Jährlich fallen rund zehn Prozent der Schüler frühzeitig - oft sogar ohne Hauptschulabschluss - aus dem österreichischen Bildungssystem. Kritik üben Bildungsexperten an den fehlenden präventiven Maßnahmen.
Wien/Chs/J.n. Zumindest auf eine gemeinsame Sprachregelung zum Thema Bildungspflicht hätte man sich in der Koalition einigen können – hat man aber nicht: Während Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) eine „Ausbildungspflicht“ bis zum 18. Lebensjahr wollen, beschreiten Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon den entgegengesetzten Weg: Man wolle einen „Paradigmenwechsel“, weg von der klassischen Schulpflicht, so Amon am Mittwoch. Denn: Als solche soll diese künftig gar nicht mehr wahrgenommen werden, eher als „Bildungsgarantie“ oder als „Bildungsangebot“.
Nicht erreicht wird damit der relativ hohe Anteil an „Bildungsverweigerern“ im heimischen Schulsystem: Rund zehn Prozent sind laut Eurostat sogenannte „Early School Leavers“ – also Jugendliche, die frühzeitig, und oft nicht einmal mit Hauptschulabschluss, nach neun Jahren Schulpflicht aus dem System fallen. Österreich liegt damit zwar knapp unter dem EU-15-Schnitt (rund 17 Prozent) – beim Anteil der sogenannten „Risikoschüler“, die im Zuge von Kompetenzmessungen erhoben werden, liegt Österreich jedoch bereits signifikant über dem Durchschnitt. Am höchsten ist das Risiko einer kurzen Bildungskarriere bei Migranten sowie bei Kindern, deren Eltern arbeitslos sind oder selbst einen niedrigen Bildungsabschluss vorweisen. Ähnliches zeigt sich beim „Schwänzen“. Zwölf Prozent sind laut einer Studie der Uni Graz „Dauerschwänzer“. Besonders hoch ist der Anteil in der siebten bis neunten Schulstufe.
Kritik üben Bildungsexperten an den fehlenden präventiven Maßnahmen: So gebe es speziell bei den Elf- bis 14-Jährigen durch die Halbtagsschule und die steigende Berufstätigkeit der Eltern eine „Betreuungslücke“, sagt Johann Bacher, Bildungsforscher an der Uni Linz. Er fordert eine Ganztags- sowie eine gemeinsame Schule. Denn: Die frühe Differenzierung im Schulsystem verstärke die Effekte. „Wenn jemand in der Hauptschule in die dritte Leistungsgruppe gesteckt wird, zerstört das jede Lernmotivation.“
Die rechtlichen Mittel, um etwa gegen „Schwänzer“ vorzugehen, sind gering. Während etwa in Frankreich seit Jahresanfang Eltern von Schulschwänzern die Kinderbeihilfe gestrichen wird, sieht das Schulpflichtgesetz hierzulande lediglich eine Geldstrafe von bis zu 220Euro vor, die die Eltern (meist nur im Extremfall) zahlen müssen. Den Schülern selbst droht eine Feststellungsprüfung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2011)