Mogelpackung: Mängel bei der Neuen Mittelschule

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Im Schulversuch finanziert das Unterrichtsministerium viele Konzepte, die die Lehrer nicht verstehen und die in der Regelschule unmöglich sein sollen.

Wien. Seit September ist die Hauptschule 1 in Braunau eine Neue Mittelschule. Allerdings: Der Schulversuch wird dort so frei ausgelegt, dass mancher Pädagoge vor Ort an dessen Sinn zweifelt. Wie vorgesehen werden die Hauptschullehrer zwar von ihren Kollegen aus den höheren Schulen unterstützt. Das „verschränkte Teamteaching“ findet allerdings nicht in den Hauptfächern statt, sondern in Zeichnen, Musik und Biologie. Das verstört bei einem Schulversuch zur „Neuen Leistungsschule“, wie die Unterrichtsministerin Claudia Schmied die NMS gerne nennt – deren Kern vor allem darin bestehen soll, „leistungsschwächere Schüler bestmöglich zu fördern und die stärkeren zu fordern“.

Die Lehrerschaft in der oberösterreichischen Bezirkshauptstadt kritisiert hinter vorgehaltener Hand das Konzept: Wozu in einer sogenannten „Problemschule“ mit stetig sinkender Schülerzahl und hohem Ausländeranteil nun im Musik- oder Zeichenunterricht zwei Lehrer in der Klasse stehen, hat sich ihnen noch nicht erschlossen. Auch wenn Schuldirektor Günter Skiba vollmundig von einer „Kreativwerkstatt“ spricht.

Fokus auf die „Randfächer“

Ist eine derartige Nutzung der zusätzlichen Mittel, die alle Neuen Mittelschulen erhalten, ein Einzelfall? Nein. Ein ähnlich gestalteter Schulversuch findet sich bereits in Gehnähe: Die NMS 2 in Braunau arbeitet ebenfalls seit Herbst mit der HLW zusammen, der höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe. Lehrer dieser Schule verstärken nun an der NMS 2 die Fächer Musik, Zeichnen und Mathematik. Wie viele andere Schulen noch ihren Fokus auf „Randfächer“ legen, ist unklar. Lange werde dies gesetzlich nicht mehr möglich sein, heißt es auf „Presse“-Anfrage aus dem Unterrichtsministerium.

Warum nutzen Direktoren die Kooperationen überhaupt für diese Fächer? Christian Eder, Direktor der NMS 2, ging die Sache pragmatisch an. Da man einen Engpass an Musiklehrern hatte, dachte er sich, es sei eine gute Möglichkeit, einen ausgebildeten Pädagogen für diesen Bereich zu bekommen. Sonst hätte ein fachfremder Hauptschullehrer den Unterricht allein übernehmen müssen. Außerdem seien Musik, Zeichnen und Mathematik ganz einfach jene Fächer gewesen, in denen die Partnerschule Lehrer zur Verfügung hatte. Denn auch, wenn das Unterrichtsministerium dies nicht gerne hört: Viele Bundeslehrer wollen schlichtweg nicht an einer NMS unterrichten.

Dazu kommt der allgemeine Lehrermangel, der in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch das Personal an den höheren Schulen knapp werden lässt. Manche Standorte behelfen sich einfach damit, zwei Hauptschullehrer in die Klassen zu stellen. So wird das Konzept von Schmieds „neuer Leistungsschule“ ad absurdum geführt – und das bei hohen Kosten.

NMS-Pflicht für Gymnasiallehrer

Das soll sich ändern. Teamteaching ausschließlich in Nebenfächern ist zwar jetzt noch erlaubt. „Im neuen Gesetz wird das aber anders sein“, heißt es aus dem Unterrichtsministerium. Dort macht man sich nach eigenen Angaben keine großen Sorgen, dass die Lehrer für das Prestigeprojekt (langfristig) fehlen: Während man lange Zeit auf Freiwilligkeit setzte, sollen unwillige Pädagogen künftig auch zum Einsatz gezwungen werden können: „Es ist Teil der Verträge für neue AHS-Lehrer, dass sie zum Teamteaching an NMS verpflichtet werden.“ Zudem dürfen auch Hauptschullehrer im Teamteaching eingesetzt werden, wenn sie eine Zusatzausbildung im gemeinsamen Unterricht haben.

Eine Einschätzung, an wie vielen Schulen derzeit ausschließlich Hauptschullehrer eingesetzt werden, will das Ministerium nicht abgeben. Man habe dazu keine Zahlen, heißt es. Das Gesetz, das aus der Neuen Mittelschule die Regelschule macht, soll noch vor Weihnachten den Ministerrat passieren. Was aus den Mogelpackungen des Schulversuchs entsteht, wird sich zeigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Neue Mittelschule Ignoranz Politik
Schule

Neue Mittelschule: "Ignoranz der Politik gegenüber Daten"

Scharfe Kritik vom Bildungsinstitut Bifie: Vor der generellen Einführung der Neuen Mittelschule hätte man die Evaluierung des Schulversuchs abwarten müssen.
Schule

Experten üben Kritik an Neuer Mittelschule

Die flächendeckende Einführung ohne Evaluierung sei ein Beispiel für „die Ignoranz der Politik“.Auch die Gewerkschaft kritisiert den Gesetzesentwurf.
Meinung Bildung

Eine vergebene Chance

Das Konzept der Neuen Mittelschule wird ausgehöhlt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.