Verkaufen Gemeinden Grundstücke unter Wert, kann darin ein Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht liegen. Wie ein aktueller Fall aus Schweden zeigt, ist bei Immobilientransaktionen der öffentlichen Hand Vorsicht geboten.
Wien. Besonders die Gemeinden, aber auch Bund und Länder sind, direkt oder über in ihrem Eigentum stehende Gesellschaften, auf dem Immobilienmarkt tätig. Dabei verfolgen sie einerseits öffentliche Interessen wie Wohnraumgewinnung oder Gewerbeansiedlung, verhalten sich aber andererseits zunehmend wie private Investoren. Gerade in Zeiten knapper Budgets ist die optimale Verwertung öffentlichen Eigentums ein Gebot der Stunde. In Wien erregte der An- und Weiterverkauf von Grundstücken in Liesing durch das Land Wien die Aufmerksamkeit des Kontrollamts („Die Presse“ hat berichtet).
Wie ein aktueller Fall aus Schweden zeigt, ist bei Immobilientransaktionen der öffentlichen Hand große Vorsicht geboten. Verkauft nämlich die öffentliche Hand ein Grundstück unter Wert, erwächst dem Käufer ein ungerechtfertigter Vorteil, weil er das Eigentum des Steuerzahlers für weniger erwirbt, als es „wirklich“ wert ist: eine verbotene staatliche Beihilfe. Dadurch wird der Wettbewerb verzerrt, weil andere Firmen auf dem Markt viel mehr zahlen müssen. Umgekehrt würde auch dem Verkäufer ein unzulässiger Vorteil gewährt werden, wenn die öffentliche Hand ein Grundstück über dem Marktwert erwirbt. Der Preis muss also „stimmen“, um eine staatliche Beihilfe auszuschließen.
Im angesprochenen Fall hatte die Gemeinde Vänersborg Anfang 2008 das Gelände einer Lebensmittelfabrik um umgerechnet 1,7 Mio. € erstanden und sechs Monate später für 0,8 Mio. € an eine private Immobiliengesellschaft verkauft. Diese wiederum verkaufte binnen weniger Tage für 4 Mio. € an einen privaten Investor und erzielte so einen Gewinn von 3,2 Mio. €. Zwar deutet nach Ansicht der EU-Kommission, die den Fall gegenwärtig untersucht, alles darauf hin, dass der Ankauf der Immobilie durch die schwedische Gemeinde zum Marktwert erfolgt ist (also zumindest der Ankauf beihilfenfrei war). Allerdings liegt der Verkaufspreis unübersehbar unter dem Ankaufspreis, was den Verdacht nährt, dass dem Käufer ein ungerechtfertigter Vorteil gewährt worden ist. Knapp zwei Jahre später wurde dieser Sachverhalt der Kommission über eine Beschwerde eines Wettbewerbers zugetragen, woraufhin die Behörde Ende 2010 ein förmliches Prüfverfahren gegen Schweden eingeleitet hat (Fall C 29/10).
Das Meistgebot soll entscheiden
In der Vergangenheit waren Elemente staatlicher Beihilfen bei Verkäufen von Liegenschaften durch die öffentliche Hand immer wieder Gegenstand der Ermittlungen der Kommission. Schon 1997 erläuterte die Behörde daher in einer Mitteilung die wesentlichen Eckpunkte eines beihilfenrechtskonformen Verkaufs von Liegenschaften durch die öffentliche Hand (Amtsblatt Nr. C 209 vom 10. Juni 1997, S 3ff). Demnach sind zwei Verfahren denkbar.
Eine eindeutige Präferenz hat die Kommission für den Verkauf von Liegenschaften nach einem hinreichend publizierten, allgemeinen und bedingungsfreien Bietverfahren. Sie geht davon aus, dass die Veräußerung an den Meistbietenden dann grundsätzlich einen Verkauf zum Marktwert darstellt und keine staatliche Beihilfe enthält. Als eine alternative Methode zur Wertermittlung nennt die Kommission ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen auf Basis allgemeiner Marktindikatoren und Bewertungsstandards. In der Praxis zog die Kommission aber zuletzt Ausschreibungsverfahren klar vor. Ob dies immer zu Recht erfolgt, hat das Gericht der EU derzeit im Fall Bank Burgenland zu entscheiden (T-268/08, T-281/08; dieser Fall betraf zwar einen Bankenverkauf, die Kommission wendet aber die Grundsätze der Grundstücksmitteilung aus 1997 allgemein auf den Verkauf öffentlichen Eigentums an).
Ankaufskosten bieten ein starkes Indiz
Ein wichtiger Hinweis auf den Marktwert einer Liegenschaft können auch die der öffentlichen Hand entstandenen Gestehungskosten sein. Grundsätzlich gilt, dass während eines Zeitraums von mindestens drei Jahren vor dem Verkauf von der öffentlichen Hand erworbene Grundstücke nicht unter den eigenen Gestehungskosten verkauft werden dürfen, wenn nicht der unabhängige Sachverständige allgemein zurückgehende Marktpreise im relevanten Immobilienmarkt ermittelt hat. Insbesondere diesen Punkt werden die schwedischen Behörden im oben geschilderten Fall gegenüber der Kommission zu erklären haben, lag der binnen eines halben Jahres erzielte Verkaufserlös doch sehr deutlich unter den Ankaufskosten.
Die Ermittlung des „wahren“ Marktwerts einer Immobilie bei Grundstücksverkäufen der öffentlichen Hand ist also zentral, um unzulässige Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Bedenkt man, dass etwa im Fall der Gemeinden dieselben politischen Entscheidungsträger indirekt den Marktwert einer Immobilie (mit-)beeinflussen (Stichwort: Umwidmungen), die letztlich auch über Immobilientransaktionen der Gemeinde zu entscheiden haben, wird klar, wie wichtig transparentes Verwaltungshandeln hier ist. Zahlreiche rechtliche Fragen sind dabei noch offen. So ist noch nicht abschließend geklärt, ob und wenn ja wie der soziale Wohnbau als „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ von der Ausnahme des Art 106 Abs 2 AEUV profitieren kann oder welche Rolle gemeinnützige Bauträger, die in Zeiten steigender Immobilienpreise an Bedeutung gewinnen, beihilfenrechtlich spielen.
Wie die Kommission schon 1997 angeregt hat, sollten die Mitgliedstaaten zur Vermeidung dieser Risiken alle geplanten Liegenschaftstransaktionen vorab bei der Kommission anmelden, bei denen Zweifel hinsichtlich des Marktwerts bestehen. Diese hat dann zu prüfen, ob staatliche Beihilfen vorliegen und gegebenenfalls genehmigt werden können. Die Gefahr eines Verstoßes gegen das Beihilfenrecht ist nämlich nicht bloß theoretisch, macht die Kommission doch regelmäßig von ihrem Recht Gebrauch, die Rückforderung unrechtmäßig gewährter Beihilfen (inklusive Zinsen!) anzuordnen. Zusätzlich können Immobilienverkäufe, die gegen Beihilfenrecht verstoßen, von Nichtigkeit und Rückabwicklung betroffen sein.
Im Fall Bank Burgenland hat die – laut Kommission – fehlende Rückforderung durch Österreich zuletzt sogar zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens geführt (C-551/09). Der Ausgang der Bank-Burgenland-Verfahren wird hoffentlich auch zeigen, welches Bewertungsverfahren im Zusammenhang mit komplexen öffentlichen Immobilientransaktionen zur Ermittlung des richtigen Marktwerts herangezogen werden kann. Im Fall der Gemeinde Vänersborg kommt es darauf aber wohl nicht mehr an.
Dr. Peter Thyri ist Rechtsanwalt bei Wolf Theiss in Wien und Lehrbeauftragter an der Universität Salzburg.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2011)