Ingo Holland: Fantastischer Aromatismus

(c) Anna Burghardt
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Am Anfang ist die weiße Leinwand: Die Gewürzmischungen von Ingo Holland entstehen in seinem Kopf. Das „Schaufenster“ war bei ihm zu Besuch.

Das ist die Diebstahlsicherung“, sagt Ingo Holland. Die Vanilleschote in seiner Hand hat einen deutlich sichtbaren Dippel, wie nach einem Insektenstich. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass es wohl ein bestimmtes Zeichen sein soll. „Vanille ist ja so teuer, dass die Schoten oft schon vom Feld gestohlen werden. Viele Bauern stechen nun also mit feinen Nadeln ihre Initialien in die Schoten, damit sich Narben bilden, die dann der Herkunftsnachweis sind.“ Und das mit der Diebstahlsicherung ist bei weitem nicht das Einzige, was der Mann über Vanille erzählen kann. Ingo Holland ist der wohl bekannteste Gewürzhändler im deutschsprachigen Raum. Silvio Nickol vom Coburg etwa sagt über seinen Landsmann, dass dieser „ganz schön etwas bewegt“ hat. Die grünen Dosen mit Hollands Mischungen wie Panch Phoron oder Einzelgewürzen wie Koriander stehen in Privatküchen, die etwas auf sich halten, genauso wie in internationalen Spitzenlokalen. Und das, obwohl Holland in der deutschen Provinz zuhause ist, in Klingenberg am Main. „Klingenberg ist halb so groß wie der Chicagoer Hauptfriedhof, aber doppelt so tot. – Ja, das können Sie schreiben, ich bin ja von hier.“

Vanillemythen. Das Lieblingsgewürz des ehemaligen Michelinstern-Kochs ist die Vanille, zehn bis 15 Sorten hat er stets im Programm, von den Komoren oder aus Mauritius etwa. Und er räumt gleich einmal mit dem derzeitigen Küchentrara um die Tahitivanille auf. „Die Tahitivanille ist eben die teuerste, deshalb der Hype. Sie hat zwar 500 verschiedene Aromenverbindungen, aber dafür kaum Vanillin, für die warme Küche eignet sie sich nicht.“ Die Bourbonvanille hingegen „macht die Käufer kirre, die ist wie deutscher Riesling“. Gut gehe auch die Grönlandvanille. Er wartet kurz und erfreut sich diebisch an den fragend hochgezogenen Augenbrauen seines Gegenübers. „Ein Scherz. Das Vanillin kristalliert bei manchen Sorten so stark, dass es wie vereist aussieht. Das habe ich Vanilla arctica genannt – was glauben Sie, wie viele Leute das gekauft haben!“
Er zeigt in eine Ecke seines Geschäfts: „Da vorn hängt eine Vanillepflanze, aber die blüht nicht, das Luder. Wahrscheinlich bin ich zu gut zu ihr.“ In Indien habe man ihm nämlich gesagt, dass man sie richtig schlecht behandeln muss, die Vanille, damit etwas aus ihr wird. Aus Indien kommt übrigens die einzige Gewürzmischung in Ingo Hollands Sortiment, die er nicht nach eigenem Rezept selbst anfertigt: das Vadouvan, eine seltene fermentierte Mischung, die für viele gewöhnungsbedürftig sei. „Das Vadouvan hab ich früher noch selbst in Paris gekauft“, erzählt Holland, „ich bin zu einem indischen Händler gegangen und hab provozierend gesagt: ,Ich brauch 75 Kilo Vadouvan, haben Sie das da?‘ ,Ja.‘ Aber kein Taxi wollte in dieser Gegend halten!“

Mit Vanille, Salz und Pfeff er, sagt Holland, sei es so: „Jeder weiß was drüber, aber keiner hat eine Ahnung.“ Und jeder rede über Curry und Chili, aber niemand von Nelken und Wacholder. Dabei gäbe es auch hier wahnsinnige Unterschiede. Die besten Koriandersamen
zum Beispiel bekommt er nicht etwa aus Indien, sondern aus Baden-Württemberg: „Ein Wahnsinnsaroma!“ Koriander muss nach Orangenschale riechen, sagt er, „und man muss ihn immer länger mörsern, als für die Zerkleinerung notwendig ist“. Koriander war auch im ersten Versuch seines Gewürzhändlerdaseins enthalten: dem Raz el Hanout, übersetzt „Chef des Ladens“, einer klassischen marokkanischen Mischung, die bei Holland freilich nicht aus ein paar wenigen, sondern aus 27 Zutaten besteht. Warum auch auf Veilchenwurzel verzichten! Das Raz el Hanout ist die Folge einer Reise nach Paris, damals war Holland noch Koch mit einem Michelinstern und drei Hauben. In der Epicerie du Monde eines gewissen Monsieur Izrael wurde er mit dem Gewürzvirus angesteckt, davor war er nicht auf Kardamom und Co. fixiert. „Ich habe ein weibliches Gen: Ich gehe gern einkaufen“, erklärt Ingo Holland den folgenreichen Besuch in der Pariser Gewürzhandlung. „Der Laden ist echt grausam, sag ich Ihnen, mit Kreditkarte interessiert Sie dann nicht, wie viel Sie ausgeben – der weiß schon, warum er Karten nimmt!“ Die Qualität dort reiche mittlerweile an seine nicht heran, aber „er ist das Original, ich bin das Plagiat“!

Tüfteleien. Zurück in Klingenberg, begann er mit dem Aufspüren hochwertigster Gewürze – „damals noch ohne Internet!“ – und kooperierte dafür mit Pharmafachhändlern. Das Raz el Hanout war quasi sein erstes Kind, das Arabische sei ihm stets nähergelegen als das Fernöstliche, „obwohl ich ja immer sag, ich koch holländisch“. Ein Sickerwitz. „Beim Raz el Hanout haben wir alle Fehler gemacht, die man machen kann.“ Zu bitter (paradoxerweise dann, wenn es zu wenig geröstet war, das liege am Bockshornklee), zu scharf, zu unharmonisch. „Wenn Sie verschiedene Raz el Hanout vergleichen, merken Sie, dass die meisten zu viel Kreuzkümmel enthalten. Dabei sagt man zu Raz el Hanout auch Rosengewürz, weil es im Idealfall ziemlich floral ist, mit Rosen, Jasmin, Orangenblüten.“ Als Holland endlich zufrieden war, schickte er eine Probe der Gewürzmischung an Feinkosthändler Ralf Bos, von dem er damals als Koch viele Produkte bezogen hatte. „Der hat das dann gleich bei mir bestellt und gesagt: ,Macht mal ein Quatre Epice, ein Chat masala . . .‘“ Versteht sich, dass Hollands Quatre Epice nicht aus vier, sondern aus neun Zutaten besteht. Aus den Versuchen im Kleinen ist ein Unternehmen mit 27 Mitarbeitern geworden. Produzierte er zunächst noch in der Küche seines Restaurants, musste man bald ausweichen. 2007 schloss Ingo Holland sein Lokal, seitdem widmet er sich den Gewürzen. „Altes Gewürzamt“ hat er sein Geschäft in der pittoresken Mini-Altstadt von Klingenberg genannt, in Anlehnung an sein früheres Restaurant „Altes Rentamt“. Die nicht gerade zentrale Lage macht ihm keine Probleme, Kunden nehmen die knappe Fahrstunde aus Frankfurt auf sich, manche reisen überhaupt von viel weiter her an, um sich bei Ingo Holland einzudecken.

Für Österreich hat er mit Helmut Sussitz in Klagenfurt
einen Generalimporteur, der sich hier um den Vertrieb kümmert. „Der österreichische Marktist phänomenal, die  Österreicher sind gutem Essen gegenüber sehr aufgeschlossen.“ In seinem eigenen Geschäft in Klingenberg verkauft Holland nicht nur Gewürze, sondern auch Diverses aus Südfrankreich – „ich bin überhaupt nicht italophil!“ –, etwa Salami oder Oliven, aber auch selbst zubereitete Produkte wie frische Harissa und Curryketchup, „das geht ab wie Schmidts Katze“. Auch Salze und Salzmischungen hat er im Sortiment: Da gibt es zum Beispiel das Kala Namak, ein vulkanisches Salz aus Indien, das frappant nach hartgekochten Eiern schmeckt. „Das macht aus einem Butterbrot ein cholesterinfreies Eierbrot.“ Oder ein, eh klar, Vanillesalz: „Das passt am allerbesten zu Butterbrot mit schwarzen Trüffeln!“ Schokosalz streut er – nein, nicht auch noch aufs Butterbrot, sondern auf Alphonso-Mangos, Rosensalz kommt auf Feigenkuchen, Lakritzsalz auf Leber. Hat ja niemand behauptet, dass in der Provinz nicht die Uhren schneller ticken können.

TIPP

Generalimporteur von Ingo Hollands Produkten ist Helmut Sussitz, in seinem Geschäft in Klagenfurt findet man eine umfangreiche Auswahl. Schnuppergläser ermöglichen erste Eindrücke.
Sussitz, Feldkirchner Straße 24, Klagenfurt. www.sussitz.eu
Franziskus-Apotheke, Thürnlhofstraße 30, 1110 Wien.
Zum Kochen, 8010, Theodor-Körner-Str. 37, Graz. www.zumkochen.at/Magazin, Augustinergasse 13, Salzburg.
www.magazin.co.at/
Herwig Ertl
, Hauptplatz 19, Kötschach-Mauthen.
www.kaeseschokolade.at/
Altes Gewürzamt Ingo Holland,
Unterlandstr. 50, D-63911 Klingenberg. www.ingo-holland.de/

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