Schmuck, Fleisch und Innereien

Schmuck, Fleisch und Innereien haben mehr gemeinsam, als man denkt. Wir haben ein sehr persönliches Verhältnis zu beiden.

Beides ist auf seine Art wertvoll, beides ist schön, aber die Kombination aus Innereien und Juwelen ist noch dazu ungewöhnlich. Warum? Die Geschichte fängt an wie so viele Geschichten. Mit: „Es war einmal . . .“
Es war einmal ein Abdecker, so wurden früher jene Arbeiter bezeichnet, die sich um die Tierkörperverwertung kümmerten, also um jene Teile von Schwein, Rind, Schaf und Co., die nicht zum Verzehr geeignet waren. Der Abdecker trennte die Kadaver in Knochen, die an Leim- und Seifensiedereien weitergegeben wurden, Häute – gingen an die Gerbereien – und die Fleisch- und Fettmasse, die für die Salpeterherstellung verwendet wurde. Die Abdeckersprache war eine ganz eigene, auch weil der Beruf einer mit höchst geringem Ansehen war und die Abdecker meist unter sich lebten. Und jetzt kommen wir endlich zum Punkt: Nachdem man die essbaren Innereien und das Fleisch schon herausgelöst hatte, blieben an den Kadavern Fleischreste und Fett übrig – und Letzteres nannten die Abdecker Schmuck. Mit der Fotostrecke holen wir diese veraltete Bedeutung in die Jetztzeit.



Polarisierend. Für die Fotos gaben wir dem Fleisch das Fett, das diese Teile früher umgab, zurück: in Form von richtigem Schmuck. Und wir plädieren damit auf Wertschätzung. Schließlich sollte diese allen tierischen Produkten in unseren Köpfen angedeihen. Das Gegenteil ist freilich der Fall: Noch nie war Fleisch für die Masse so obszön billig: ein ganzes Huhn um 2,50 Euro, ein Kilo Schweinsschnitzel um 3,90. Die Frage ist: Wie könnte man das im realen Leben wertvoller machen?
Schweinsohren, Würste und Innereien wurden nach dem Shooting übrigens nicht etwa weggeworfen, sondern gekocht und verzehrt. Welche Stücke zuerst auf ein Bild kamen, lag an der Fantasie von Fotografin Luzia Ellert, der wohl renommiertesten Food-Fotografin des Landes. Ellert geht das polarisierende Thema für das „Schaufenster“ viel sanfter an als etwa der umstrittene Patrick Ryan, der schon einmal einem Model ein Collier aus nichts als blutigen Nierensegmenten anlegte. Model-Moderatorin Tyra Banks ließ Models bei einem Fotoshooting für „America’s Next Topmodel“ nur in einem Schlachthaus posieren, schon folgten Proteste – sicher nicht nur von Vegetariern.

From Nose to tail. Warum ist rohes Fleisch für so viele Menschen per se eklig? Mitunter tragen Konsumenten Ledermäntel, kaufen anonyme Supermarktsteaks, würden aber höchstens bei vorgehaltener Pistole ein Stückchen Kalbsleber hinunterwürgen. Erinnern Innereien zu sehr an Kannibalismus, an das sprichwörtliche und drastische Herausreißen von Eingeweiden? Ist es der Geruch bei der Zubereitung, der abschreckt? Welcher Natur auch immer die Abneigungen sind: Luzia Ellert ermöglicht mit ihren Fotos, die anders als vergleichbare Werke die polarisierenden Tierteile in elegantem Licht zeigen, einen ganz anderen Blick auf Innereien und das Motto „From Nose to Tail“: Dieses ist nämlich nicht nur eine höchst sinnvolle Strömung in der heutigen Küche (es besagt, dass man aus Respekt vor dem Tier möglichst alle Körperteile verarbeiten soll). Auch im Schmuckbereich galt schon immer eine Art „From Nose to Tail“, dass also auch noch das letzte Restchen aus den „Zutaten“ herausgeholt wird. Freilich weniger aus Respekt dem Stein oder Edelmetall gegenüber, sondern schlicht aus Preisgründen. Die Werktische der Goldschmiede haben dafür eine Art Lederschürze, in der wertvolle Goldspäne und Goldstaub, Reste, die bei der Arbeit anfallen, eingesammelt werden.
Köche beklagen immer wieder, dass Innereien, so salonfähig sie  in der Küche auch geworden sind, eine wenig geeignete Zutat für Kochbücher seien, da sie durchs Garen auf Fotos nicht unbedingt ansehnlicher sind. Da hatten wir mit den rohen Teilen und den funkelnden Preziosen natürlich einen Startvorteil . . .

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