Grimms Märchen und die Bankbilanzen

(c) AP (Matt Dunham)
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Die Welt hat aus der Bankenkrise 2008 nichts gelernt. Jetzt hätte sie erneut Gelegenheit dazu, denn die Finanzbranche steuert auf den nächsten Krach zu.

Börsenkurse von Geldinstituten stürzen ins Bodenlose, Banken erscheinen immer öfter auf dem Downgrading-Radar der Ratingagenturen, der IWF warnt in immer kürzeren Abständen vor den Risken, die rund um den Globus in den Bilanzen der Geldhäuser schlummern: Kein Zweifel, die Bankenkrise 2.0 ist da.

Ein bisschen flott ist es gegangen in diesem Teufelskreis: Die Bankenrettungsaktionen nach dem Crash 2008 haben die Staatsschuldenkrise zusätzlich angefacht, die wiederum führt (wegen der Entwertung der Staatsanleihen in den Bank-Portefeuilles) zur nächsten Bankenkrise. Was noch größere Rettungsaktionen durch ohnehin schon bis zum Gehtnichtmehr verschuldete Staaten nach sich ziehen wird, was wiederum die Staatsanleihen in den Bank-Portefeuilles weiter entwerten und zur nächsten Bankenkrise führen wird. Und so weiter und so weiter.

Ein bisschen wundert uns das allerdings schon: Haben uns Notenbankchefs und andere Finanzkapazunder nicht eben erst mit treuherzigem Dackelblick Ergebnisse von europaweiten „Bankenstresstests“ verkündet, denen zufolge die Branche bis auf wenige Ausnahmen aber so was von toll aufgestellt und nicht so leicht umzuwerfen ist? Und jetzt, ein paar Wochen später sehen wir: alles seichtes Beruhigungsgeschwätz. Die ganze Finanzwelt ist Volksbank und schrammt seit 2008 permanent am Existenzminimum dahin.

Andererseits: So wirklich überraschend kommt das ja nicht, wenn man die Dinge ein wenig beobachtet hat. Die Bankenlobbys sind global sehr effizient. Die Folge davon ist, dass der von der Finanzwirtschaft ausgelöste große Krach des Jahres 2008 ausgerechnet für dessen Verursacher keine Konsequenzen gehabt hat. Die mit Staatsgeld aufgepäppelten Institute können so weitermachen, wie sie das vor dem Crash getan haben. Kein einziges der Probleme ist gelöst. Im Großen nicht (weil die Staaten weiterhin mit dem „Too big to fail“-Dilemma erpressbar sind) und im Kleinen auch nicht. Oder hat jemand davon gehört, dass es auf dem österreichischen Markt, der selbst nach Meinung der Branche drastisch „overbanked“ ist, irgendeine nennenswerte Strukturbereinigung gegeben hätte?

Im Gegenteil: Statt klug Leitplanken zu setzen, damit es die Branche nicht gar so leicht aus der Kurve trägt, hat man sogar das Tricksen erleichtert. Etwa durch eine Lockerung der Bilanzierungsvorschriften, die die Bankbilanzen unterdessen auf eine Stufe mit Grimms Märchen stellt. Auch die Gepflogenheit, Risken vorübergehend einfach aus der Bilanz in irgendwelche Zweckgesellschaften auszulagern, trägt nicht gerade zu Transparenz und Vertrauen bei.

Und es wird weiter getrickst: Der Internationale Währungsfonds hat in jüngster Zeit mehrmals – zuletzt vorgestern – beklagt, dass die Risken europäischer Anleihen in den Bankbilanzen nicht ernst genug genommen würden. Inoffiziell war zu hören, dass die Abwertung der Anleihe-Portefeuilles auf „Marktniveau“ 300 Milliarden Euro „kosten“ würde. Mit anderen Worten: Die Herrschaften gaukeln uns in ihren Bilanzen (bonusfähige) Milliardengewinne vor, die schlicht nicht existieren.

Die traurige Wahrheit ist also: Wir werden demnächst wohl wieder Bankenrettungsaktionen sehen. Zuerst wahrscheinlich in Frankreich und Spanien, und wenn das Euro-Schuldenproblem nicht in den Griff zu kriegen ist, wohl auch in Italien und Deutschland. Und dann natürlich auch bei uns. Das ist noch nicht das Ende der Finanzwelt, denn der aufgestockte europäische „Rettungsschirm“ wurde ja jüngst so adaptiert, dass er nicht nur Staaten, sondern auch Banken „heraushauen“ kann. Bezahlen werden dieses umfassende Management- und Politikversagen wieder wir Steuerzahler – wer sonst?

Vielleicht führt das aber dann endlich zu einer echten internationalen Diskussion darüber, wie Banken und ihr Geschäft aufgestellt sein sollten und welche Verantwortung sie zu übernehmen haben. Da geht es dann nicht um lösbare Kinkerlitzchen wie Basel III und Eigenkapitalquoten, sondern um ein tragfähiges Geschäftsmodell, das ohne Tarnen und Täuschen und vor allem ohne ständige Steuergeldinfusionen funktioniert.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2011)

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