Der Westen muss sich nun mit Ägyptens Moslembrüdern arrangieren. Und sollte ihnen klare Bedingungen stellen.
So haben sich Wael Ghonim und seine weniger bekannten Mitstreiter von der liberalen „Tahrir-Platz-Jugend“ das Ergebnis ihrer Revolution nicht erträumt: Wenn heute das erste frei gewählte Parlament Ägyptens zusammentritt, nehmen Islamisten unterschiedlichen Härtegrads drei Viertel der Sitze ein. Das neue Ägypten trägt Vollbart.
Dies mag ungerecht sein: Die siegreichen Moslembrüder sprangen erst auf den Revolutionszug auf, als dieser bereits in voller Fahrt war und eine fürs Ancien Regime nicht mehr beherrschbare Dynamik hatte – aber so ist nun einmal Demokratie. Dass der komplizierte Wahlprozess in Summe länger als die Revolution gedauert hat, ist eine nette Fußnote.
Als Erstes ist daher festzuhalten: Dass diese Wahl so glatt über die Bühne gegangen ist, ist ein Riesenerfolg. Die Ägypter können stolz darauf sein.
Über das Ergebnis mag man im Westen die Nase rümpfen, akzeptieren muss man es, um die Glaubwürdigkeit halbwegs wiederherzustellen, die durch jahrzehntelanges Füttern des Mubarak-Regimes genug gelitten hat. Den Sieg der Islamisten zu verdammen wäre genauso kontraproduktiv, wie in die Verharmlosungsfalle zu tappen. Denn speziell was Frauenrechte und eine Trennung von Staat und Religion (bei zehn Prozent Christen eigentlich eine Frage der Staatsräson) anbelangt, wird man den Moslembrüdern genau auf die Finger schauen müssen.
Ihnen wird klar sein, dass sie auf Hilfe des Westens bei der Bewältigung der enormen wirtschaftlichen und sozialen Probleme schwerlich verzichten können. Und dem Westen sollte klar sein, dass er diese Hilfe an Bedingungen knüpfen muss. Man mag es Erpressung nennen – klug ist es allemal.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2012)