Analyse: Warum Standard & Poor's die EU-Politik tadelt und gleichzeitig die Übernahme des US-Krisenmanagements forciert.
Wien/Brüssel. Von einer „heilsamen Wirkung“ sprechen Politiker der deutschen FDP. Sie hoffen, dass die Herabstufung der Kreditwürdigkeit von neun Euroländern und die Kritik am Ergebnis des letzten EU-Gipfels die Sparanstrengungen innerhalb der Eurozone vorantreiben werden. Tatsächlich ist zu erwarten, dass Standard & Poor's mit dieser Bewertung zumindest Dynamik in die Verhandlungen über den Eurofiskalpakt bringen wird. Zuletzt kämpfte die deutsche Regierung verbissen dagegen, dass die im Pakt vorgesehenen verschärften Schuldenregeln wieder aufgeweicht werden.
Auch Währungskommissar Olli Rehn sieht nun das Gebot der Stunde, die „Sparanstrengungen fortzusetzen und die wirtschaftspolitische Koordination zu verstärken“. Doch wer die Neubewertung von Standard & Poor's genau liest, erkennt, dass die Ratingagentur den EU-Gipfel im vergangenen Dezember aus anderen Gründen für enttäuschend hält, als wegen des damals noch ambitionierteren Fiskalpakts. Diese politische Entscheidung habe „nicht die notwendigen zusätzlichen Ressourcen und die operationale Flexibilität“ geschaffen, um der Schuldenkrise entgegenzuwirken, heißt es im Text der Ratingagentur. Damit wird deutlich, dass die Agentur auch die US-Kritik an der mangelnden finanziellen Ausstattung des Euro-Rettungsschirms übernommen hat und ebenso wie US-Präsident Barack Obama ein flexibleres Vorgehen der Europäischen Zentralbank (EZB) fordert.
Die USA, die von Standard & Poor's übrigens wegen ihrer immensen Schuldenlast ebenso wie Österreich nur noch mit dem zweithöchsten Rating AA+ bewertet werden, haben in ihrer Krisenpolitik massiv auf Anleihenkäufe durch die Notenbank gesetzt. Bei einem Besuch von US-Finanzminister Timothy Geithner in Berlin, kurz vor dem Dezember-Gipfel der EU, drängte Washington darauf, dass die Euroländer dieselbe Krisenpolitik übernehmen sollte. Die Forderung lief indirekt auf das Anwerfen der Notenpresse hinaus.
USA kauften viermal mehr Staatsanleihen
Laut einer Analyse von Raiffeisen Research hat die EZB seit März 2009 Staatsanleihen in der Höhe von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone angekauft. Großbritannien, das nach wie vor die höchste Kreditwürdigkeit genießt, hat im selben Zeitraum Staatsanleihen in der Höhe von 17 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung erworben, die US-Notenbank Fed immerhin im Wert von neun Prozent des BIP. Der Spielraum der EZB bei solchen Ankäufen ist freilich wegen ihrer Satzung eingeschränkter als jener der amerikanischen und britischen Notenbanken. Die Europäische Zentralbank vergibt allerdings auch umfangreiche Billigkredite an Banken, um deren Liquidität aufrechtzuerhalten. Ein Teil dieses Geldes dürfte wiederum in den Ankauf von Staatsanleihen durch Banken geflossen sein.
Es war Deutschland, das bisher einen größeren Eingriff der EZB in den Markt verhindert hat. Berlin fürchtet zum einen um die Stabilität des Euro und es fürchtet zum anderen, dass massive Ankäufe von Staatsanleihen den Sparwillen von Ländern wie Italien oder Frankreich reduzieren würden. Da es mangels gemeinsamer Wirtschaftspolitik keine andere Möglichkeit gibt, den Druck auf diese Länder zu erhöhen, versucht Berlin, zumindest währungstechnische Ausweichmöglichkeiten einzuschränken.
Standard & Poor's kritisiert ausdrücklich in ihrer Neubewertung, dass eine solche Politik der Schuldeneingrenzung für sich allein zu kurz greift. Die Ratingagentur verweist auf die großen Wettbewerbsunterschiede innerhalb Europas und auf die Gefahr, dass eine reine Sparpolitik das Problem durch sinkendes Vertrauen der Konsumenten, Angst vor Arbeitsplatzverlusten sowie rückläufige Steuereinnahmen verschärfen könnte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2012)