Eva Umlauf: "Israel ist für uns eine rettende Idee"

Umlauf Israel fuer eine
Umlauf Israel fuer eine(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Ärztin und Psychotherapeutin Eva Umlauf hat Auschwitz überlebt. Da war sie zwei Jahre alt. 66 Jahre später hat sie im früheren Konzentrationslager am Jahrestag der Befreiung eine Gedenkrede gehalten.

Sie sind 1944 als eines der letzten Kinder ins Vernichtungslager von Auschwitz gekommen. Wie haben Sie das überlebt?

Eva Umlauf: Ich bin die jüngste Überlebende, der man eine Nummer eintätowiert hat. Das hat mir eine polnische Forscherin gesagt. Meine Mutter war im vierten Monat schwanger, als wir nach Auschwitz gebracht wurden. Meine Schwester wurde am 26.April 1945 geboren. Meine Mutter hat noch einen Fünfjährigen zu sich genommen, der seine Eltern im Chaos verloren hat. Für die Kinder war es sehr schwer zu überleben, sie haben sehr schnell ihre Kräfte verbraucht, wurden leichter krank. Unser einziges Glück war, dass wir um zwei Tage zu spät nach Auschwitz gekommen sind. Seit 31.Oktober 1944 hat man nicht mehr vergast, wir sind am 2.November 1944 angekommen.

Warum wurden Sie noch tätowiert? Die Rote Armee stand bereits vor der Stadt.

Mit Logik kann man das nicht erklären. Die Nazis wollten noch alles vertuschen. Es gab weiterhin Todesmärsche, bei einem solchen ist mein Vater erschossen worden. Aber vergast haben sie nicht mehr, weil sie wussten, dass das Ende naht. Sie wollten das Archivmaterial vernichten, aber es war zu spät. Ein paar Hundert, die nicht transportfähig waren, blieben in Auschwitz. Darunter waren wir.

Es gibt Fotos von Ihnen, im Schnee, da waren Sie nicht einmal zwei Jahre alt.

Das war noch in Novaky, einem Arbeitslager in der Slowakei, als es uns noch relativ gut ging, was die Kleidung und das Essen betraf.

Sie waren zu jung für bewusste Erinnerung. Wie aber hat Sie dieses Trauma geprägt?

Ich kam am 19.Dezember 1942 in Novaky auf die Welt. Dieses Lager wurde nach und nach evakuiert. Wir waren die Letzten, die vor uns kamen direkt in die Gaskammer. Wir wohnten in Baracken. Davon ist heute keine Spur mehr zu sehen, es gibt nicht einmal eine Gedenktafel. Mein Vater kam in ein Männerlager. Wir haben ihn nach Novaky nicht mehr gesehen. Von seiner Ermordung hat man uns erzählt. Die Erinnerung mischt sich immer mit Erzähltem. Aber es gibt eine tiefe unbewusste Erinnerung, die Seelen-Erinnerung, die man in sich trägt. Ich war sehr krank, hatte Tuberkulose und Gelbsucht. Man sagte meiner Mutter, ich würde das nicht überleben. Sie war 21 und sehr stark, mit drei Kindern in Auschwitz. Sie hat außer uns alle Familienmitglieder verloren. Sie war das jüngste von vier Kindern.

Wie hat Ihre Mutter das später verarbeitet?

Meine Mutter hat sehr wenig geredet. Als wir später fähig waren zu fragen, hat sie nur das gesagt, was sie musste.

Konnten Sie als Psychotherapeutin helfen?

Diesen Beruf habe ich später gewählt, zusätzlich zu dem der Kinderärztin. Das hatte schon Gründe, dass wir uns helfenden Berufen zuwandten. Meine Mutter war Lehrerin und hat auch mit Kindern gearbeitet. Sie war sehr mutig, hat uns streng, aber mit viel Liebe erzogen. Doch am Ende ihres Lebens wurde sie sehr depressiv. Da haben sich die Folgen von Auschwitz gezeigt. Meine Mutter hatte alle ihre Reserven verbraucht, der Akku war leer. Sie ist nur 72Jahre alt geworden. Der Stecker war nicht mehr da, der sie aufladen konnte. Die Kinder waren aus dem Haus, da kam dann all das Vergangene hoch in ihr. Wenn man älter wird, werden einem auch die Werte klar, man weiß, wo man hingehört.

Nach Auschwitz kamen Sie zurück in die Slowakei, vom Naziterror in den Kommunismus. Ihnen blieb nicht viel erspart.

Wir kamen von der braunen in die rote Diktatur. Ich war die erste aus der Familie, die die Tschechoslowakei verließ, nach dem Medizinstudium. 1966 habe ich einen polnischen Shoa-Überlebenden geheiratet. Wir gingen in den Westen. 1968, als die Russen in die ČSSR einmarschierten, kamen meine Mutter, ihr zweiter Mann und meine Schwester nach. Die Slowaken meinen bis heute, dass sie mit dem Holocaust nichts zu tun gehabt haben, so wie die Ungarn. Aber ohne ihre Hilfe wäre Hitler wohl nie so weit gekommen.

Hat man Sie in der Slowakei auf den Holocaust angesprochen? Gehörten die Überlebenden zu den Helden des Antifaschismus?

Aber nein, man hat sich doch eher verstecken müssen. Zum Vorzeigen waren die Juden nicht da. Der Antisemitismus ist geblieben, der ist auch heute noch da. Aus der Synagoge wurde ein Lager für Stoffe gemacht. Die Religion hatte keinen Platz im Kommunismus. Trotzdem wussten wir alle, dass wir Juden waren und versuchten, die Feiertage zu zelebrieren. Man hatte aber auch Angst. Es gab Schauprozesse, bei denen immer wieder Juden angeklagt wurden. Wir waren bestimmt keine braven Kommunisten. Meine Mutter hat immer gesagt, Juden gehörten nicht in eine Partei.

Sie haben am 27.Jänner dieses Jahres in Auschwitz bei der Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung gesprochen. Das ist eine große Auszeichnung. Aber wie erging es Ihnen dabei? Das wird eine unglaublich schwierige Aufgabe gewesen sein.

Der Gedenktag war nicht so schlimm wie die Vorbereitung. Als man mich fragte, fragte ich mich, wozu ich das brauchte. Ich wollte meine Ruhe haben. Dann habe ich mit meinen drei Söhnen gesprochen. Der älteste sagte zuerst scherzhaft, ich als jüngste Überlebende sollte das machen. Aber am nächsten Tag rief er ernsthaft an und riet mir, es zu tun. Er lebt in Hongkong und kam für einen Tag von dort nach Auschwitz, um mich zu unterstützen. Auch sein Vater war ein Überlebender des Lagers. Der Vortrag ist mir sehr schwergefallen, ich habe zuvor viel weinen müssen, um dort oben auf dem Podium nicht zu weinen. Das war ein hartes Training. Es waren noch ein paar Überlebende dort. Es gibt noch ungefähr 500, und davon kommen jetzt noch zirka 50 zur Gedenkveranstaltung, sehr viele davon aus Polen. Die meisten waren viel älter als ich.

Was haben die Opfer miteinander geredet?

Die ganze Veranstaltung war in der sogenannten Sauna, dem Raum, in dem sich die Menschen entkleidet haben, ehe sie in die Gaskammer gebracht wurden. Das muss man alles von sich wegschieben beim Reden. Ein neunzigjähriger polnischer Schauspieler, der überlebt hat, sprach ebenfalls. Er hat interessante Sachen gesagt. Aber danach haben wir nicht viel geredet, wir waren alle richtig erschöpft. Geholfen hat mir, dass meine Söhne so stolz auf mich waren.

In Ihrer Rede haben Sie erwähnt, dass Sie und Ihre Mutter bei der Rückkehr von Auschwitz in die Slowakei von den Leuten erstaunt angesprochen wurden. Diese sagten, dass Sie lebten, sei ein Wunder.

Ich wusste als kleines Mädchen gar nicht, was ein Wunder ist, hüpfte herum und wunderte mich, dass man sich so darüber freute, dass ich lebte. Ich konnte es mir gar nicht anders vorstellen. In unserer Kleinstadt gab es fünf, sechs jüdische Familien. Das ist mir geblieben – dass ich mich als etwas Besonderes sah.

Viele Menschen haben nach Auschwitz den Glauben verloren. Wie geht es Ihnen dabei?

Ich bin kein sehr religiöser Mensch. Die Religion ist für mich Tradition, ich fühle mich ihr zugehörig, das ist wichtig für die Familie. Dieser innere Glaube hat auch etwas mit Gott zu tun. Aber ich bin keine, die all diese 628 jüdischen Gebote oder Verbote hält. Oder sind es gar noch mehr?

Wie äußert sich Identität bei Ihren Kindern?

Bei meiner Mutter hat man nicht koscher gekocht, und schon gar nicht ist das bei meinen Kindern der Fall. Aber das Gefühl der Zugehörigkeit zum Judentum ist bei ihnen vorhanden, auch wenn sie kein besonders religiöses Leben führen.

Und welche Rolle spielt Israel dabei?

Diese grundsätzliche Frage ist enorm wichtig. Es ist für uns eine rettende Idee. Wenn alles noch einmal kommen sollte, dann haben wir wenigstens ein Plätzchen, wo wir hingehen können.

Wie stehen Sie zum Erinnern und Vergessen in Bezug auf die Geschichte?

Die Erinnerungskultur wird sich ändern. Die Leute sagen oft, sie wollen nicht schon wieder etwas über den Holocaust hören. Man sollte aber vor allem bei den Kindern das Interesse wecken, nicht nur, indem man ihnen Bücher in die Hand drückt, sondern, indem man ihnen davon einfach erzählt. Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Interesse doch besteht. Max Mannheimer, ein Dachau-Überlebender, der bereits 91 ist, macht das. Er geht in die Schulen und erzählt einfach. Das sind faszinierende Stunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2011)

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