Ernst, aber auch ein wenig überdreht und humorig verabschiedete sich Wien Dienstagnacht von Harry Potter – bei einem fünfstündigen Double-Feature, das harte Nerven verlangte. Ein Lokalaugenschein der "Presse".
Die schwarz geschminkte Narbe sitzt zwar überm falschen (linken) Auge, die Erinnerung an Harry Potter selbst aber sicher an der richtigen Stelle unter der Brust: Anna Eder, 16 und ohnehin fast schon so rothaarig, als hätte sie Weasley'sche Gene, hat sich als eine der wenigen Besucher der Potter-Premiere Dienstagnacht im Wiener Apollo zusätzlich ästhetisch vorbereitet – auf das Ende einer „wunderschönen Parallelwelt“, wie sie es nennt. Und das Ende eines unerfüllten Kindertraums: Bis zwölf habe sie gehofft, „doch einen Brief aus Hogwarts zu bekommen“. Geworden ist es das Gymnasium in Wien.
Aber Kino tröstet. Zumal die fürs sommerliche Mainstream-Kino einen Hauch zu nachdenklichen Mienen schon verraten, dass sie Annas Gefühlslage teilen. Kaum Verkleidete, kein Zauberstabgefuchtel, sogar Anzugträger sind dabei: Vom Büro zum Double-Feature (beide Teile von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ hintereinander), die Generation Potter ist von den Möchtegern-Zauberschülern tatsächlich in die Riege der Arbeitnehmer gewechselt.
Passend zum Ernst der Lage raucht Michael Obermaier eine letzte Zigarette. Ein echter Fan muss fünf Stunden ohne Rauchpause durchhalten. Und Obermaier ist so einer, der mit großen Augen vom Moment erzählt, als Potter im Buch die Winkelgasse (die bessere Mariahilfer Straße der Zauberwelt) betritt, um einen Zauberstab zu kaufen. Momente, in denen man sich beim Lesen mitfreuen konnte, das Buch sogar kurz ablegte – die wird Obermaier später im Film vermissen. Noch aber schwärmt der Maschinenbaustudent von der Umsetzung technischer Details, die Abschiedsromantik erreicht ihn erst in den Morgenstunden.
Doch so geht es vielen, die auf die letzte Minute im alten Tag warten, wenn Potter den nächsten Horcrux zerstören darf. Bierernst durchs Double-Feature, das schafft keiner, da darf man der Schlange Nagini beim Verzehr einer Magierin schon „Mahlzeit“ wünschen, oder Harrys Zukünftige eine „heiße Braut“ nennen – was sie nicht ist, die zarte, britisch-brave Ginny Weasley.
Gegen Mitternacht füllen Späteinsteiger den Saal fast gänzlich. So wenig Aufmerksamkeit bekamen Daniel Craigs Muskeln im Trailer wohl nie – ein wenig später ist es schon Snape, dessen Blick über das von dunkler Macht infiltrierte Hogwarts schweift. Stille erfüllt den Saal, Popcorn-Konsumation und Schlürfrate sinken drastisch. Erst als Ron und Hermine sich küssen, etwas plötzlich in der Schlacht, wird wieder gekichert, erleichtert über das Häppchen Menschlichkeit in der Flut giftgrüner Zauberstrahlen.
Gegen drei Uhr dann das Ende. Obermaier ist zufrieden und enttäuscht zugleich: „Bombastische Kämpfe, wenig Raum für große Gefühle.“ Und was jetzt? „Die Industrie wird versuchen, weiterzumachen, aber für mich war's das.“ Und Potter auf Wienerisch synchronisiert, wie ein Gast vorschlägt? „Okay, und Hogsmeade in Simmering.“