Baku: Die pubertäre Songcontest-Stadt

Baku pubertaere SongcontestStadt
Baku pubertaere SongcontestStadt(c) Dapd (Nigel Treblin)
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Baku, drei Monate vor dem Wettsingen: Eine reiche Vergangenheit, ein nationales Trauma, eine autoritäre Gegenwart, eine blühende Zukunft. Fast zu viel, um das alles zu verdauen.

In Baku, der „Stadt der Winde“, wie ihr Name laut gängiger Etymologie übersetzt wird, wissen nicht einmal diese so recht, wie sie tun sollen. Mal bringen sie aus dem Landesinneren angenehme Kühlung in die Schwüle der von der Meeresnähe befeuchteten Luft. Mal stören sie die Behaglichkeit in den engen Gässchen oberhalb der Uferpromenade. Mal tragen sie freilich auch den Geruch nach Öl von den Förderplattformen des Kaspischen Meeres in die Büros und Wohnungen der Millionenstadt.

Einmal so, einmal so. Ohne klare Richtung. Irgendwie geht es Aserbaidschans Hauptstadt – und ihren Einwohnern – wie den Winden. Auf der einen Seite stülpt sie stolz ihre Geschichte nach außen und zeigt dem Besucher im ummauerten Stadtzentrum ein Reich aus Tausendundeiner Nacht mit Dampfbädern, Teppichläden und uralten Karawansereien. Wenige Meter weiter versucht sie mit Prachtbauten und stilvollen Bürotürmen zu beeindrucken und die leuchtende Zukunft vorwegzunehmen. Kommt sie jedoch mit dem Betrachter ins Gespräch, erzählt sie vor allem vom Trauma ihrer Jugend in der ersten Hälfte der 1990er, als das Land im Krieg mit Armenien ein Fünftel seines Gebiets verlor und zehntausende Tote sowie 800.000 Flüchtlinge zu beklagen hatte.

Die Klagen über die Gegenwart hingegen äußert man nur hinter vorgehaltener Hand: Das despotische Regime des Familienclans rund um Präsident Ilham Alijew habe den Wohlstand gehoben, aber es herrsche mit Willkür und unterdrücke mit Gewalt.

Popowockeln am Kaspischen Meer. In diesem Mischzustand gerät die größte Stadt des Kaukasus mit der Austragung des Eurovision-Songcontests im Mai erstmals in der jüngeren Geschichte ins Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit (und auch die Mühlviertler Landdisco-Stampfrapper „Trackshittaz“, die ihr schönes Mundartlied „Woki mit deim Popo“ vortragen werden). Seit dem Sieg im Vorjahr kennt die Begeisterung im Land kaum Grenzen. „Es ist das wichtigste Ereignis seit der Unabhängigkeit 1991“, sagt ein Passant, der sich als Dichter und Sänger vorstellt. „Seit der Niederlage im Krieg fühlen sich die Leute als Loser“, erklärt Khadija Ismayilova, eine mutige Journalistin, die soeben von der deutschen „Zeit“-Stiftung mit dem Bucerius-Preis geehrt wurde, im Gespräch. „Jeder Sieg wird daher mit entsprechender Euphorie aufgenommen.“

Alle traf er unvorbereitet. Selbst Alijews Clan, der in der Person von First Lady Mehriban dem Organisationskomitee vorsitzt, ist irritiert, plötzlich die Welt zu Gast zu haben. Wie vor dieser ein gutes Bild abgeben, wenn man auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 162 von 179 Ländern einnimmt? Wie Punkte sammeln, wenn man auf dem Korruptionsindex kaum besser dasteht? Wie sich offen geben, wo man doch erst vor eineinhalb Jahren die Einreisebedingungen verschärft hat, weil man vor der damaligen Wahl auf Nummer sicher ging und seither blieb?

Der Songcontest macht das Dilemma lediglich virulent. Bestanden hat es schon länger. Umgeben von wenig freundlichen Nachbarn will man mit dem Westen nämlich ein besseres Verhältnis aufbauen. Das hat praktische Gründe: Aserbaidschan, so groß wie Österreich, will endlich seine großen Gasvorkommen aus der Erde holen und auf den lukrativen europäischen Markt liefern. „Nichts ist für uns wichtiger“, sagt Elshad Nassirov, Vizechef der staatlichen Öl- und Gasgesellschaft „Socar“, zur „Presse am Sonntag“.

Sieht man, wie sehr das Land in seinen Exportmöglichkeiten nach dem Austritt aus der Sowjetunion isoliert war, wird alles klar. Erst seit der Eröffnung der Ölpipeline „BTC“ Richtung Mittelmeer 2005 verdient man richtig fettes Geld. Allein, die Ölvorräte, die hier von den Brüdern Nobel bereits im 19. Jahrhundert gefördert wurden, reichen beim jetzigen Fördertempo nur bis 2030. Die leuchtende Zukunft verspricht daher das Gas, das ab 2017 mithilfe des sprachlich verwandten Transitlandes Türkei nach Europa fließt.

Toleranz? Aber klar! Grund genug, die Zugehörigkeit zum Westen mit allen Argumenten zu verteidigen. Ja, Aserbaidschan habe bereits 1918, lange vor den Türken, die lateinische Schrift eingeführt, beteuert Nassirov. Auch sei das Land allein aufgrund seiner schwierigen geopolitischen Lage tolerant. Und als sich wohlgemerkt Engländer darüber wunderten, dass Aserbaidschan am Songcontest teilnahm und dann auch noch gewann, habe man ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass sie als Inselbewohner weniger europäisch seien als die Aseris am Kaukasus.

Ilham Alijews Vater Haydar, eine KGB-Legende, hat den unabhängigen Staat 1991/92 wiedererrichtet. Die Gaslieferungen und der Songcontest seien die Trümpfe seines Sohnes, der das Land nun nach Europa führen möchte, meint ein westlicher Diplomat.

In der Tat wirkt der Staat zwischen dem Iran und Russlands unruhiger Südflanke schon jetzt wie eine europäische Insel. Und suggeriert ein Blick auf Bakus neue Bauten, in denen sich Petrodollars materialisieren, Modernität. Drei neue Riesenglastürme in Form von Gasflammen als neue Wahrzeichen. Die britisch-irakische Architektin Zaha Hadid baut ein weißes Kulturzentrum. Das österreichische Architektenteam Coop Himmelb(l)au die neue Zentralbank. Überall neue Hotels, errichtet von türkischen Firmen und der Strabag. Am Ende der Bucht entsteht die Songcontest-Arena „Crystal Hall“.

Freilich, der schönste Turm kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mensch in einer autoritären Rohstoffökonomie wenig zählt. Wer für mehr Freiheit demonstriert, landet schnell im Knast, bestätigt Amnesty International. Weil sie dem Bau der Songcontest-Arena im Weg standen, seien bisher hunderte Familien umgesiedelt worden, sagt Hugh Williamson von „Human Rights Watch“. Nicht alle erhielten ausreichend Entschädigung.

Ein Fest ohne die Anrainer. Das sei ein Grund, wieso die Euphorie über das Event zwar nicht weg, aber doch gedämpft sei, sagt Journalistin Ismayilova. „Die Leute haben das Gefühl, dass ein Fest in ihrer Straße stattfindet, zu dem sie nicht geladen sind.“

Lexikon

Baku ist mit etwa 2,1 Millionen Einwohnern die größte Stadt in der Kaukasusregion und Hauptstadt des 1991 mit der Auflösung der UdSSR unabhängigen Aserbaidschan. Wirtschaftsgrundlage der Stadt ist Erdöl: Baku liegt nämlich in einem Ölfördergebiet, das in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s als eines der ersten der Welt erschlossen wurde.

Besiedelt war das Gebiet um Baku schon im achten Jahrtausend vor Christus. Im zwölften Jh. machte ein muslimischer kaukasischer Fürst (Schah) Baku zu seiner Hauptstadt. Später entstanden mächtige Festungsanlagen und Wehrtürme, Moscheen und Badehäuser, die Altstadt zählt zum Weltkulturerbe. 1806 fiel Baku an Russland. Im Zuge des Ölbooms, der 1917 abebbte, bauten reiche Unternehmer zahlreiche prunkvolle Villen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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