Nach der Erste Group muss auch die RZB ihren Kapitalbedarf korrigieren – um satte 600 Mio. Euro. Ob die heimischen Banken mit den nunmehr berechneten Kapitalerfordernissen auskommen, ist offen.
Wien/Red/Apa. Der Kapitalbedarf österreichischer Banken zur Erfüllung der ab Juni 2012 geltenden Eigenkapitalvorschriften steigt in atemberaubendem Tempo: Erst kürzlich hat die Erste Group ihren Kapitalbedarf auf Basis der Zahlen für das dritte Quartal des laufenden Geschäftsjahres drastisch nach oben korrigiert. Jetzt folgt die Raiffeisen Zentralbank (RZB): Die Bank hat gestern mitgeteilt, dass die Gruppe (RZB ist Muttergesellschaft der börsenotierten Raiffeisen Bank International, RBI) nach vorläufigen Berechnungen nun 2,5 Mrd. Euro Kapital benötige, um die verschärfte Vorschrift der Europäischen Bankenaufsicht EBA (neun Prozent Kernkapital ab Juni 2012) zu erfüllen. Gegenüber dem Halbjahr entspricht dies einer Korrektur um 600 Mio. Euro – nach oben.
Ob die heimischen Banken mit den nunmehr berechneten Kapitalerfordernissen auskommen, ist freilich noch offen: Bis zum Inkrafttreten der neuen Kapitalrichtlinie dauert es noch drei Quartale – für die die Prognosen der Wirtschaftsforscher nicht gerade rosig ausfallen.
Die RZB will jedenfalls (wie übrigens auch die Erste) alles unternehmen, um die höheren Kapitalerfordernisse selbst zu erfüllen. Der Rückgriff auf Staatsgeld wäre diesmal nämlich mit Eingriffen in die Geschäftspolitik verbunden: Der Bund würde die Banken nicht, wie bei der letzten Bankenstützung 2008/2009 (die im Übrigen noch nicht zurückgezahlt ist) mit stimmrechtslosem Partizipationskapital, sondern mit normalem, stimmberechtigtem Stammkapital unterstützen. Das würde bedeuten, dass Vertreter des Finanzministeriums in die Aufsichtsräte einziehen. Die RZB hat am Freitag mitgeteilt, dass sie „aus heutiger Sicht“ ohne Staatsgeld auskommen werde. Zum einen sollen Gewinne einbehalten werden. Die RZB-Tochter RBI hat im ersten Halbjahr einen Konzern-Periodenüberschuss von 615 Mio. Euro erzielt und wird nach Raiffeisen-Angaben im dritten Quartal „noch etwas drauflegen“. Das Ergebnis wird am 24. November veröffentlicht. Zumindest ein Teil davon soll zur Eigenkapitalstärkung herangezogen werden. Rund 500 Mio. Euro sollen zudem über interne Umbuchungen (stille Reserven in Rücklagen) aufgebracht werden.
Banken wollen kein Staatsgeld
Außerdem hofft man bei Raiffeisen, dass das private Partizipationskapital (eine Mrd. Euro) doch noch auf die Eigenkapitalquote angerechnet wird. Nach den Bestimmungen der EBA wird zwar das staatliche Partizipationskapital (1,75 Mrd. Euro bei der RZB) als Kernkapital betrachtet, nicht jedoch das private. Einen genauen Plan, wie die klaffende Lücke geschlossen werden könnte, wird Raiffeisen bis Weihnachten bei der Finanzmarktaufsicht einreichen.
Keine Option ist für Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad eine Kapitalbeschaffung via Emission von jungen Aktien: Die RBI-Aktie, die in besseren Zeiten um die 100 Euro notierte, ist nach einem dramatischen Kursverfall zuletzt auf rund 16,50 Euro abgesackt. Eine Aktienemission bei diesem Kurs hieße, „die halbe Bank zu verschenken“, meint man bei Raiffeisen.
Die strengen Kapitalvorschriften wurden von der EBA für „systemrelevante“ Großbanken erlassen. In Österreich sind das Erste Group, Raiffeisen und die Volksbanken AG (ÖVAG). Auf Basis der Halbjahreszahlen geht die europäische Bankenaufsicht von einem Kapitalbedarf von insgesamt 2,9 Mrd. Euro für die drei österreichischen Banken aus. In dieser Rechnung stehen allerdings die Erste Group noch mit 59 Mio. Euro (unterdessen auf 750 Mio. Euro korrigiert) und die RZB mit 1,9 Mrd. Euro (unterdessen auf 2,5 Mrd. Euro korrigiert). Der tatsächliche Kapitalbedarf der heimischen Banken ist also schon auf Basis der jetzt vorliegenden Zahlen um mindestens 1,3 Mrd. Euro höher.
Die ÖVAG hat ihren Kapitalbedarf auf Basis des dritten Quartals noch nicht bekannt gegeben. Die Volksbankengruppe gilt als schwächste der drei Großen. Sie hat im Gegensatz zu Erste Group und Raiffeisen die Zinsen auf das staatliche Partizipationskapital bisher nicht bedienen können. Die ÖVAG ist aber ein Sonderfall: Durch den forcierten Abverkauf von Unternehmensteilen (etwa die Ostbankengruppe) wird sie zum Inkrafttreten der Eigenkapitalregel im kommenden Jahr möglicherweise gar nicht mehr Systemrelevanz besitzen – und damit auch von den strengen EBA-Kapitalregeln ausgenommen sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2011)