 21 Anfragen, bisher wurden sechs Fälle bearbeitet. Einen Fall wegen möglicher Datenfälschung hat die Kommission bereits abgeschlossen, da konnten die Vorwürfe nicht bestätigt werden, allerdings waren Experimente und Dokumentation der Daten nicht besonders gut geführt. Einige weitere Anfragen sind noch offen, was die weitere Vorgangsweise betrifft.

Die Agentur wird häufig für ihr Stillschweigen kritisiert.

Wenn wir einen Hinweis bekommen, ist es wichtig, dass sowohl der Hinweisgeber als auch der Beschuldigte zunächst geschützt werden. Ersterer, weil oft Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Zweiterer, weil sich der Verdacht doch als unbegründet erweisen kann. In der Wissenschaft ist Irrtum nicht gleich Fehlverhalten. Da bedarf es absoluter Diskretion. Wir sind kein Gericht, wir haben auch keine Rechte zur Sanktion. Es geht nur darum zu klären, ob fehlerhaft gehandelt wurde oder nicht.

Wenn die Agentur keine Sanktionsmöglichkeiten hat, kann sie dann überhaupt wirksame Arbeit leisten?

Ich denke schon. Indem sie die Betroffenen auf ihr Fehlverhalten hinweist und sie sich ertappt fühlen. Und indem infolgedessen alle, die davon Kenntnis erhalten, in der Einhaltung der Regeln bestärkt werden.

Funktioniert das auch?

Das ist eine schwierige Frage. Die Selbstreinigung der Community funktioniert in dem Maß, in dem Fehlverhalten aufgedeckt wird und so diskutiert und behandelt wird, dass die übrige Community darauf aufmerksam wird. Und indem dann jeder für sich klären muss, ob er oder sie tatsächlich den Weg über die Schummelei nehmen will.

Guttenbergs Dissertation ist sehr gut benotet worden, in einem renommierten Verlag erschienen. Da hatte es fast den Anschein, die Wissenschaft habe kein Interesse an Qualitätssicherung.

Das kann man so nicht sagen. Den Betreffenden ist bei der Begutachtung entgangen, dass es sich um ein Plagiat in großem Stil handelt. Das kann passieren, bei den Textmengen, die jeder zu verarbeiten hat. Es ist immer Zufall, wenn jemand auf etwas stößt. Es sind Augenblicke, in denen sich jemand zufällig erinnert, dass er einen Text schon einmal gelesen hat, und dem dann nachgeht. Aber man kann nicht sagen, dass die Wissenschaft kein Interesse an Qualitätssicherung hat. Die Einrichtung von Kommissionen für wissenschaftliche Integrität und Ähnliches belegt das Gegenteil. Es ist aber bei der unvorstellbaren Menge an Informationen einfach wahnsinnig schwierig, Verstöße zu entdecken.

In Zeiten von Anti-Plagiats-Software und Google müsste es aber um einiges einfacher sein, Kopien zu entlarven.

Ja, das ist auch so. Wenn man so will, ist das eine positive Entwicklung. Längst nicht alle Universitäten haben dieses System aber eingeführt. Das kostet Geld, das kostet einen gewissen Aufwand.

Ist das Internet umgekehrt eine Gefahr für die Wissenschaft? Macht es das Betrügen zu einfach?

Es macht das Betrügen extrem einfach. Im Fall Guttenberg ist das ja auf eine geradezu unglaubliche Weise primitiv gemacht worden, indem er – oder wer auch immer das gemacht hat – ganze Textpassagen übernommen und dann auch noch leichte Veränderungen vorgenommen hat, um den Eindruck nicht allzu offenkundig werden zu lassen. Da fragt man sich, warum eigentlich immer noch diskutiert wird, ob das bewusste Täuschung ist oder nicht.

Zur Person

Peter Weingart (69) ist seit Jänner 2011 Vorsitzender der Kommission der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI). Der Soziologe ist emeritierter Professor am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Uni Bielefeld. Die OeAWI untersucht seit Juni 2009 Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2011)

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