Der gefährliche Trend zum Verlassen der Pisten

gefaehrliche Trend Verlassen Pisten
gefaehrliche Trend Verlassen Pisten(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Tourismus- und Sportartikelindustrie haben den freien Skiraum für die Masse der Skifahrer erschlossen. Das Problem: Das Wissen über Gefahren wie Lawinen ist nicht mitgewachsen.

50 Millionen Skifahrertage jährlich spülen gutes Geld in die Kassen des österreichischen Wintertourismus. Nicht weniger profitiert die Sportartikelindustrie, die die Ski- und Snowboardfans ausrüstet. Und beide Wirtschaftszweige prägten in den vergangenen Jahren einen Trend, der vergangenen Freitag dem niederländischen Prinz Johan Friso (siehe Artikel links) zum Verhängnis wurde: Das Skifahren im ungesicherten Gelände ist beliebt wie nie zuvor.

Entsprechend passiert dort auch mehr. Zwischen 1998 und 2010 stieg die Zahl der jährlichen Einsätze der Bergrettung in diesen Regionen an. Allein für Skitourengeher waren zuletzt 261 Suchaktionen nötig (vor zwölf Jahren waren es 166). Die Einsätze im Fels stiegen von 73 auf 166. Die Arbeit auf der Piste hingegen geht – auf ungleich höherem Niveau – zurück. 3636 Einsätze liegen deutlich unter dem langjährigen Schnitt (4280). Warum?

Bergsportler und Touristiker sehen einen internationalen Trend. Das sogenannte Freeriden vollzog in den letzten Jahren einen weltweiten Siegeszug. Skimarken und Kleidungshersteller engagieren hoch bezahlte Profis für waghalsige Abfahrten in spektakulärer Kulisse. Entsprechend attraktiv ist die dazugehörige Werbung. Die Fotos und Videos preisen jedoch nicht nur Spezialskier in unterschiedlichen Härtegraden, sondern auch die dazugehörigen Wintersportorte. Die einsamen Schwünge im Pulverschnee sind längst auch auch für Großstädter und Flachländler zu einer Lebenseinstellung geworden. Was mit dem Trend allerdings nicht mithalten konnte, ist das Wissen über die Gefahren im freien Gelände, unter anderem auch Lawinen.

„Man darf den so Verunglückten nicht die alleinige Schuld zuschieben, weshalb wir uns ganz entschieden gegen eine Kriminalisierung des Bergsports aussprechen“, sagt der Journalist, Buchautor und Bergretter Gerald Lehner. Er ist überzeugt davon, dass die heimischen Skigebiete das Verlassen der gesicherten Pisten des guten Geschäfts wegen stillschweigend tolerieren, im Gegenzug jedoch wenig unternehmen, unerfahrene Freerider und Tourengeher aufzuklären.

Der Alpenverein geht seit Jahren davon aus, dass Sportler, die die Piste unbedingt verlassen wollen, das auch tun. Daher entschied man sich dazu, insbesondere Jugendliche mithilfe von in dieser Altersgruppe akzeptierten Sportlern für die Gefahren im freien Gelände vorzubereiten. Das Problem: Das „Risk'n'Fun“ genannte Projekt erreicht hauptsächlich Einheimische. Gästen aus dem Ausland bleibt meistens nur die Eigeninitiative.

Florian Bauernfeind, Leiter der Alpinpolizei im Tiroler Schwaz, glaubt, dass es auch für diese Gruppen inzwischen genügend Aufklärungsangebote gibt. „Und wenn jemand in gesperrtes Gelände einfährt, ist auch nur er selbst dafür verantwortlich.“

Die Bergrettung hat da einen etwas anderen Zugang. So würden die Extremvideos der Tourismusindustrie falsche Erwartungen wecken. Auf das genauso dazugehörige Risikomanagement für die Gäste würde jedoch vergessen.

Das ist nicht überall so. In Kanada und den USA hat die intensive Aufklärung über die Gefahren des freien Geländes auch für Gäste Tradition. Und ist – wie könnte es anders sein – zu einem einträglichen Geschäft für die Anbieter entsprechender Kurse geworden. Bergretter Lehner glaubt, mit Spezialangeboten für Gäste gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: mehr Sicherheit für Wintersportler und zusätzliche Einnahmen für die Gastorte.

Fast täglich Verschüttete. Wie gefährlich derzeit die Situation in Österreichs Bergen ist, zeigt nicht nur der Fall des prominenten Königssohns aus den Niederlanden. Am Samstag musste ein 53-jähriger Kärntner mitansehen, wie Frau und Tochter von einem Schneebrett verschüttet wurden. Er rettete sie eigenhändig aus den Schneemassen.

Am Mittwoch hingegen erfasste eine Lawine einen Urlauber auf einer frei gegebenen Piste in Ischgl. Er verstarb vor Ort.

(c) Die Presse / MGM

Dass selbst Erfahrung nicht immer schützt, dokumentiert ein Fall aus der Obersteiermark. In der Region Rosenkogel war ein 56-jähriger Alpinpolizist trotz großer Lawinengefahr ohne Ortungsgerät im freien Gelände unterwegs. Er starb unter der Wucht eines Schneebretts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2012)

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