Ratingagenturen: Die Not mit den Noten

Ratingagenturen Noten
Ratingagenturen Noten(c) Dapd (Jin Lee)
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Einst galten Ratingagenturen als Segen. Heute legen sie sich mit Staaten an und werden von Politikern verteufelt. Dabei hätten sie ohne staatlichen Regulierungseifer nie so mächtig werden können.

Es war zur Zeit, als die Dampflokomotiven sich noch heiser pfeifend ihren Weg in den Wilden Westen bahnten. Eine erste Generation von Glücksrittern an der Wall Street suchte ihr Heil in Wertpapieren amerikanischer Eisenbahnfirmen. Die endeten oft genug im Bankrott und ihre Gläubiger im Ruin. Da hatte ein gewisser Henry Varnum Poor eine Idee: Er erstellte 1860 ein Kompendium über die Bahnbetreiber und ihre finanzielle Verfassung, das er jährlich aktualisierte. Diese Informationsquelle für Investoren wurde rasch zum Standard und Poor wurde reich.

Im Jahr 1909 sprang John Moody auf den Zug mit den Zügen auf und gründete in New York eine Agentur. Sie bewertete das Risiko, dass Eisenbahngesellschaften ihre Schuldpapiere nicht mehr bedienen, mit einem Buchstabencode von A bis D. Vier Jahre später begann John Fitch damit, an der Wall Street Statistiken feilzubieten.

Standard & Poor's, Moody's und Fitch: Die drei Ratingagenturen machten Furore. Heute haben sie eine ungeheure Macht, können Konzerne und Staaten die Zukunft sichern oder in den Ruin treiben. Aber diese Stellung haben sie weder am Markt erkämpft noch durch Kartell erschlichen. Sie sei ihnen, betonen sie selbst, gar nicht recht, ja unheimlich. Denn die Macht verliehen haben ihnen jene, die jetzt gegen sie wüten: die Politiker mit ihrem Regulierungseifer. Die Geister, die sie riefen, wird nun die Welt nicht los.

Segen und Fluch. Dabei war die Geschäftsidee der Gründerväter richtig gut. Man stelle sich vor, jeder Investor müsste selbst untersuchen, wie ausfallsgefährdet eine Anleihe ist. Dazu fehlt ihm Wissen und Zeit. Wenn ihm aber Experten erklären, woran er ist, wird er mehr Geld einsetzen und auch in neue Firmen und kleine Länder investieren, von denen er wenig weiß. Ein großer, liquider Kapitalmarkt führt zu mehr Wachstum. Ein echter Segen also, diese Ratingagenturen.

Ein echter Fluch, stöhnt heute alle Welt. „Warum sollen wir uns darum kümmern, was eine korrupte Bande von Idioten denkt?“, fluchte Nobelpreisträger Paul Krugman, nachdem S&P vor einer Woche den USA die Bestnote „AAA“ entzogen hatte. EU-Justizkommissarin Viviane Reding möchte die Agenturen des Anstoßes gleich zerschlagen oder verbieten: „Europa darf sich den Euro nicht von drei US-Privatunternehmen kaputt machen lassen.“ Wo kämen wir da hin? Wo sie doch angeblich mit krassen Fehlurteilen über Schrottpapiere eben erst die größte Finanzkrise seit 1929 ausgelöst haben.

Falsche Mythen. Die Wut der Schuldner über ihre Richter lässt die Mythen wuchern. Als „amerikanisch“ werden sie in Europa punziert – dabei gehört Fitch einem französischen Geschäftsmann. Riesenapparate müssen es sein – dabei wird jedes Rating von nur zwei Analysten erstellt. Und es gibt nicht nur drei, sondern 15 Ratingagenturen. Nur hat der Rest der Truppe wenig zu vermelden. Wie aber kam es zur konzentrierten Macht? Der Sündenfall fand 1936 statt. Damals verbot die US-Bankenaufsicht den Instituten, in spekulative Schuldpapiere zu investieren. Als nicht spekulativ galten nur Papiere, die eine Ratingagentur mit „investment grade“ geadelt hatte. Damit mussten die Banken Ratings übernehmen – und verzichteten auf eigene Bewertungen. Endgültig zementiert wurde die Macht der Bonitätsprüfer 1975 durch die US-Börsenaufsicht SEC, die alles dem Urteil von Ratingagenturen unterwarf.

Was aber, wenn Agenturen auftauchen, die allzu milde bewerten, und Kunden das Angebot dankbar annehmen? Auch daran hatte die umsichtige Aufsicht gedacht: Nur noch „weithin anerkannte“ Agenturen dürfen ihr Siegel auf Schuldner drücken. Und die SEC legte gleich fest, wen sie damit meinte. Erraten: Es waren S&P, Moody's und Fitch. Zwar haben auch andere die Chance, zu dem Trio aufzuschließen. Aber die Eintrittsbarrieren (vor allem die Kosten der regulatorischen Vorgaben) sind so hoch, dass es in 25 Jahren nur vier Firmen geschafft haben, die den Vorsprung des Trios aber nicht aufholen können. So hat die Politik ein Oligopol geschaffen, das drei Firmen volle Auftragsbücher garantiert. Eine fatale Abhängigkeit: Die Agenturen bewerten die Kreditwürdigkeit des Staates, und ihre Profite hängen vom Status ab, den Politiker ihnen bescheren. Sicher: Das alles geschah in bester Absicht, zum Schutze der Anleger. Zudem hat die Politik nur eine Tendenz verschärft. Vieles spricht dafür, dass es sich beim Ratingbusiness um ein natürliches Monopol handelt: Ein Rating gilt als umso zuverlässiger, je renommierter die Agentur ist. So würde auch in einem freien Markt der Große immer größer.

Und die Regulierer mussten reagieren. Denn die Agenturen hatten Anfang der Siebzigerjahre ihren Verrechnungsmodus geändert: Statt den Investoren zahlen seither die Schuldner. Das macht Sinn: Der Schuldner ist der größte Nutznießer eines Ratings. Der Nutzen für einzelne Investoren ist gering, und viele zahlen nicht für eine Information, die sie sich irgendwie auch gratis besorgen können. Freilich entstand so die Gefahr eines Interessenskonflikts: „Wer zahlt, schafft an“. Diese Gefahr war aber lange Zeit nicht virulent. Auch Wirtschaftsprüfern geht es ähnlich (und Zeitungen, die Anzeigen an Firmen verkaufen, über die sie schreiben). Das sind Konflikte, mit denen man umgehen kann. Problematisch wurde es, als in den Jahren vor der Krise die strukturierten Papiere Furore machten. Bei ihnen werden oft Tausende von Verbindlichkeiten in Tranchen unterschiedlicher Bonität gebündelt. Die Banken konstruierten immer kompliziertere Anlagen in enger Abstimmung mit den Ratingagenturen. Die bewerteten Produkte, die sie selbst entwickelt hatten, und machten damit fast die Hälfte ihres Umsatzes – das konnte auf Dauer nicht gut gehen.

Gehören die Ratingagenturen also zu den großen Schuldigen an der Finanzkrise? Sie rechtfertigen sich so: Ein Urteil über ein einzelnes Produkt kann und muss nicht das Risiko mitbewerten, dass das System kracht. Die Krise konnten auch die größten Ökonomen nicht voraussehen. Weil aber strukturierte Produkte das ähnliche Risiko vieler Einzelverbindlichkeiten konzentrieren, reagieren Wert und Risiko sensibel auf kleine Veränderungen – etwa der Immobilienpreise bei Hypothekardarlehen. Eine richtige Bewertung von gestern kann also morgen schon überholt sein, was strukturierte Produkte ungeeignet für stabile Ratings macht. Zumindest darauf aber hätten die Agenturen klar hinweisen müssen.

Es geht auch ohne. An Reformforderungen fehlt es nicht. Viele davon sind kontraproduktiv. Ratingagenturen sollen „transparenter“ werden und ihre Berechungsformeln offenlegen? Damit wäre der Markt ganz ausgeschaltet, weil sie dann ihren Wettbewerbsvorteil verlieren – wie der Produzent eines Kräuterlikörs, den man zur Veröffentlichung seines Geheimrezeptes zwingt. Und es würde neue Gefahren schaffen: Unternehmen und Staaten könnten leicht durchschauen, wie sie mit geringstem Aufwand eine Rating-Hürde nehmen, und zu diesem Zweck gezielt ihre Zahlen und Bilanzen fälschen.

Der Aufbau einer „europäischen Ratingagentur“ soll gezielt gefördert werden? Auch wenn sie sich dem Druck der Politik entziehen könnte, würde sie viele Jahre brauchen, um am Markt Reputation aufzubauen. Aber eine andere, weit elegantere Lösung wird zur Zeit in den USA diskutiert: Warum nicht auf Agenturen verzichten und das Rating einer Anleihe aus ihren Risikoaufschlägen oder der Ausfallsversicherung ermitteln? Oft reagiert der Marktpreis vor den Agenturen, weil Investoren akkuratere Informationen über den Zustand des Schuldners haben – wie aktuell im Falle Frankreichs, dessen Risikoprämien steigen, ohne dass sich das Rating geändert hat.

(c) Die Presse / JO

Ratingagenturen haben nämlich nur die Macht, die man ihnen verleiht. Als Musterbeispiel für einen gelassenen Umgang mit ihnen kann Warren Buffett gelten: Der Großinvestor ist mit zwölf Prozent Anteil größter Einzelaktionär von Moody's. Aber wenn er selbst in Schuldner investiert, brütet er lieber eigene Zahlen aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2011)

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