Syrien: "Wir befinden uns am Rand eines Bürgerkriegs"

(c) REUTERS (STRINGER)
  • Drucken

Der Druck auf den syrischen Diktator Assad wächst. Nun wenden sich die arabischen Bruderstaaten ab. Auch intern werden seine Gegner immer gewagter.

Regional isoliert, intern unter Druck: Nach dem achtmonatigen Aufstand gegen das syrische Regime wird es für Diktator Bashar al-Assad militärisch sowie diplomatisch eng.

Intern werden seine Gegner immer gewagter. Übergelaufene Soldaten, die sich in den letzten Wochen zur „Freien Syrischen Armee“ formiert haben, griffen am Mittwoch das Hauptquartier des Luftwaffengeheimdienstes in der Nähe von Damaskus an. Der Angriff war nicht nur spektakulär, sondern auch symbolträchtig. Die Institution ist zuletzt besonders brutal gegen Demonstranten vorgegangen. Offiziell ist der Luftwaffengeheimdienst zusammen mit der Militärpolizei dafür zuständig, abweichende Stimmen in der Armee aufzustöbern und massiv zu bekämpfen.

Der Blutzoll für die Erhaltung der Macht steigt zusehends: Der Monat November erweist sich mit bisher mehr als 300 Toten als der blutigste Monat des Aufstandes. Allein in den letzten 24 Stunden sollen mehr als 70 Menschen umgekommen sein, seit Beginn des Aufstandes starben laut UN-Angaben mindestens 3500 Menschen.

Fahnenflüchtige Soldaten

Im Zentrum der bewaffneten Aktionen gegen das Regime steht die Freie Syrische Armee, eine Organisation fahnenflüchtiger Soldaten, die nach eigenen Angaben inzwischen bis zu 15.000 Mann hat. In einer Erklärung beschreibt die Organisation ihre Mission als „ein Aufstehen gegen die unverantwortliche syrische Militärmaschinerie, die das Regime schützt“.

Für die syrische Opposition sind die übergelaufenen Soldaten eine weiteres Druckmittel, aber gleichzeitig auch eine Herausforderung. Der oppositionelle „Nationalrat“ propagiert immer wieder den friedlichen Aufstand nach ägyptischem und tunesischem Muster. Mit den Aktionen der übergelaufenen Soldaten droht der Widerstand sich nun schleichend in einen bewaffneten Aufstand nach libyschem Vorbild zu verwandeln.

Ruf nach Pufferzone wird lauter

Interessant ist dabei, dass die Erklärungen der „Freien Syrischen Armee“ vom Rest der Opposition weder verurteilt noch begrüßt werden. Es fällt der Opposition offensichtlich schwer, zu den bewaffneten Aktionen Stellung zu nehmen. Stattdessen werden sie genutzt, nach schärferen internationalen Sanktionen und nach international gesicherten Pufferzonen in den Grenzgebieten Syriens zu rufen.

„Wir befinden uns am Rand eines Bürgerkrieges“, warnt Musab al-Azzawi, Mitglied des in London ansässigen „Syrian Observatory for Human Rights“. Die Menschen sollten am Prinzip der Friedfertigkeit festhalten, mische man sich aber nicht von außen ein, werde die Verlockung für die Menschen groß, zu den Waffen zu greifen und sich den übergelaufenen Soldaten anzuschließen, glaubt er. Er fordert ebenfalls die Schaffung einer Pufferzone an der Grenze zur Türkei und zu Jordanien, damit sich die übergelaufenen Soldaten dorthin friedlich zurückziehen könnten.

Bisher stoßen solche Forderungen auf wenig Gehör, wenngleich das Regime Assad sich vor allem regional einer zunehmenden Isolierung ausgesetzt sieht. In der Arabischen Liga waren bei einem Außenministertreffen in Marokko am Mittwochnachmittag alle Weichen zum Ausschluss Syriens gestellt. Syrien bezeichnete diesen Schritt als „beschämend und niederträchtig“. Damaskus wirft der Liga vor, „mit dem Westen zu konspirieren“.

Bruderstaaten wenden sich ab

Den Umschwung in der Liga hat Assad vor allem den Golfstaaten zu verdanken, die sich in den letzten Wochen offen von ihm abgewendet haben. Der frühere Botschafter Saudiarabiens in den USA bezeichnete Assads Rücktritt als „unausweichlich“. Die Abwendung der arabischen Bruderstaaten trifft das Regime in Damaskus, das sich gern als Herzstück des Panarabismus und arabischen Nationalismus sieht, hart. Zuvor hat Jordaniens König Abdullah in einem Interview mit der BBC Assad ebenfalls offen zum Rücktritt aufgefordert. Auch der türkische Ministerpräsident Erdoğan hat diese Woche die Daumenschrauben angezogen.

Auffällig ist dagegen das Schweigen der anderen großen Regionalmacht Iran. Dort hat man sich zu der Entscheidung der Arabischen Liga bisher nicht offiziell geäußert, und das, obwohl es um Irans wichtigsten Verbündeten in der Region geht. Die überregionale arabische Tageszeitung „Al-Scharq al-Awsat“ schreibt dazu: „Der Iran realisiert, dass es mit dem Regime Assad zu Ende geht. Das ist der Grund, warum man sich besser in Schweigen hüllt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Marokko: Syriens System ist "unfähig sich zu erneuern"

Der arabische Staat wendet sich von Syrien ab, um "gegen ein System zu protestieren, das unfähig ist sich zu erneuern".
Außenpolitik

Wiens Botschafter bleibt

Für Minister Spindelegger ist es wichtig, einen österreichischen Vertreter in Syrien vor Ort zu haben. Man wolle sich in dieser Frage mit den anderen EU-Partnern abstimmen.
Türkei: Syriens Regime muss "sehr hohen Preis" zahlen
Außenpolitik

Türkei: Syriens Regime wird "hart bezahlen"

Die Türkei schlägt gegenüber Syrien einen immer schärferen Ton an. Die syrische Opposition bemüht sich um eine Schutzzone im Grenzgebiet auf türkischem Territorium.
Syrien: Deserteure greifen Militäreinrichtung an
Außenpolitik

Syrien: Deserteure greifen Geheimdienst-Basis an

Sechs Soldaten sollen bei dem Angriff der Abtrünnigen nahe Damaskus getötet worden sein.
Außenpolitik

Erdoğan: Syrien „auf Messers Schneide“

Die Türkei verliert die Geduld mit Syrien. Erdoğan verlangte von Präsident Assad eine Entschuldigung für die Anschläge auf türkische Niederlassungen in Syrien. Golfkooperationsrat lehnt Syrien-Sondergipfel ab.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.