Zimmermann: "Hier in Israel begreifen die Leute nicht, wie isoliert man ist"

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Der israelische Historiker Moshe Zimmermann meint, sein Land täte im eigenen Interesse gut daran, den palästinensischen UN-Antrag zu unterstützen. An eine Zwei-Staaten-Lösung unter Netanjahu glaubt er nicht.

Die Presse: Professor Zimmermann, Sie gehören zu den warnenden Stimmen in Israel, zu den Gegnern der Besatzung. Bekommt die israelische Regierung dieser Tage die Rechnung dafür präsentiert, dass sie Leuten wie Ihnen nicht zugehört hat?

Moshe Zimmermann: Objektiv gesehen, ist das richtig, nur sieht das die Regierung ganz anders. Der objektive und neutrale Beobachter wird sagen: Da Israel es versäumt hat, in den vergangenen Jahren mit den Palästinensern Gespräche aufzunehmen, kommt jetzt die öffentliche Meinung bei den Palästinensern und in der arabischen Welt und sogar in der Türkei zu dem Schluss, dass man Israel ablehnend gegenüber stehen muss. Wenn Israel den Palästinensern gegenüber konstruktive Vorschläge vorgebracht und mit der Siedlungspolitik aufgehört hätte, wäre es für die Ägypter, Syrer und die Libyer, die am Arabischen Frühling beteiligt waren, viel leichter, Israel zu verstehen. Unsere Regierung und ihre Anhänger verstehen das ganz anders. Sie sehen es als Bestätigung ihrer Überzeugung, dass die ganze Welt wie seit eh und je gegen Israel ist.

Die Regierung von Benjamin Netanjahu führt das Land in die Isolation, trotzdem gibt sich das Volk zufrieden. Sind die Isolation und die damit verbundenen Gefahren den israelischen Bürgern gar nicht so präsent?

Zum einen begreift man, wenn man hier in Israel lebt, nicht, wie weit man isoliert ist. Die Beziehungen zum feindlichen Ausland sind sehr indirekt. Man erfährt etwas über die Nachrichten, und die sind zum Teil regierungsfreundlich, man erfährt etwas über die persönlichen Beziehungen beim Besuch im Ausland, aber auch das ist wenig. Einen Überblick über die Entwicklungen haben die meisten Leute nicht. Das ist die faktische Grundlage. Darüber hinaus wird die fortschreitende Isolation, wenn man sie wahrnimmt, als Teil des bereits erwähnten Musters registriert: Die Welt ist sowieso gegen die Juden. „Ein Volk für sich allein“, heißt es schon in der Bibel. Das ist die Grundsatzparole, und wenn man dafür eine Bestätigung erhält, dann bedeutet das nicht, dass die Regierung falsch gehandelt hat, sondern dass sich die alte Parole aus der Bibel immer wieder bestätigt, ohne dass man daran etwas ändern kann – und dass das auch keine andere Regierung ändern könnte.

Die PLO wird nächste Woche vor die UNO ziehen. Hätte Israel anders reagieren sollen und vielleicht einer Staatsgründung, wie sie die Palästinenser verlangen, sogar zustimmen müssen? Man will ja doch die zwei Staaten, was ist also das Problem?

Wenn man die wahren Interessen Israels vertreten möchte, muss man für eine solche UN-Resolution sein. Letztlich war die UN-Resolution 1947 eine für die Gründung von zwei Staaten nebeneinander. Wenn der eine Staat – Israel – legitim ist, ist es der andere automatisch auch. Das heißt, Israel hätte jetzt eher dafür agieren sollen, dass so eine Resolution akzeptiert wird. Nun ist es aber so, dass Netanjahu und Co automatisch gegen alles eintreten, was am Ende zur Gründung des Palästinenserstaates führt. Wenn Netanjahu über zwei Staaten spricht, ist das nur ein Lippenbekenntnis. Wenn er Friedensverhandlungen ohne Vorbedingung fordert, bedeutet das, dass seine Vorbedingung – die Fortsetzung der Siedlungspolitik – akzeptiert werden muss. Das ist sein Ziel, und das geht mit der Gründung eines Palästinenserstaates nicht zusammen.

Deswegen versucht man, die Staaten, die man bei uns „moralische Mehrheit“ nennt, also Europäer, USA und so weiter, und die angeblich bedeutender sind, als die eigentliche Mehrheit von etwa 130 Staaten, die für die Anerkennung Palästinas sind, unter Druck zu setzen. Hier ist Israel erfolgreich. Statt Liebermann und Netanjahu die Leviten zu lesen, versuchen Hillary Clinton und Angela Merkel die Regierung in Jerusalem zu besänftigen. Da muss man den Kopf schütteln.

Dann sollte der Westen Ihrer Meinung nach mehr Druck ausüben?

Es geht nicht um Druck, sondern um Überzeugung. Die westlichen Mächte hätten die Israelis davon überzeugen sollen, dass eine Entscheidung in der UNO für die Gründung eines Palästinenserstaates für Israel selbst vorteilhaft ist. Stattdessen nimmt man automatisch eine Haltung gegen den Palästinenserstaat ein, nur weil Netanjahu darauf besteht, und weil er gegen den „einseitigen Schritt“ protestiert.

Wie sieht Ihr schlimmstes Szenario für nächste Woche aus?

Dass die UNO-Generalversammlung tatsächlich den Antrag der PLO so oder anders befürwortet, dass dann die Palästinenser mit großen Demonstrationen beginnen, auf die Israel überreizt reagiert, während die Siedler dafür sorgen, dass die Auseinandersetzung außer Kontrolle gerät.

Sollte es zu Gewalt kommen, wird man im Ausland Israel verantwortlich machen. Wieviel an westlichem Ärger hält das Land aus?

Israel wird zweigleisig reagieren und sagen: Das ist nicht unsere Schuld, die Palästinenser sind dafür verantwortlich. Deshalb wird Jerusalem von USA und Europa erwarten, Druck auf die Palästinenser auszuüben. Wenn das nicht passiert, sondern Israel stattdessen unter Druck gesetzt wird, dann kann man sich wieder auf die alte Predigt berufen, nämlich: „Die ganze Welt ist antisemitisch.“ Und zwar nicht nur die Palästinenser, die Türken und die Ägypter, sondern auch die Deutschen und die Amerikaner. Das Traurige ist, dass US-Präsident Barack Obama leider keine Opposition in seinem Land hat, die ihn korrigieren könnte. Die Republikaner sind zum großen Teil fundamentalistisch und unterstützen Netanjahu, der damit rechnet und deshalb seine unnachgiebige Politik fortsetzen kann. Obama ist zu schwach, und die Republikaner und die Evangelikalen sind stark genug.

Kann überhaupt noch etwas gerettet werden?

Es ist jetzt viel schwieriger, das Verpasste aufzuholen, und das wird von der jetzigen Regierung auch gar nicht versucht werden. Erst wenn die Leute verstehen, dass ihr Wohlstand unmittelbar mit Israels Palästinapolitik in Verbindung steht – was jetzt in der Sozialbewegung in Israel leider wieder verpasst wurde –, erst dann wird Druck von unten kommen, und dann kann sich auch etwas ändern. Erst wenn wir und die gesamte Region weniger religiös und fundamentalistisch Politik machen, kann sich etwas ändern. Solange wir Geiseln der Siedler und der Besatzung sind und mit den Geiselnehmern kollaborieren, bewegt sich nichts.

Findet mit den sozialen Protesten eine Verschiebung der nationalen Agenda statt? Werden innenpolitische und Wirtschaftsthemen wichtiger als die Festlegung der endgültigen Grenzen?

Keineswegs. Das erkennt man daran, dass die Protestler es nicht wagten, die Prioritäten zu ändern. Es geht nicht darum, von Siedlungen und dem Militär staatliche Gelder abzuziehen, um mehr Ressourcen für Sozialleistungen zu haben. Es geht um mehr Sozialleistungen und um billigere Wohnungen, aber nicht um den Preis der Auseinandersetzung mit den nationalistischen Kräften. Die Protestbewegung ging entsprechenden Konfrontationen aus dem Weg. Es ist nur vorgeblich eine neue Agenda, ein neues Programm. In Wirklichkeit ist es eine Agenda, die neben der anderen, die sich nicht geändert hat, zu bestehen versucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2011)

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