Dem deutschen Energieriesen entgehen durch die dreimonatige Stilllegung von Atommeilern Millionenbeträge. Gute Chancen auf Erfolg werden der RWE-Klage von den Grünen eingeräumt. Die Aktie schwächelt aber schon länger.
Berlin/Wien/E.m./Red. Der deutsche Energiekonzern RWE hat am gestrigen Freitag eine Klage gegen die von den Behörden angeordnete vorübergehende Abschaltung seines Atomkraftwerks Biblis A eingebracht. Nun droht ein langer Rechtsstreit. Mit einem Urteil sei „nicht innerhalb der nächsten Wochen zu rechnen“, sagte ein Sprecher des zuständigen Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel. Sollte RWE recht bekommen, stünde das derzeit geltende, von der Regierung beschlossene Atom-Moratorium infrage.
Abwärtstrend seit einem Jahr
Für eine Einstellung des Betriebs fehle die rechtliche Grundlage: So begründete RWE den Schritt. Denn „die deutschen Kernkraftwerke erfüllen die geltenden Sicherheitsanforderungen“. Mit der Klage stelle RWE die Wahrung der Interessen seiner Aktionäre sicher. Die RWE-Aktie hatte nach Beschluss des Moratoriums stark nachgegeben. Inzwischen hat sie sich etwas erholt und kostet derzeit etwa 45,4 Euro.
Das Papier befindet sich jedoch schon seit mehr als einem Jahr in einem Abwärtstrend. Im Februar hatte die Konzernführung bekannt gegeben, dass sie bis 2013 mit schrumpfenden Gewinnen rechne. Der Grund seien Kosten im Zusammenhang mit der Atomsteuer, Aufwendungen für die Förderfonds für erneuerbare Energien, Nachrüstauflagen für Atomkraftwerke und ein schärferer Wettbewerb.
Durch den dreimonatigen Stillstand des AKWs entgehen dem Konzern Millionenbeträge. Pro Tag produziert Biblis A Strom im Wert von 1,7 Mio. Euro. Theoretisch könnte RWE mit der Klageeinreichung den Meiler sofort wieder anfahren. Das ist aber laut einer Sprecherin nicht geplant.
Vorläufig steht RWE mit seinem Vorgehen unter den vier großen deutschen Stromversorgern allein da. EnBW prüft den Moratoriumsbescheid derzeit noch, E.On und Vattenfall wollen von juristischen Schritten absehen.
Gute Chancen auf Erfolg werden der RWE-Klage von den Grünen eingeräumt. Die Regierung habe es verabsäumt, ihr Moratorium auf eine gesetzlich einwandfreie Basis zu stellen, erklärte dazu Bärbel Höhn, Vizevorsitzende der grünen Bundestagsfraktion.
Die Koalition hatte als Reaktion auf das Atomunglück in Japan ein dreimonatiges Moratorium verhängt und sich dabei auf Paragraf 19 des Atomgesetzes berufen.
Demnach kann die Stilllegung eines Kraftwerkes verlangt werden, wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter bestehen. Vom Moratorium betroffen waren die beiden südhessischen Atommeiler Biblis A und B. Block A wurde danach heruntergefahren, Block B stand wegen einer Überprüfung ohnehin still.
Rechtmäßigkeit bezweifelt
Die Rechtmäßigkeit wird von einer Reihe namhafter Juristen bezweifelt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wischte jedoch rechtliche Bedenken, die teils auch in ihrer eigenen Partei geäußert wurden, als „juristische Spitzfindigkeiten“ vom Tisch.
Über die Frage, ob die Meiler nach Ablauf des Moratoriums wieder ans Netz genommen werden, gebe es in der Koalition noch keine Entscheidung, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Damit widersprach er einem Bericht der „Leipziger Zeitung“, demzufolge ein Ausstiegsfahrplan für die abgeschalteten AKW bereits beschlossene Sache sei. Im jüngsten ZDF-Politbarometer äußerten 55 Prozent der befragten Deutschen Zweifel an einer dauerhaften Abschaltung nach dem Moratorium. Schüssel bei der RWE siehe S.2.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)