Staatsoper: Schlaflos nach „Siegfried“

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Christian Thielemanns Wiener „Ring“-Abenteuer bleibt auch beim notorisch am wenigsten spektakulären Abend sensationell. Was die Leichtigkeit betrifft, wurde die Erwartungshaltung durchaus erfüllt.

Der „zweite Abend“ – also in Wahrheit der dritte Teil – von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ gilt als der am wenigsten spannungsgeladene. „Siegfried“ hat nicht die Attraktionskraft der umrahmenden Großtragödien „Walküre“ und „Götterdämmerung“. So heißt es zumindest. Kommentatoren bezeichnen das Werk als „Scherzo“ der viersätzigen Theatersymphonie, suggerieren damit also Leichtigkeit und weniger tiefgründige Emotionen, als man sie von einem „Adagio“ oder einem Finale erwartet.

Was die Leichtigkeit betrifft, wurde die Erwartungshaltung beim Staatsoperngastspiel Christian Thielemanns durchaus erfüllt: So locker und geradezu spritzig werden die Pointen des ersten Aufzugs kaum je serviert. Der Kapellmeister beherrscht die Partitur dermaßen souverän, dass trotz Totaleinsatzes der Musiker in keinem Moment der Eindruck entsteht, hier würde harte Arbeit geleistet. Hier wird musiziert, so leidenschaftlich und animiert wie irgend möglich.

Der Mann am Pult organisiert den Ablauf dieses notorisch heikelsten deutschen Opernaktes mit seinen unzähligen Tempo-Modifikationen und Taktwechseln, als wäre das alles in einem großen Atemzug komponiert – und auch mühelos so zu dechiffrieren. Der Musikfreund weiß aus Erfahrung, dass dem keineswegs so ist, erfreut sich an einer Leistung, wie sie das Wiener Orchester bringt, daher umso mehr.

Triumph der Tenöre

Und da Tenöre vom Format eines Stephen Gould und Wolfgang Schmidt in ihrem jeweiligen Fach derzeit schwer zu übertreffen sind, ergibt sich ein vollkommenes Wagner-Erlebnis. Auch weil Thielemann in kräfteraubenden Passagen wie den Schmelz- und Schmiedeliedern die Musiker bei gleichbleibender Energiezufuhr in Pianoregionen drosselt, damit dem Heldentenor die Luft nicht vorzeitig ausgeht: Gould steht denn auch den dritten Akt ohne Blessuren durch, an der Seite von Linda Watson hält er sogar über weite Strecken die Gesetze des Schöngesangs in Ehren, während sich seine Brünnhilde mehr aufs Durchhalten und die Hörbarkeit konzentriert.

Dem „Stürmebezwinger“ Wotan geht es diesbezüglich weniger gut: Albert Dohmen drohen die Orchester-Orkane mehr als einmal zur Unhörbarkeit zu verdammen. Anna Larssons Urmutter Erda tut sich – schon wegen Wagners dynamischer Anweisungen – entschieden leichter.

Exquisit tönt das neue Waldvöglein, Chen Reiss, wieder erholt von leichter „Rheingold“-Schwäche der Fafner von Ain Anger – und ein sicherer Treffer ins Opern-Schwarze bleibt Tomasz Konieczny, ein Alberich noch böser und hinterfotziger als der ohnehin höchst prägnante Bruder Mime von Wolfgang Schmidt. Bleibt noch die „Götterdämmerung“ – Thielemann soll schon signalisiert haben, nach den Wiener Erfahrungen mit einer Neuauflage des Ereignisses zu kokettieren...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2011)

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