Roger Willemsen: "Zukunft, du siehst schlecht aus"

(c) AP (KAI-UWE KNOTH)
  • Drucken

Der deutsche Schriftsteller und TV-Moderator Roger Willemsen über sein aktuelles Buch, die Reiseerzählung "Die Enden der Welt". Und über Marihuana, die Schreckfiguren Madonna und Heidi Klum und Wien.

Roger Willemsen gilt als der einzige deutschsprachige Fernsehmann, der druckreif komplexe Zusammenhänge erläutern kann – schon deswegen ist der Mann ein Ausnahmetalent. Er macht auch so ziemlich alles, und er macht seine Sache gut. Naheliegend also, dass Thomas Gratzer, Intendant des Theaters „Rabenhof“ im dritten Wiener Gemeindebezirk, Willemsen eingeladen hat, der in dem Gemeindebau-Theater vergangenen Freitag aus seinem aktuellen Buch „Die Enden der Welt“ vorlas.

Willemsen ist auch ein Reisender: Der 55-jährige gebürtige Bonner fand auf dem Himalaya, in einem Bett in Minsk, in einer Behördenstube im Kongo oder in einer Bahnstation in Burma spezifische, persönliche, bemerkenswerte Weltenden. Im E-Mail-Interview mit der „Presse am Sonntag“, wo Schlagfertigkeit nicht zählt, beweist der deutsche Alleskönner Eleganz und Überzeugungskraft.

Herr Willemsen, wie würden Sie eigentlich den Beruf nennen, den Sie ausüben?

Roger Willemsen: Geistiger Kurzwarenhändler.

Ich selbst bin nicht so ein TV-Mensch. Wenn ich Ihnen gestehe, dass mir Ihr Name vorher nichts sagte, würde Sie das verärgern? Freuen? Erstaunen? Wäre es Ihnen egal?

Ich würde den Spieß umdrehen und sagen: Dann sind Sie wohl auch nicht so ein Büchermensch. Aber glauben Sie mir: Die Zeiten sind vorbei, in denen irgendjemand irgendjemand anderen kennen muss.

Sie sind ein Mann des Wortes, des gesprochenen und geschriebenen. Dabei sind Sie schlagfertig, wie Leute es selten sind. Finden Sie E-Mail-Interviews mühseliger als gesprochene?

Mühseliger schon, aber zumindest stammt, was gedruckt wird, wirklich von mir.

Das Buch „Die Enden der Welt“ beschreibt, kurz gesagt, extrem abgelegene Orte. Welche Geschichte ist Ihre persönliche Lieblingsgeschichte und wieso?

Unmöglich, das zu beantworten, denn manchmal scheint mir ein Text besonders geglückt, manchmal war die Urszene so bewegend, dass ich gar nicht mehr weiß, ob der Text es deutlich genug sagt, manchmal mag ich die losen Enden in einer Geschichte, manchmal, dass die blaue Blume erhalten bleibt... es gab da eine Frau in Ostsibirien... aber auch der Junge in Timbuktu will mir nicht aus dem Kopf... und habe ich nicht in Polynesien mein Leben gerettet... unmöglich.

Große Wellen schlug anno 2009 Ihre Kritik an Heidi Klum: Für Sie eine „unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernantenprofil“, aus der man, „wenn das bloß nicht so frauenfeindlich wäre“, wie Sie meinten, „elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, am liebsten sechs Sorten Scheiße rausprügeln möchte“. Mir schien das – obwohl ich freilich keiner anderen Meinung bin – ein bisschen unter der Gürtellinie. Warum waren Sie da so emotional?

Unter die Gürtellinie gehörte sie hin. Heidi Klums Sendung ist ein Frontalangriff auf das, was ich als „Persönlichkeit“ verstehe. Sie ist radikal, also bin ich es auch. Drastisch zu sein ist in diesem Fall Notwehr, und hören wir doch mal auf, so scheißliberal zu sein mit Dingen, die es auf ihre Weise auch nicht sind.

Sie sagten, das TV-Publikum sei immer „exakt so deppert wie das Programm“, ich verstehe den Zusammenhang, aber: Spricht aus dieser Formulierung auch ein unterdrückter Hass auf das Medium?

Nicht unbedingt, das Fernsehen hätte grandiose Möglichkeiten und ist ein Medium der Unterforderung, bei dem die Mehrheit des Publikums nicht sagt: „Ist das gut“, sondern: „Gott sei Dank bin ich nicht wie jene dort.“ Keine sehr sympathische Regung. Sähen die Leute so viel „Arte“ wie sie sagen, „Arte“ wäre Marktführer.

Als Reiseschriftsteller werde ich oft gefragt, wo es denn wohl am schönsten sei (ich sage automatisch Neuseeland, um die Frage loszuwerden). Haben Sie da eine gute Antwort darauf?

Ich sage Sankt Pölten, das läuft auf dasselbe hinaus.

Ich stelle Ihnen noch eine Lieblingsfrage, die mich oft trifft: Arbeiten Sie schon am nächsten Buch, wenn ja, worüber?

Ich habe ein Bühnenprogramm über Querulanten geschrieben, das ich gerade gemeinsam mit Anke Engelke aufführe. Das wird im Frühjahr als Buch erscheinen.

Sie haben sich einmal für die Legalisierung von Marihuana ausgesprochen. Ich fände das eigentlich schade. Geht da denn nicht der halbe Reiz, nämlich der des Verbotenen, verloren?

Gewiss, aber die Gesetzgeber möchten offenbar den doppelten Reiz, auch wenn Legalisierung erfahrungsgemäß zum Konsumrückgang und zu weniger Beschaffungskriminalität führt.

Ich habe einiges von Ihnen auf YouTube gesehen, es ist alles eloquent und gescheit, aber ich frage mich, ob Sie auch gut zuhören können...

So viele Jahre war es mein Beruf, Fragen zu stellen und zuzuhören. Nein, was das Zuhören angeht, habe ich ein gutes Gewissen, und manchmal stelle ich meinen Freunden so viele Fragen, dass sie sagen: „Wir sind hier nicht in deiner Sendung.“

Sie haben einst auch in Wien studiert. Was war denn damals hier Ihre Lieblingslehrveranstaltung?

Ich besuchte keine Veranstaltungen, sondern zu Forschungszwecken ein Jahr lang diese fabelhafte Nationalbibliothek mit ihren Bibliotheksdienern im grauen Kittel und den Lämpchen auf dem Tisch, die das Eintreffen eines bestellten Buches ankündigten. So schön.

In welchem Bezirk haben Sie gewohnt, und was bedeutet dieser Ort für Sie? Wo würden Sie in Wien am liebsten wohnen?

Ich wohnte im 9. Bezirk, war verliebt und hörte nachts zu, wie die Hausmeisterin ihrem schlafenden Mann Gabeln in den Hintern stieß. Er war dauernd auf der Flucht. Einmal habe ich ihm Asyl gewährt. Eine schöne Zeit. Ich würde wieder in den Neunten gehen.

Sie waren in der berüchtigten TV-Sendung „Willkommen Österreich“ bei Ster- und Grissemann, die ihre Gäste oft sehr scharfzüngig malträtieren. Wieso ließen die Sie so in Ruhe? War das eine Beißhemmung unter Kollegen?

Wir hatten wechselseitig kein Motiv, uns zu beißen, denn das Unglaubliche ist wahr: Wir mögen uns. Und das aus guten Gründen.

Sie haben über den Schriftsteller Robert Musil (1880–1942) promoviert. Den „Mann ohne Eigenschaften“ haben nur wenige Leser fertig gekriegt, spricht das gegen das Buch?

Gottfried Benn hat einmal gesagt: „Penthesilea wäre nie geschrieben worden, wenn vorher darüber abgestimmt worden wäre.“ Schauen Sie sich an, wem wir Denkmäler errichten, nach wem wir Straßen benennen: Alles Nischenbesetzer, Minderheitenvertreter, hoch Individuierte, anderweitig zu Berücksichtigende.

Ihre Habilitation haben Sie über das Thema Selbstmord in der Literatur geschrieben. Sie selbst wirken auf mich eigentlich besonders unsuizidal – gibt es da trotzdem ein verstecktes persönliches Interesse?

Es sind die munteren Seifensieder, die über die traurigsten Dinge schreiben müssen. Entweder weil sie weniger gefährdet sind oder weil sie eine so intakte Schauseite haben, dass man ihnen die tiefere Beziehung zum Thema nicht gleich ansieht.

„Willemsens Woche“ (eine Talkshow im ZDF, die von 1994–98 lief, Anm.) und andere Sendungen: Wer war Ihr liebster Interviewpartner, und wieso fanden Sie Madonna so schrecklich?

Jeder großzügige, geistig freigebige Gast mit gutem Blick für die eigenen Brüche war mir lieb: Audrey Hepburn, König Hussein von Jordanien, der Dalai Lama. Madonna war ein kaltes Stück Materie, interessiert nur daran, als Produktlinie gewürdigt zu werden. Wie fad!

Wenn Sie einen Wunsch hätten an die Zukunft der Welt – wie würde der lauten?

Liebe Zukunft, du siehst schlecht aus. Gute Besserung.

Roger Willemsen

Roger Willemsen (*15. August 1955 in Bonn) studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie, u. a. in Florenz und Wien, arbeitete nebenher als Nachtwächter und Reiseleiter und war zuerst als Publizist, Übersetzer und als Korrespondent in London tätig.

Im TV moderierte er in den 1990ern Shows („0137“ auf Premiere, „Willemsens Woche“ im ZDF) und ist bis heute in allerhand Sendungen zu Gast, speziell zu den Themen Literatur und Musik. Er publizierte zahlreiche Bücher („Das Kaff der guten Hoffnung“, „Deutschlandreise“, „Bangkok Noir“).

Martin Amanshauser (*1968 in Salzburg) ist freier Autor mit Schwerpunkt Reisen. Für die „Presse“ werkt er seit vielen Jahren als Reisejournalist und Kolumnist. Aktuelles Buch: „Viel Genuss für wenig Geld“ (CBV).

www.amanshauser.at

Zum Buch


Roger Willemsen
„Die Enden der Welt“

Verlag S. Fischer

544Seiten

22,95Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.