Das österreichische Parteiengesetz erlaubt es dem streitbaren Parlamentarier des Europaparlaments Hans-Peter Martin weitgehend ohne Mitarbeiter und ohne Kontrolle zu arbeiten. Das ist einzigartig in Westeuropa.
Brüssel/Wien. Martin Ehrenhauser kann sich nicht daran erinnern, dass es jemals einen Parteitag der „Liste Martin“ gab. Der von Hans-Peter Martins Delegation abgesprungene EU-Parlamentarier war zwar nie Mitglied der Partei Martins. Allerdings galt er über Jahre hinweg als sein engster Vertrauter und Mitarbeiter. Angelika Werthmann, sie hat Martin im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt, versuchte ebenfalls Kenntnis über Parteistruktur und Parteimitglieder zu erlangen: „Doch da war nichts“, sagt sie. Ähnlich erging es Karin Resetarits. Sie setzte sich schon 2005 von Martin ab und sprach damals von einer „Scheinpartei“, für die Martin Parteitage nur ankündigte, aber nie abhielt.
Ist die „Liste Martin“ eine Einmannpartei? Martin selbst bestreitet dies, benennt aber weder Mitglieder, noch gibt er die Strukturen seiner Partei preis. Das Erstaunliche daran: Laut österreichischem Parteiengesetz muss er das auch nicht tun. Im Innenministerium liegt bloß eine Abschrift der Statuten, die äußerst vage zu halten und die von keiner Stelle zu prüfen sind. Einen Verein zu gründen, ist jedenfalls aufwendiger.
Martin ist alles in seiner Partei
Die Statuten der „Liste Dr. Martin– Für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit“ (so heißt sie seit 2006) sind jedenfalls mehr als skurril. In Paragraf 13 wird aufgelistet, dass die Vertretung nach außen und die Geschäftsführung allein dem Parteivorsitzenden obliegen. Unter Organen der Partei finden sich der Parteitag und der Parteivorstand, wobei wörtlich festgelegt ist: „Der Parteivorstand besteht aus einem Mitglied, nämlich dem Parteivorsitzenden, welcher vom Parteitag für die Dauer einer Amtsperiode gewählt wird.“
Wer, wann und ob überhaupt jemand gewählt wurde, sieht sich aber keiner an. Weder im Innenministerium, noch bei der Staatsanwaltschaft ist man für die Kontrolle der Parteistrukturen und die Einhaltung der Statuten zuständig. Am ehesten könne sich der Rechnungshof das ansehen, glaubt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Thomas Vecsey.
Ohne aufmüpfige und kritische Funktionäre tut sich eine Einmannpartei leicht. „Der Fall Martin ist wahrscheinlich der krasseste“, findet der Politikwissenschaftler Hubert Sickinger. Aber auch die Liste von Fritz Dinkhauser habe die Sache recht dreist angelegt, auf seine Kritik hin aber zumindest einen Parteitag abgehalten. Und das System der Parallelkassen, das die FPÖ unter Jörg Haider praktiziert habe, sei insofern anders gewesen, als es sich dabei um Spendengelder und keine staatlichen Subventionen gehandelt habe. Martins Ausrede, er habe die teils kurios überhöhten Abrechnungen zwecks Einrichtung eines geheimen „Aktivitätenfonds“ gewählt, hält Sickinger für lächerlich. „Das Geld hätte er auch in der Partei belassen können.“ Da schaut Martin ja offensichtlich ohnehin niemand über die Schulter.
Ohne Mitglieder kein Geld
Dass das Fehlen jedweder interner Kontrolle überhaupt möglich ist, sieht der Experte für Parteienfinanzierung als schweren Fehler und einzigartig in Westeuropa an. Üblicherweise muss eine Partei ein, zwei Dutzend Mitglieder und intakte stabile Strukturen aufweisen, ehe sie staatliche Subventionen bekommt. „Selbst in kleinen Ländern wie Tschechien oder Slowenien sind sogar hunderte Mitglieder gefordert“, so Sickinger.
Wie es mit Martin und den Vorwürfen seines früheren Mitstreiters Ehrenhauser – er spricht von einer Million für Privatzwecke abgezweigten Mitteln – weitergeht, wird sich wohl erst nach Ostern entscheiden. Die Staatsanwaltschaft Wien hat jedenfalls einen Auslieferungsantrag ans EU-Parlament gestellt. „Bei Martin ist das aber schwieriger als im Fall Strasser“, so Vecsey, da Martin als aktiver und nicht zurückgetretener EU-Abgeordneter die volle Immunität genießt.
Martin selbst sprach mit der „Presse“ nicht über seine Parteistrukturen. In der „ZiB“ antwortete er unlängst auf die Frage, wie viele Mitglieder seine Partei hat, zehn oder mehr? „Lassen wir das.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2011)