Missbrauch: Kloster Kremsmünster tut Buße

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Nach dem Jahr des Missbrauchsskandals betreibt die Stiftsleitung Kremsmünster mit Felix Mitterers Theaterstück "Die Beichte" öffentliche Geschichtsbewältigung. Aufführung soll „uns zum Nachdenken zu bringen".

Kremsmünster. „O Maria hilf. Mutter Gottes süße. O Maria hilf. Maria hilf uns allen aus dieser tiefen Not“. Noch hallen letzte Töne des Marienlieds „Meerstern, ich dich grüße“, im Saal nach. Im Halbdunkel breitet sich Stille aus. Als die Lichter langsam schwächer werden und schließlich ganz erlöschen, klatscht eine erdrückend lange Minute niemand.

Es ist, als müssten die rund 300 Zuschauer im Theatersaal des Stifts Kremsmünster ihre Bestürzung abschütteln, bevor applaudiert werden kann. Nicht nur wegen des Stücks, das gerade hier gezeigt wurde. Vor allem wegen seiner Verbindung zu diesem Ort, auch wegen der Dinge, die hier passiert sind.

Mehr als ein Jahr nach dem Beginn des Missbrauchsskandals, mehr als ein Jahr, nachdem öffentlich wurde, dass auch das Stift Kremsmünster, sein Konvikt und seine Schule Tatort geworden waren, dass auch hier vor Jahrzehnten Patres ihre Macht missbraucht haben, bringt ein regionales Theaterensemble (Theatergruppe Sierninghofen-Neuzeug, in den Hauptrollen am vergangenen Freitag Thomas Hochrathner und Leopold Burghuber) auf Initiative der Klosterleitung das Zweipersonenstück „Die Beichte“ von Felix Mitterer auf die Bühne.

Und damit einen Fall, der prototypisch für die komplexen Abhängigkeitsverhältnisse und späteren Folgen eines Missbrauchs in kirchlichen Institutionen stehen kann. Es geht um einen verwaisten Chorknaben, der von einem Priester missbraucht wird, sich später am eigenen Sohn vergeht und seinen Peiniger um Absolution bittet.

In der Causa Kremsmünster sind noch immer die Strafverfolgungsbehörden, die kirchliche Opferschutzkommission und der Vatikan tätig. Gegen drei Kremsmünsterer Patres wurde wegen sexuellen Missbrauchs ermittelt, die Staatsanwaltschaft stellte zwei Verfahren wegen Verjährung ein. Jenes gegen den heute 78-jährigen Pater A., der Mitte der 1970er-Jahre, als es die ersten Vorwürfe gab, aus dem Schuldienst abgezogen wurde, ist noch anhängig.

Alle drei beschuldigten Mönche müssen mit Sanktionen aus dem Vatikan rechnen, es drohen Rückversetzung in den Laienstand und Ausschluss aus dem Orden. Acht weiteren Personen, darunter drei weltlichen Lehrern, wurde die Anwendung von körperlicher und psychischer Gewalt vorgeworfen. Weil die zugrunde liegenden Tatbestände strafrechtlich nicht relevant oder ebenfalls verjährt waren, wurden hier – zumindest die staatsanwaltschaftlichen – Verfahren eingestellt.

Abt: „Ernüchternder Blick“

Der Abt des Stifts, Ambros Ebhart, sagt indes, für das Stift und die Kirche gebe es keine Verjährung. Bevor das Stück beginnt, tritt er vor die voll besetzten Reihen im Theatersaal, der über dem Stiftskeller liegt: „Innerhalb des letzten Jahres ist uns allen bewusst geworden, dass es in unseren Erziehungseinrichtungen zu Übergriffen gegen Schüler gekommen ist, für die ich mich als Abt mehrmals entschuldigt habe. Ich und Mitbrüder hatten Kontakt zu Betroffenen in verschiedener Weise, und dabei wurde mir bewusst, wie tief die Verletzungen in Worten oder Handlungen gehen, die schon Jahrzehnte zurückliegen. Ich bin überzeugt, dass wir in der Auseinandersetzung mit den dunklen Kapiteln unserer Vergangenheit eine Reinigung erleben, die wieder verstärkt Gott in den Mittelpunkt unseres Lebens und unseres Handelns stellt. Wir werden erneuert aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte es einen ehrlichen und ernüchternden Blick. Nichts soll verharmlost oder verschwiegen werden.“

Die Aufführung, sagt Ambros noch, könne ein Anlass sein, „uns zum Nachdenken zu bringen und alles zu tun, damit Übergriffe auf junge Menschen, wo auch immer, verhindert werden können.“

„Kein kindgerechter Ort“

Am Ende, nach der beklemmenden Stille und dem folgenden befreienden Applaus, drängen sich die Besucher an den Stehtischen im Foyer. Es gibt auch Zeichen von Widerstand gegen die Stiftsoffensive. Es müsse einmal Ruhe sein, die Entschuldigungen ein Ende haben, sagen einige. Der Abt sagt, es sei ein „notwendiger Spagat“: „Wir müssen ein Signal setzten, dass uns die Aufarbeitung sehr viel bedeutet. Wir wollen das nicht aussitzen, sondern etwas tun.“

Im Stück erkannte Ebhart „das repressive Potenzial hierarchischer Systeme“ und die Muster des Missbrauchs aus seinen Gesprächen mit Betroffenen wieder: „Ich bin tief betroffen.“ Ähnlich geht es dem betagten Pater, der mit dem beschuldigten Geistlichen im Internat als Erzieher zusammenarbeitete, aber nichts bemerkt habe, oder dem ehemalige Schüler, der sich an den Schock erinnert, als er aus den Zeitungen erfuhr, dass einer seiner Schulkollegen aus der Parallelklasse missbraucht wurde.

Zuerst habe er Kontakt zu dem Schulkollegen aufnehmen wollen, es dann aber doch gelassen.

Neben der Härte in der Erziehung und dem hohen Leistungsanspruch habe es auch Witze gegeben und Gerüchte über Neigungen von Patres, sagt der ehemalige Kremsmünsterer, der von 1976 bis 1981 ins Stiftsgymnasium ging.

Rückblickend könne er sagen, dass die Schule wohl in vielerlei Hinsicht sehr gut war: „Ein kindgerechter Ort ist es damals aber nicht gewesen.“

Auf einen Blick

Missbrauch. Aus den USA, Irland und Deutschland ist vor knapp mehr als einem Jahr die Bekenntniswelle von Opfern sexueller Gewalt auf Österreich übergeschwappt. Täter waren katholische Priester und/oder Patres, Erzieher, Nonnen. Bisher haben sich deutlich mehr als 1000 Opfer bei der Opferschutzkommission Waltraud Klasnics und Rechtsanwälten gemeldet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2011)

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