Wut und Tränen wegen Wirtschaftskrise

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Symbolbild(c) AP (Muhammed Muheisen)
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Im Budget klafft ein Loch von 20 Milliarden Euro. Regierung steht vor einem Dilemma: Sie kann sich Subventionen nicht mehr leisten - doch wenn sie die Zuschüsse streicht, hebt sie das Land sozial aus den Angeln.

Kairo. In Ägypten geht die Panik um. Seit einer Woche bilden sich vor den Tankstellen lange Schlangen, die Wartenden sind nervös und angespannt. „Ich habe mich vier Stunden lang angestellt, um 40 Liter zu bekommen“, schimpft Minibus-Fahrer Ahmed Hadi, bevor er sich wieder ins notorische Verkehrsgewühl der 20-Millionen-Metropole stürzt. Im Kairoer Stadtteil Helwan gab es beim Schusswechsel zwischen Tankwarten und aufgebrachten Taxifahrern einen Toten, anderswo blieb es bei Faustschlägen und Wortgefechten.

„Vor der Krise bekamen wir 25.000 bis 40.000 Liter am Tag geliefert, jetzt sind es noch 10.000“, klagt der Chef einer Tankstelle in der Innenstadt. Nicht selten geht den Zapfsäulen schon am Vormittag der Sprit aus, für die Kunden heißt das, am nächsten Morgen in aller Frühe wiederkommen oder woanders weitersuchen – zum Beispiel an der Autobahn Kairo–Alexandria, wo der Schwarzmarkt blüht. Knapp ist auch die Versorgung mit Butangas-Flaschen. Seit Anfang Jänner haben sich die Preise verdreifacht, für viele ist das Gas daher unerschwinglich und das zu einer Zeit, in der Ägypten unter einer Kältewelle leidet.

Ausgerechnet vor dem am Mittwoch gefeierten Revolutions-Jubiläum ist die Stimmung in ganz Ägypten gereizt. Denn die Wirtschaft kommt einfach nicht auf die Beine. Der 78-jährige Übergangspremier Kamal al-Ganzouri brach einmal sogar in Tränen aus, als er auf einer Pressekonferenz die dramatische Haushaltslage schilderte.

Ermäßigte Grundversorgung

Seitdem sind viele Autofahrer überzeugt, der Regierung werde schon bald das Geld für die stark subventionierten Benzinpreise ausgehen. In dem 60-Milliarden-Staatshaushalt klafft ein Loch von 20 Milliarden Euro. 16 Milliarden verschlingen allein die Subventionen, der Löwenanteil geht für billigen Sprit, Gas und Strom drauf, ein geringerer Teil für Mehl und Brot. Könnte die Regierung diese Ausgaben streichen, wäre das Defizit fast geschlossen. Gleichzeitig aber würde das Land sozial aus den Angeln gehoben. 40 Prozent der 85 Millionen Ägypter müssen nach Angaben der Weltbank mit weniger als 1,5 Euro pro Tag auskommen. Sie kämen ohne das billige Brot und die preiswerten Sammeltaxis nicht mehr über die Runden.

Aber auch bei den Einnahmen hapert es am Nil. Das Steuersystem ist löchrig, der Tourismus offiziellen Angaben zufolge 2011 um mehr als ein Drittel eingebrochen. Den Unternehmen fehlen vier Milliarden Dollar in den Kassen. Die Bilder von Straßenschlachten in Kairos Zentrum, aber auch die Debatten der radikalen Salafisten über Alkohol- und Bikiniverbot sorgen für Unruhe. Ausländische Investitionen, 2010 noch bei zwölf Milliarden Euro, sind seit der Revolution ein Rinnsal. Die Währungsreserven verdunsten. Von 36 Milliarden Dollar haben sie sich in zwölf Monaten halbiert – und damit befindet sich Ägypten an der kritischen Marke von drei Monaten Mindestrücklagen für Importe.

Und so steht der vom Militärrat bislang blockierte 3,2-Milliarden-Dollar-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder auf der Agenda. „Verhandlungen finden statt, aber ohne politische Vorbedingungen“, erklärte die Ministerin für Planung, Fayza Abouelnaga. Auf keinen Fall will sich Ägypten von ausländischen Geldgebern auch noch einen raschen Abbau der Subventionen aufzwingen lassen. Man wolle das Geld einsetzen, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen, erklärte Abouelnaga.

Keine Todesstrafe für Mubarak

Der IWF muss aber auch deshalb einspringen, weil Saudiarabien seine vier Milliarden Dollar Finanzhilfe, die es angeboten hat, zurückhält. Hinter den Kulissen macht Monarch Abdullah offenbar zur Bedingung, dass gegen Ex-Präsident Hosni Mubarak kein Todesurteil ergehen darf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2012)

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