Möbeldesign: Gemach, Gemach

Es muss nicht alles neu erfunden werden. Auch Wiedersehen macht Freude. Besonders viele alte Bekannte trifft man an der Bettkante.

Es langsam angehen, so könnte der Leitsatz eines Möbeltrends 2012 lauten. Gleich in doppelter Hinsicht. Einerseits lassen sich Designer etwas weniger vom Zwang zur ewigen Erneuerung treiben. Andererseits kehren angesichts des allgemeinen Krisengeredes abgedroschene, aber dennoch griffige Themen wie „Homing“ und „Cocooning“ zurück. Experten sehen uns schon auf ein neues Biedermeier zusteuern – zwar auf die eigenen vier Wände konzentriert, aber mit offenem und interessiertem Blick nach draußen.

In diesem Zusammenhang werden nach und nach die Neuheiten auf den großen Möbelsalons in Köln, Paris und Mailand vorgestellt. Forciert wird der Aspekt, dass Menschen Geschichten erzählt bekommen wollen – etwa Legenden von Objekten, die es schon einmal gab. Eines dieser Revivals beispielsweise ist dem Schaukelstuhl beschieden. Ligne Roset greift hier auf das Design von Pierre Paulin zurück, das sich durch sanfte Strenge und bemerkenswerte Leichtigkeit auszeichnet. Auch mit dem Nachtkästchen erscheint ein länger nicht gesehener Bekannter wieder, zwischenzeitlich hatten ihn die ausufernden Surroundings großzügiger Bettlandschaften verdrängt. Jetzt darf der Nachttisch aber wieder als eigenständiges Teil ins Schlafgemach, in dessen Zentrum zuletzt die Betten standen, man denke nur an den exklusiven Materialeinsatz bei Luxusherstellern wie Haestens oder Vi-Spring.

Neue Solitäre, alte Tugenden. Rund ums Bett entfaltet sich nun eine ganze Parade von Möbelstücken, die keinen Platz mehr fanden: Solitäre wie Schminktischchen, Psychen, schmale Bänke oder Sekretäre, Hybridmöbel zwischen Bücherregal und Schreibtisch. Auch sonst war auf der heurigen „imm cologne“ in der gemütlichen Abteilung einiges zu entdecken: Walter Knoll zeigte einen Zeitschriftenständer und eine Ottomane, ebenso Treca de Paris ein Ensemble für Leser, Cor einen Relaxstuhl („Rob“) und Wittmann den Hochlehner „Bonnie“, der den Ohrensessel neu interpretiert.

So wie die Möbelindustrie mit ihren Produkten uns animieren will, einen Gang zurückzuschalten, geht auch sie selbst einen neuen Weg der Besonnenheit. Das drückt sich aus in der Art, wie Möbel gestaltet und produziert werden. Man findet zurück zu alten Handwerkstechniken und zum Begriff der Manufaktur. Lieb gewonnene, aber oft schon vergessene Details werden gestalterisch in die Gegenwart übersetzt und im Nachhaltigkeitsgedanken angefertigt. Man möchte kreatives Gut in die nächste Generation weitertransportieren, erhebt mitunter gar den Anspruch, ein potenzielles Erbstück zu schaffen. Holz steht da einmal mehr im Zentrum. Ergänzend dazu Naturmaterialien wie Bambus und Seide, die sich nicht nur an Möbeln, sondern auch an Boden, Wand und Decke etablieren. Auf der „Living Interiors“ im Rahmen der „imm“ zeigt die Schweizer Parkettmanufaktur Bauwerk die Kollektion „Vintage“ – eigenwillige Designs mit Textfragmenten. Auch die Tapetenproduktion Architects Paper fasziniert mit der Kollektion „Patina“, bei der jedes Original durch einen eingeleiteten und wieder gestoppten Oxidationsprozess nach einiger Zeit leichten Farbveränderungen unterliegt. Lebendigkeit und Wandel erzeugt auch Kork, ein Naturprodukt, das 2012 wieder verstärkt als Bodenbelag, jedoch auch für Möbel zum Einsatz kommt.

Leder, Echtmoos, altes unbehandeltes Holz – man will Materialien ohne Industriegeruch. „Einen krasseren Gegensatz kann es wohl kaum geben. Einerseits leben die Menschen mit Hochtechnologie, andererseits holen sie sich vermehrt naturelle Produkte in die eigenen vier Wände“, sagt Ursula Geismann, Trend- und Designexpertin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. Unterm Strich bleibt die Suche nach immerwährenden Werten in Form von legendärem Design, das mit neuen Oberflächen, Stoffen und Farben glänzt. „Kunden achten heute auf beides: gutes Design und gute Qualität. Weder Optik noch Material allein sind ausschlaggebend. Die Kombination von beidem muss stimmen.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Outdoor-Design

Auf in den Garten

Wohnen

Essplatz: Bitte zu Tisch

Technische und gestalterische Raffinesse ist nicht allein den Küchen vorbehalten. Der Essplatz hat sich längst von der Kochinsel emanzipiert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.