Life Ball 2011: Zwischen Hilfe und Spektakel

Life Ball 2011 Zwischen
Life Ball 2011 ZwischenAPA
  • Drucken

Der 19. Life Ball im Wiener Rathaus: Ein opulentes Spiel mit vielen Stars. Es zeigt, dass HIV und Aids noch immer ein großes Problem sind.

Sorgenvolle Blicke nach oben: Über dem Rathausplatz ziehen sich die Wolken zusammen. Die vielen, vielen Zuschauer, die gekommen sind, um all die Stars und die schrille Show zu sehen, bangen: Hält das Wetter oder wird die Eröffnung unter freiem Himmel auf der gigantischen Bühne so wie im Vorjahr abgesagt? Egal, der Countdown läuft – und das Wetter spielt diesmal mit! Es ziehen die Würdenträger ein, die Vertreter der Republik und der Hilfsorganisationen, die Eröffnungspaare drehen sich, und dann, dann ertönt Georg Friedrich Händel. 13 Minuten lang entführen Engel und antike Götter die Zuschauer in eine Zwischenwelt, stellen Fragen nach Moral, nach Gut und Böse, Anständig und Unanständig.

Nach den Himmelswesen sind die Menschen dran. Bill Clinton, Unaids-Chef Michel Sidibe, Angela und Margherita Missoni und Vivienne Westwood, Thomas Gottschalk, Tatjana Patitz und Dagmar Koller. Den größten Trubel gibt es an diesem Abend um Janet Jackson. Abgeschirmt von Bodyguards kämpfte sie sich von Interview zu Interview und danach Richtung Bühne. „Man kann gar nicht genug machen“, sagte die Sängerin. Zu den Anwesenden reihen sich die Abwesenden: Auf dem Bildschirm erscheinen Lady Gaga, Kofi Annan und mit Liz Taylor auch eine, die nicht mehr unter den Lebenden weilt. Gemeinsam blickt man für ein paar Minuten 30 Jahre zurück.

Es ist ein dunkles Jubiläum. 1981 war vom US-Center of Disease Control eine ungewöhnliche Häufung von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen bei bis dahin gesunden jungen homosexuellen Männern beschrieben worden. In der Folge erkannte man auch eine Häufung von bösartigen Erkrankungen und seltenen Krebsarten.

Dean und Dan. Zu lange hat es gedauert. Der Gedanke, dass nur Homosexuelle von HIV betroffen seien, trug viel zu Diskriminierung und Ausgrenzung bei, unter der Betroffene bis heute leiden. „Spread The Wings of Tolerance“, lautete der Aufruf. Und Flügel wurden bei diesem Life Ball reichlich gespreizt, dem Elemente-Zyklus folgend war heuer die Luft an der Reihe.

Ein exaltiertes Spektakel? Klar ist, dass bei hunderten Mitwirkenden und Dutzenden Prominenten nicht jeder den gleichen persönlichen Bezug hat. Dass sich manche über die Gelegenheit zur Party freuen und andere den Red-Ribbon-Laufsteg nicht ungern (auch) zur Selbstdarstellung nützen. Aber eben nicht nur. Manche Künstler haben im eigenen Leben Erfahrungen mit der Immunschwächekrankheit gemacht. Janet Jackson, Dean und Dan Caten – die Designer, die für die fulminante Modenschau mit Models wie Lydia Hearst sorgten – haben Freunde und Kollegen verloren, Sängerin Natasha Bedingfield einen engen Freund der Familie.

An einen Toten dachte auch – schon bei der mittäglichen Pressekonferenz unter Tränen – Ball-Chef Gery Keszler. Und an die Arie, die das Sterben des Freundes begleitet hatte. Zwölf Jahre hat er das Händel-Werk nicht gehört, heuer arbeitete er es zu einem fulminanten Life-Ball-Auftakt um. Für die Show ließ er die Bühne 80 Meter in die Höhe wachsen und unzählige Künstler fliegen. Jedes Jahr versucht er sich selbst zu übertreffen, um Geld zu lukrieren für nationale und internationale Aids-Hilfen und Stiftungen, die Betroffenen helfen, Prävention fördern und Forschung vorantreiben.

Frankie goes to Hollywood. Wie viel sich in den vergangenen 30 Jahren schon getan hat, zeigt die Tatsache, dass Holly Johnson auf der Bühne stehen konnte. Der Sänger der Band „Frankie goes to Hollywood“ hatte sich in den Achtzigern mit HIV infiziert, 1991 erhielt er die Diagnose. Seine Reaktion sei „sehr emotional“ gewesen, sagt er heute. Kein Wunder, hatte er doch schon Freunde an Aids sterben gesehen. Johnson: „Ich dachte damals, dass ich nicht mehr lange lebe.“ Hysterische Medienberichte rund um das HIV-Outing des Basketballers „Magic“ Johnson und der Aids-Tod von Queen-Sänger Freddie Mercury machten die Sache nicht besser.

1993 entschied sich der Brite, seine Infektion öffentlich zu machen. Schlecht für die Karriere, aber gut für seine „geistige Gesundheit“ sei das gewesen. Dass die Medien sogar seine Familie belagerten, war das eine. Dass Anrufe von Menschen ausblieben, mit denen er jahrelang zusammengearbeitet hatte, das andere. Ganz abgesehen von den Medikamenten im Experimentalstadium und ihren „schrecklichen“ Nebenwirkungen. Seit 1996 die Kombinationstherapie eingeführt wurde, hat sich sein Gesundheitszustand „langsam, aber sicher verbessert“, seit damals musste er nicht ins Spital. Jeder Tag, sagt er, „ist ein Bonus“.

Einer, den viele Menschen nie erhalten. Weil sie, wie in vielen Staaten Osteuropas und Zentralasien, wo Regierungen das Problem negieren, nicht in den „Genuss“ einer Therapie kommen. Weil sie, wie in Österreich, sich gar nicht oder erst viel zu spät testen lassen. Je später die Therapie einsetzt, desto höher ist das Todesrisiko. Zudem ortet Brigitte Schmied, eine Veteranin der HIV-Betreuung in Österreich, einen beunruhigenden Trend: Koinfektionen mit Syphilis haben sich in den letzten sechs Jahren vervierfacht. „Das lässt den Schluss zu, dass Safer Sex seltener praktiziert wird.“ Zudem geht die Zahl der Neuinfektionen seit Jahren, nicht zuletzt durch den Zuzug schon infizierter Migranten, nicht zurück, im benachbarten Osteuropa und Zentralasien explodiert sie gerade.

Goethes Ganymed. Die Entwicklung spiegelt sich im Preis, den Aids Life, Keszlers Organisation, seit 2005 jedes Jahr vergibt. Zur Verleihung schweben Ganymed und Pegasus auf die Bühne, ein geflügelter Schimmel aus André Hellers „Magnifico“, gefolgt vom überdimensionalen „Crystal of Hope“. Kein Staubfänger, sondern 100.000 Euro für Anya Sarang, die Präsidentin der russischen Stiftung Andrey Rylkov, die sich für eine humane Drogenpolitik in Russland einsetzt. Dort sind 62 Prozent der Drogenabhängigen HIV-infiziert, Substitution ist dennoch verboten.

Dort das russische Elend. Hier in Wien der magentafarbene Teppich, auf dem Hollywood-Schauspielerin Brooke Shields den Preis überreicht. Nigel Kennedy spielt die Geige, „Fluch der Karibik“-Komponist Klaus Badelt, der sich von Goethes „Ganymed“ inspirieren ließ, hat die Musik komponiert. Zwei Welten, die der Life Ball immer wieder zu verbinden versucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Salon

Life Ball 2011: Engel, Insekten und schräge Vögel

Der Himmel blieb gnädig, das Thema Luft inspirierte aber. Der 19. Life Ball bot kleine Pannen, große Momente und, wie immer, viel zu sehen.
Salon

Natasha Bedingfield: „Ich bin im Grunde Pessimistin“

Die britische Sängerin Natasha Bedingfield ist einer der Stars auf dem Life Ball. Mit der „Presse am Sonntag“ sprach sie über Wikipedia-Stalker, und warum es ihr schwer fällt, fröhliche Songs zu schreiben.
Life Ball 2011
Salon

Life Ball 2011: Der Countdown läuft

Janet Jackson, Brooke Shields, Dsquared2 - An Pop- und Modestars wird es dem 19. Wiener Life Ball nicht fehlen. Um 21.30 startet die Show, die ersten Engel fliegen bereits über den Teppich..

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.