Die Koalition, die sich nicht traut

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Die Verhandlungen um die Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung zeigen. Rot-Grün und Schwarz-Blau sind die wahren Träume der Regierungsparteien.

Frage: Können zwei Partner zusammenarbeiten, deren eigentliches Ziel lautet, ohne den anderen zu arbeiten? Völlig unmöglich.

So gesehen arbeitet die Regierungskoalition gar nicht so schlecht. Immerhin konnte sie sich – auch aufgrund internationalen finanzpolitischen Drucks – auf eine gemeinsame Haltung in einigen Punkten durchringen, Kanzler Werner Faymann bekannte sich überraschend deutlich zu Europa. Er und sein Vize Michael Spindelegger waren auch gemeinsam stolz, unter vier Augen mit Angela Merkel gesprochen zu haben. Und positiv ist – ganz ohne Ironie – der gemeinsame Versuch, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern, hervorzuheben. Der ist zwar bisher nicht gerade erfolgreich verlaufen, aber nun gibt es neue Hoffnung. Sowohl die Grünen als auch die FPÖ genießen die Rolle, die zuvor kurz das BZÖ spielen durfte: die des Züngleins an der Waage. Vor allem der SPÖ gelang es durch die Verhandlungen mit den Grünen, die ÖVP in eine unangenehme Situation zu manövrieren: Plötzlich stand die Einführung von neuen Vermögensteuern zum Abtausch für das grüne Ja in Reichweite. Diese sollen unter Titeln wie Solidarabgabe oder Spekulationssteuer aber erst mit Verkündung des Sparpakets bestätigt werden.

Dies wollte Spindelegger nicht auf sich sitzen lassen und führte seinerseits Gespräche mit Heinz-Christian Strache, der trotz aller Tiraden gegen Brüssel und Ballhausplatz um die politische Anerkennung buhlt, die ihm Werner Faymann verwehrt. Die Gespräche verliefen offenbar einigermaßen fruchtbar. Denn Strache könnte von einer Forderung abrücken, deren Umsetzung ohnehin unrealistisch ist: dass Österreich nämlich allein aus dem EU-Rettungsschirm aussteigt. Dafür bekommt er eine andere Zusage, die überhaupt nichts mit den Themen Schulden oder Defizit zu tun hat: Maßnahmen für mehr direkte Demokratie. Dass die ÖVP plötzlich den Forderungen, wie verpflichtende verbindliche Volksbefragungen nach erfolgreichen Volksbegehren, nachgeben will, ist dabei ein putzig-durchsichtiges Manöver, um aus dem ungeliebten Vermögensteuer-Eck herauszukommen.

Die gesamte Diskussion, die gut zur Kleinheit der Regierung und der Opposition passt, hat aber einen äußerst positiven Effekt. Endlich kann die Öffentlichkeit die bisher mehr oder weniger geheimen Wünsche auf beiden Seiten erkennen: SPÖ und ÖVP können und wollen nicht mehr miteinander. In SPÖ-Zentrale und Kanzleramt träumen Werner Faymann, Josef Ostermayer und Laura Rudas von Wiener Verhältnissen. In der Lichtenfelsgasse und im Außenamt hingegen lautet der Traum des Vizekanzlers und seiner wenigen Vertrauten, es noch einmal Wolfgang Schüssel gleichzutun. Wenn es um Steuern und Sparkurs gehe, sind sich die Rechtsparteien ebenso einigermaßen einig wie die beiden links der Mitte. Das BZÖ passt inhaltlich besser in die erste Konstellation, für ein paar Jobs ginge aber auch alles andere.

Beide Varianten – Rot-Grün und Schwarz-Blau – würden zwar im jeweils gegnerischen Lager sofort demokratie- beziehungsweise finanzpolitische Endzeitstimmung aufkommen lassen, würden aber vor allem eines bringen: einen Wechsel, wie ihn Demokratien kennen. Dass die FPÖ weder über das richtige Personal noch über die notwendige politische Verantwortung – siehe Europa – verfügt, darf an dieser Stelle nicht vergessen werden. Dass die Grünen trotz schwacher Vorstellung von SPÖ und ÖVP nicht genügend Wähler zur Sicherung einer rot-grünen Mehrheit ansprechen können, ebenso.

Und auch wenn es hier möglicherweise wie ein einsamer Ruf in der parteipolitischen Wüste klingt, muss es angesichts der künftigen Alternativen sein: In der aktuellen Anything-goes-Stimmung könnten Faymann und Spindelegger doch auch über strukturelle Reformen reden. Nein, nicht über die Abschaffung der Bundesländer – bleiben wir realistisch –, sondern über die Einführung eines neuen Wahlrechts. Eines mit mehr persönlicher Verantwortung des gewählten Mandatars und einer klaren Mehrheit am Wahltag würde in der jetzigen Situation helfen und vermutlich schneller ein eindeutiges Steuer- beziehungsweise Sparpaket bringen. Oder wir würden sofort wählen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2011)

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