Staatsoper: Thielemanns „Ring“ begann atemberaubend

(c) Staatsoper/Michael Pöhn
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Dem gewaltigen Ansturm der philharmonischen Kräfte ist die Wiener Wagner-Inszenierung nicht gewachsen: Die Komödiantik auf der Szene verblasst rettungslos gegen weltweit singuläre musikalische Qualität.

Der Ausnahmerang der Veranstaltung stand längst fest. Christian Thielemann dirigiert nicht viel – und Wagners „Ring“ derzeit nur in Wien. Und auch das nur ein einziges Mal. So etwas sorgt beim begehrtesten Wagner-Dirigenten unserer Zeit schon einmal für Stress bei den Verehrern. Freilich: Für eine Vorstellung dieses Zuschnitts lohnt es sich, bis zum letzten Moment auf Eintrittskarten zu warten. Denn wenn unser Orchester in Geberlaune ist – und das ist es bei Thielemann notorisch –, schlägt es jede Konkurrenz um Längen.
Thielemann weiß auch, dass ihm bei dieser Musikergemeinschaft keine Grenzen in Sachen künstlerischer Gestaltung und spontaner, visionärer Kreativität gesetzt sind. „Rheingold“ kennen die Wiener Musiker ebenso in- und auswendig wie der Kapellmeister selbst. Man fängt also gleich ganz oben an, um gemeinsam zu erkunden, wie viel höher hinaus man noch kann.

Eine Schrecksekunde – 150 Minuten Größe

Nur einen einzigen kurzen Moment des fragenden Zauderns vermochten Hellhörige an diesem außerordentlichen Abend auszumachen – während der Verwandlungsmusik zum zweiten Bild mochten nicht alle Holzbläser glauben, was der Dirigent da an Tempomodifikation angab: Freies Fließenlassen von Phrasen und Tempi, dann ein jäher Stimmungswechsel – es dauerte kaum eineinhalb Takte, die Harmonie war wiederhergestellt. Der Rest war vom Rang einer genialen Improvisation über ein vorgegebenes Thema: Wie bleibt man hart an Wagners Notentext und erfüllt die melodischen, rhythmischen und harmonischen Vorgaben dennoch mit dem Geist der Spontaneität? Das war hier zu lernen.
Thielemann, der Klangmagier, zaubert unerhörte koloristische Details aus der Partitur, er spornt beim Auftritt der Riesen und den metaphysischen finalen Naturereignissen die Musiker zur äußersten Kraftentfaltung an – ohne dass je Gewalt in akustische Gewalttätigkeit ausarten würde. Über allem waltet ein Schönheitsprinzip, wie Rilke es poetisch einforderte: des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen.
Das „Rheingold“ handelt, wie alle „Ring“-Teile, vom Schrecken. Das Orchester erzählt unter Thielemanns Leitung die ganze Wahrheit über die Menschheitstragödie, die Wagner gedichtet hat. Der künstlerischen Fallhöhe, die dadurch entsteht, ist Sven-Eric Bechtolfs verkasperlte Regie nicht im Mindesten gewachsen. Die szenische Komponente der Aufführung hält, das war zu erwarten, der musikalischen Qualität – die wohl weltweit einzigartig ist – nicht stand. Selbstverständlich kann auch keine Sängerbesetzung heute mit solchen Wagner-Klängen konkurrieren.

Wer soll gegen dieses Orchester ansingen?

Sieht man vom – auch in Sachen Präzision – außerordentlichen, intelligenten Loge Adrian Eröds ab – tönt im Verhältnis zur orchestralen Vollendung fast alles wie vokale Ersatzvornahme, von Albert Dohmens blässlich-eindimensionalem Göttervater bis zu Anna Larssons gar nicht charismatischer Urmutter Erda. Freilich: Viel bessere Interpreten laufen in der Opernwelt heute nicht herum. Man muss sich nach der Decke strecken – und das tut die Staatsoper mit Würde. Sie hat in Tomasz Konieczny schließlich weiterhin einen aggressiv-bösen, also wirklich rollendeckenden Alberich, mit Markus Eiche, Herbert Lippert, Alexandra Reinprecht und Janina Baechle achtbare Götter, mit Ain Anger und Wolfgang Schmidt ebensolche Riesen und Zwerge und mit Lars Woldt sogar einen wirklich exquisiten neuen Fasolt. Das Rheintöchter-Terzett sang zu Beginn und im Finale ausgewogen, die neue Wellgunde, Ulrike Helzel, ließ überdies mit schönem Mezzo und perfekter Diktion aufhorchen.
Jedenfalls war kein akustischer Störfaktor auszumachen, der dem Publikum die Konzentration auf die philharmonischen Klangwunder trüben hätte können. Die Reaktionen auf den „Vorabend“ zum großen „Ring“-Spektakel klangen dann entsprechend enthusiasmiert.

Auf einen Blick

Thielemann in Wien 2011/12. Im „Ring“-Zyklus der Staatsoper folgen „Die Walküre“ (6. 11.), „Siegfried“ (9. 11.) und „Götterdämmerung“ (13. 11.) Die Vorstellungen werden live auf dem Herbert-von-Karajan-Platz vor der Oper übertragen.
Parsifal. In der Karwoche dirigiert Christian Thielemann auch Wagners „Parsifal“ an der Staatsoper (5., 8., 12. April – mit Angela Denoke, Simon O'Neill und Falk Struckmann).
Philharmoniker. Mit den Philharmonikern erarbeitet Thielemann einen Schumann-Zyklus, dessen erstes Programm am 20. (Philharmoniker) bzw. 21. April 2012 (Gesellschaft der Musikfreunde) im Großen Musikvereinssaal zu hören sein wird.

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