Gerlinde Kaltenbrunner erreichte die Spitze des 8611 Meter hohen K2. Sie ist die erste Frau, die alle 14 Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff bestieg. Eine außergewöhnliche Leistung.
Wien. Es wird noch Tagen dauern, bis Gerlinde Kaltenbrunner nach Hause kommt. Als erste Frau, die alle 14 Achttausender bestiegen hat, ohne künstlichen Sauerstoff zu verwenden. Eine außergewöhnliche Leistung.
Wenn die 40-jährige Oberösterreicherin in ihre schwarzwäldische Wahlheimat zurückkehrt, wird sie eines nicht sein wollen. Ein Star. Das wollte sie schon bislang nicht. Nachdem sie den Gipfel des 8611 Meter hohen K2 erreicht hat, erst recht nicht. Selbst wenn der „Berg der Berge“ als anspruchsvollster Achttausender gilt.
Gerlinde Kaltenbrunner will nicht auffallen. Nicht durch Sager, schon gar nicht durch Skandale. Bestenfalls durch Leistung. Als sie vor drei Jahren als Protagonistin in einem Werbespot eines Mobiltelefonanbieters auftrat, war das ihre bislang größte Bühne.
Kaltenbrunner wirkte wie eine Schwärmerin, die über Jahre vom Traum erzählte, die höchsten Berge der Erde zu besteigen. 13 Jahre nachdem sie die erste Achttausender-Expedition auf den 8188 Meter hohen Cho Oyu unternommen hatte, erreichte sie ihr Ziel. Damals, 1998, arbeitete sie noch als Krankenschwester, seit 2003 lebt sie vom Bergsteigen.
Träumerin mit Masterplan
Hinter dem Träumerischen aber steckt ein Masterplan. Nicht nur, was die minuziöse Planung jeder Expedition betrifft. Die Vermarktung läuft, die Zielgruppe wird abgedeckt. Auch wenn Kaltenbrunners Buch „Ganz bei mir“ keinen Eingang in die Literaturgeschichte finden wird, bleibt es immerhin authentisch. Unprätentiös, ein wenig gutmenschelnd, bieder. Ihre Vorträge, ihre Auftritte, ihre Erzählungen fesseln auf ganz bestimmte Weise. Leise ist ihr Stil. Wahrscheinlich zu leise und zu wenig nachhaltig für einen Star. Für viele zu esoterisch, zu elfenhaft, wenn sie „mit den Bergen spricht“. Für viele zu wenig kompetitiv, wenn Worte wie „Gipfelsieg“ nicht zu ihrem Wortschatz zählen.
Wenn Kaltenbrunner zurückkommt, wird sie dennoch eine beeindruckende Geschichte erzählen. Von 13 Achttausendern und dem K2, dem zweithöchsten Berg der Erde, der sie viel Kraft und Energie gekostet hat. Von den Sommern 2007 und 2009 und je zwei gescheiterten Besteigungsversuchen. Vom Tod ihres Begleiters Fredrik Ericsson knapp unterhalb des K2-Gipfels im Vorjahr. Von der langen Zeit, die sie gebraucht hat, diese traumatische Situation zu verarbeiten, ehe sie im Juni neuerlich in das Karakorum aufbrach. Und schließlich vom Happy End: an ihrer Seite ihr deutscher Ehemann Ralf Dujmovits, der seit Mai 2009 zu den Besteigern der 14 Achttausender zählt, der Argentinier Tommy Heinrich, die Kasachen Maxut Zhumayev und Vassiliy Pivtsov sowie der Pole Dariusz Zaluski. Ehe sich das Zeitfenster für den Aufstieg schloss, weil die Vorräte zur Neige gingen und ein Schlechtwetter drohte, erreichten sie gestern den Gipfel. Um 14.18 Uhr postete Dujmovits auf seiner Homepage: „Gipfel erreicht!“
Messner und Habeler uneinig
Die Altvorderen des Alpinismus tun sich in der Einordnung Kaltenbrunners schwer. Reinhold Messner, der als erster Mensch die Gipfel aller 14 Achttausender erreichte, hielt ihr im Gespräch mit der „Presse“ vor, sie sei eine „Pistenalpinistin“, die vornehmlich vermeintlich einfache Normalrouten wähle. Peter Habeler hingegen, der mit Messner 1978 den Everest-Gipfel ohne künstlichen Sauerstoff erreichte, meinte: „Vor ihr muss man zweimal den Hut ziehen.“
Nach offizieller Zählweise ist Kaltenbrunner der 25. Mensch, der alle 14 Achttausender-Gipfel erreicht hat – darunter die dritte Frau. Oh Eun-sun und Edurne Pasaban beendeten ihre Serien im April bzw. Mai 2010. Doch die Koreanerin soll zum Teil per Helikopter in die Lager auf dem Berg gelangt sein. Wie die Spanierin nahm sie künstlichen Sauerstoff zu Hilfe. Kaltenbrunner hingegen ist die erste Frau, die bei ihren Expeditionen auf künstlichen Sauerstoff verzichtete und die 14 Gipfel im Alpinstil erreichte. Der ist in der Szene hochgeschätzt, weil auf Lastenträger und Fixseile verzichtet wird.
Der Alpinstil ist nicht nur die oberste Liga im Alpinismus, er passt auch gut zu Gerlinde Kaltenbrunner. Geradlinig, schnörkellos. Kaltenbrunner wird vom gewonnenen Wettlauf um die 14 Gipfelstürme weiter nichts wissen wollen. Sie wird weiter schwärmen. „Die großen Berge“, wird sie wiederholen, „sind mein Leben, das Bergsteigen meine Leidenschaft. Das Leben am Berg ist sehr intensiv. Darauf will ich nicht verzichten.“
Auf einen Blick
Gerlinde Kaltenbrunner
(*13.Dezember 1970 in Kirchberg/Krems) erreichte am Dienstag den Gipfel des K2. Sie ist die dritte Frau, die alle 14 Achttausender-Gipfel erreicht hat, aber die erste, die dabei auf künstlichen Sauerstoff verzichtet hat. Ihren ersten Achttausender, den Cho Oyu (8188 Meter), bestieg sie im Jahr 1998.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2011)