Versuchsstation für den Untergang

(c) HARALD KLAUHS
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Irlands Norden hat schon viele Katastrophen erlebt – Hungersnöte, Religionskriege, Massenemigration und Zusammenbrüche von Reedereien und Banken. Seine Zukunft sieht das Land nun auch im Tourismus.

Ist die Titanic das Ursymbol Irlands? In Belfast hat man jedenfalls die Absicht, das Dock, in dem der Oceanliner gebaut worden ist, zur Touristenattraktion zu machen. Ein bisschen etwas fehlt dazu allerdings noch, etwa ein nachgebauter Speisesaal, in dem man die letzte Mahlzeit, die auf dem Luxusdampfer serviert worden ist, einnehmen kann. Das leere Dock allein wird – trotz seiner beeindruckenden Ausmaße – nicht ausreichen, Belfast zur Titanic-City zu machen. Aber vielleicht gelingt das ja den Banken.

Untergegangen ist Irland schon öfter. Man denke etwa an die große Hungersnot zwischen 1845 und 1849. Eine Million Menschen starben in dieser Zeit, zwei Millionen wanderten aus. Profitiert davon haben die Amerikaner, weil die Iren nicht nur ihre Musik mitbrachten, sondern auch späterhin als amerikanische Tugenden bekannt gewordene Eigenschaften. Wenig erstaunlich also, dass etwa die Hälfte aller Präsidenten der Vereinigten Staaten irische Vorfahren haben.

Auch die Ahnen der Mutter von Barack Obama stammen aus Good Old Ireland. Einen sehr sinnlichen Eindruck vom ebendiesem kann man in dem Freilichtmuseum Ulster American Folk Park in Castletown bekommen. Freundliche ältere Damen in traditionellen Trachten führen den Besucher durch die irische Geschichte, erzählen, wie gelebt, gelitten und geliebt worden ist. Wer in Nordirland von Belfast nach Londonderry unterwegs ist, sollte den Umweg über Omagh dafür in Kauf nehmen.

Der Regen kennt keine Parteien

Apropos Londonderry oder Derry, wie die republikanischen Iren sagen, weil ihnen das Wort London nicht über die Lippen kommen will: Das ehemals heiße Pflaster im jahrzehntelangen Nordirland-Konflikt ist ein beschauliches Städtchen geworden. Die Farben auf den Gehsteigkanten, mit denen die jeweiligen Territorien markiert worden sind, verblassen allmählich – jene des Union Jack wie auch das Orange-Weiß-Grün der Republiksflagge. Der irische Regen macht keine Unterschiede zwischen Royalisten und Anhängern der Unabhängigkeit – er nieselt häufig und kontinuierlich über beiden.

Umso überraschender, wenn man in Derry bei strahlendem Sonnenschein die einzig vollständig erhaltene Stadtmauer der britischen Inseln entlanggeht und sich dabei ein wenig an Dubrovnik erinnert. Vielleicht deshalb, weil es für Außenstehende schwer verständlich ist, warum sich die Menschen da wie dort bekriegt haben. Um die martialischen Graffiti auf den Häusermauern in der „Unterstadt“ Derrys zu verstehen, empfiehlt es sich, das Tower-Museum direkt an der Mauer zu besuchen. Da wird einem rasch klar, dass die medialen Berichte vom religiösen Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten viel zu kurz greifen. Tatsächlich ist die Sache viel komplizierter. 13Jahre nach dem Karfreitagsabkommen zwischen der britischen und irischen Regierung sind aus den einst blutigen Auseinandersetzungen kleinere verbale Sticheleien geworden. Es gibt vielmehr das gemeinsame Interesse, die Region Ulster touristisch zu erschließen. Die Voraussetzungen dafür stehen nicht schlecht, auch wenn Belfast mit der Lebendigkeit Dublins (noch) nicht mithalten kann. Man muss nicht unbedingt auf den Spuren James Joyce' oder Oscar Wildes wandeln, um irisches Stadtleben zu genießen. Man kann ebenso gut in eines der alten Belfaster Pubs gehen, sich in eines der Snugs (Separees) setzen, a Pint (0,57l) of Guinness bestellen und sich den Klängen des Irish Folk hingeben. Besonders an den Wochenenden ist in Belfast Partytime. In Sachen Trinkkultur hat Nordirland noch mit einer anderen Attraktion aufzuwarten. Nicht weit entfernt vom berühmten Naturdenkmal Giant's Causeway an der Küste liegt ein Stück landeinwärts die älteste lizenzierte Whiskeybrennerei der Welt: die Old Bushmills Distillery. Wer sich von dem malzigen Geruch des Uisce Beatha (Wasser des Lebens auf Gälisch) benebeln lassen möchte, ist hier richtig. Wie viele Schritte nötig sind, um den rauchigen Torfgeschmack des irischen Whiskeys zu erzeugen, wird dem Besucher bei einer Führung durch die Brennerei nahegebracht. Hat man sich am Ende ein wenig durchgekostet, ist man in der richtigen Stimmung, um sich die fantastischen Geschichten rund um die Entstehung des „Damms des Riesen“ Finn MacCool anzuhören. Aus zirka 37.000 Basaltsäulen besteht der Giant's Causeway. Viel besser als die nüchterne wissenschaftliche Erklärung der Entstehung dieses Naturwunders durch vulkanische Aktivitäten passt die Legende in diese Rosamunde-Pilcher-Landschaft:
Sie besagt, dass der Riese einen Damm anlegte, um zu seiner Geliebten auf der Insel Staffa vor der schottischen Küste zu gelangen.

Dass es zu Schottland einige Verbindungen gegeben hat, beweist auch Dunluce Castle. Majestätisch ragen die Ruinen des Schlosses ins Meer in Richtung Äußere Hebriden. Von dort dürfte auch die Familie abstammen, die das romantische Bauwerk im 16. Jahrhundert hat errichten lassen: Die MacDonnells sind eine Nebenlinie des schottischen Clans MacDonald. Keiner Armee gelang es, Dunluce Castle einzunehmen, das Armada-Schiff Girona zerschellte an den Klippen unterm Schloss, nur die See schaffte es, dem Bau Schaden zuzufügen. Sie unterspülte den weichen Basaltfelsen so lange, bis 1639 während eines Abendessen die Küche ins Meer stürzte. Heute ist das Kastell der westliche Beginn des landschaftlich beeindruckendsten Küstenabschnitts Irlands.

Am östlichen Ende des Streifens liegt die ehemalige Lachs-Straße Carrick-a-Rede. Über 350 Jahre lang wanderten dort die Lachse westwärts durch eine Meerenge vorbei an Carrick Island. Fischer spannten eine 30 Meter über dem Meer hängende Seilbrücke zwischen Festland und Insel, um die Fische an dieser Stelle bequem abzufangen. Heute ist die Hängebrücke zum beliebten Familienabenteuer geworden, Lachsfischer sieht man keine mehr. Stattdessen aufmerksame Schafe mit schwarzen Köpfen und Beinen, wildromantische Klippen, bemooste Felsformationen und eine dunkel-mystisch wirkende See. Vor solch gewaltigem Naturschauspiel flüchtet man am besten wieder zurück in die Stadtlandschaft Belfasts. An dieser Versuchsstation für den Untergang kann man sich von so viel erhebender Fauna und Flora wieder erholen.

Irland pauschal

Veranstalter: Der Autor war mit „Dertour“ unterwegs. Preisbeispiel: „Ursprünglicher Norden“, 8Tage im Mietwagen ab/bis Dublin, 7Nächte, DZ/F, inkl. Mietwagen, p.P. ohne Flug ab 350€. www.dertour.at
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Infos: Tourism Ireland, 01/501 596 000, www.entdeckeirland.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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