Neue Mittelschule: "Ignoranz der Politik gegenüber Daten"

Neue Mittelschule Ignoranz Politik
Neue Mittelschule Ignoranz Politik(c) Clemens Fabry
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Scharfe Kritik vom Bildungsinstitut Bifie: Vor der generellen Einführung der Neuen Mittelschule hätte man die Evaluierung des Schulversuchs abwarten müssen.

Es war ein Triumph für SPÖ-Unterrichtsministerin Claudia Schmied: die generelle Einführung der Neuen Mittelschule (NMS) bis zum Jahr 2018. Scharfe Kritik kommt nun vom Bildungsinstitut Bifie: man hätte die Evaluierung des Schulversuchs abwarten müssen.

Im Jahr 2009 war das Bifie per Parlamentsbeschluss beauftragt worden, den Modellversuch NMS mit immerhin 1000 Euro Zusatzbudget pro Schüler und Jahr zu evaluieren. Ende 2012 sollte ein Bericht vorgelegt werden, der als Entscheidungsgrundlage für die generelle Einführung dienen sollte - die flächendeckende Umstellung der Hauptschulen hat die Regierung allerdings in der Zwischenzeit beschlossen.

Für Bifie-Direktor Josef Lucyshyn ein Beispiel für "die Ignoranz der Politik gegenüber Daten". Die Darstellung im Vorblatt zum entsprechenden Gesetzesentwurf, wonach sich "der Modellversuch in Österreich bewährt hat", sei sachlich nicht nachvollziehbar. "Das ist nicht datenbasierte Politik, sondern hier ist man wieder in alte Muster zurückgefallen und ideologischen Argumentationen gefolgt", so Lucyshyn.

Ergebnisse erst im Jahr 2015

Die Ergebnisse der Evaluierung der NMS durch das Bifie sollen nun erst 2015 vorliegen, wenn die flächendeckende Umstellung der Hauptschulen bereits abgeschlossen ist. Zu diesem Zeitpunkt wird auch der erste Durchgang der Überprüfung der Bildungsstandards für die achte Schulstufe in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch abgeschlossen sein.

Zumindest dem Ministerium dürften damit dann erstmals Daten vorliegen, wie die NMS mit ihren zusätzlichen Fördermitteln im Vergleich zu den AHS-Unterstufen abschneiden. Ob es einen offiziellen Leistungsvergleich gibt, ist noch nicht klar. Schmied ließ sich diesen Punkt gegenüber der "Presse" offen.

Lehrergewerkschaften unzufrieden

Die Lehrergewerkschaften orten - trotz grundsätzlicher Zustimmung zur Umstellung der Hauptschulen zu NMS - inzwischen zahlreiche Mängel. Umstritten ist etwa die geplante Unterscheidung zwischen "grundlegender allgemeiner Bildung" und "vertiefender allgemeiner Bildung" in Deutsch, Mathematik, Englisch und Latein/Geometrisch Zeichnen. Dabei können die Schüler - anders als in den Leistungsgruppen der Hauptschule - flexibel zugeteilt werden. Wer im Abschlusszeugnis der vierten Klasse in allen vier differenzierten Gegenständen "vertiefend" abschließt, erhält laut Gesetzesentwurf die AHS-Reife.

 Die AHS-Lehrer fordern allerdings in ihrer Stellungnahme diese Differenzierung in allen Fächern, wobei betont wird, dass die "vertiefte" Allgemeinbildung viele Schüler in der Mittelschule "überfordert": "Es ist pädagogischer Nonsens, eine Rücksichtslosigkeit gegenüber diesen Schülern und das Gegenteil von Differenzierung, sie mit vertieften Inhalten zu quälen, anstatt mit ihnen grundlegende Inhalte zu üben, damit diese halbwegs verlässlich beherrscht werden." Gleichzeitig müssten gute Schüler motiviert werden, indem schon ab der ersten und nicht erst ab der dritten Klasse NMS die Differenzierung im Zeugnis ausgewiesen wird.

Stärkere Selektion für Oberstufe

Außerdem wollen die Gymnasiallehrer eine Verschärfung der Voraussetzungen für einen Umstieg von der NMS an die AHS-Oberstufe. Dass nur die differenzierten Gegenstände über AHS-Reife entscheiden sollen, sei "inakzeptabel", immerhin gelte derzeit die strengere Regel, dass auch in den Gegenständen ohne Leistungsgruppe mindestens ein "Befriedigend" erreicht werden muss. "Jemandem eine Berechtigung für den Besuch einer Schulart auszustellen, für die diese Person nicht die Befähigung besitzt, provoziert ein Scheitern", so der AHS-Zentralausschuss.

Die Pflichtschullehrer lehnen indes die Unterscheidung zwischen "grundlegender" und "vertiefender allgemeiner Bildung" im Zeugnis generell ab. Stattdessen soll wie bisher bei Schülern der ersten Leistungsgruppe Hauptschule der Zusatz "wurde nach dem Lehrplan des RG (Realgymnasium, Anm.) beurteilt" stehen, um eine Ungleichbehandlung von NMS- und AHS-Schülern beim Umstieg in höhere Schulen zu verhindern.

Benachteiligung der NMS-Schüler

Es dürfe kein Unterschied zwischen AHS-Unterstufe und NMS bestehen, fordert auch der oberösterreichische Landesschulrat, und warnt davor, dass die unterschiedlichen Ziele einer "grundlegenden" und "vertiefenden" Allgemeinbildung "indirekt zu einer Wiedereinführung des 'A-bzw. B-Zuges'" wie früher an Hauptschulen führen. Außerdem müssten Schüler die Möglichkeit bekommen, in Fächern, in denen sie die "Vertiefung" nicht erreichen, eine Wiederholungsprüfung zu machen, wie auch der Landesschulrat Tirol fordert.

Wieder ganz andere Probleme ortet die BMHS-Gewerkschaft: Sie "begrüßt keinesfalls" die Anpassung der NMS an die Inhalte der AHS-Unterstufe, immerhin würden 90 Prozent der Haupt- bzw. NMS-Schüler direkt in die berufliche Bildung wechseln. Die Pflichtschullehrergewerkschaft fürchtet indes eine andere inhaltliche Einengung: Durch die geplanten Novellen würden "bisher erprobte und für gut befundene Schwerpunktsetzungen" wie Naturwissenschaften oder Kreativität unmöglich. Auch der oberösterreichische Landesschulrat sieht einen Widerspruch zu den derzeit üblichen schulautonomen Gestaltungsmöglichkeiten.

Kosten sind umstritten

Umstritten sind auch die angeblichen Kosten der flächendeckenden Einführung der NMS: Laut AHS-Gewerkschaft fallen diese im Endausbau zwischen 40 und 69 Mio. Euro pro Jahr höher als vom Ministerium angegeben aus - je nachdem, ob nur Landeslehrer oder, wie eigentlich vorgesehen, auch Bundeslehrer beim Teamteaching in den vier differenzierten Fächern miteinander in der Klasse stehen. Auch im Salzburger Landesschulrat kann man die Kostenkalkulation nicht nachvollziehen. Bis zum Schuljahr 2018 werde es allein in Salzburg rund 100 NMS-Klassen mehr geben als in dem Modell berechnet, daher sei "jedenfalls mit beträchtlich höheren finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt des Bundes zu rechnen".

(APA/Red.)

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