Der Stabilitätspakt und Österreichs Sparpaket

Vor dem Hintergrund der neuen Kontrollmöglichkeiten der EU-Kommission über alle Teilsektoren des Staates ist das Verhalten der Spieler im österreichischen politischen Prozess eigentlich ziemlich verwunderlich.

Die im „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschaft und seinen Begleitmaßnahmen in der Wirtschafts- und Währungsunion“ – ja so heißt das Ungetüm – und in seinen zusätzlichen Regeln enthaltenen Bestimmungen vermögen die Souveränität des österreichischen Staates schwer zu beeinträchtigen.

Der EU-Vertrag sah schon bisher eine Regelung vor, wie im Falle von übermäßigen Defiziten vorzugehen ist; das Verfahren war zahnlos mangels politischen Anwendungswillens. Die Finanzierungsprobleme einzelner Mitgliedstaaten haben die Existenz der Gemeinschaft insgesamt infrage gestellt und folglich zu harten Maßnahmen geführt, die den Kapitalmärkten wieder Sicherheit um ihr eingesetztes Kapital geben sollten.

Eine neue Erfahrung

Mit dem notwendigen Schuldenschnitt in Griechenland stand das Vertrauen in Staatsanleihen auf dem Spiel. Die Erklärungen, wie hoch sich ein Staat verschulden kann, sind nun Geschichte. Staaten können sich nur so hoch verschulden, wie andere im Glauben auf die Bedienbarkeit der Schulden bereit sind, Geld zu leihen.

Die Geldleiher agieren derzeit beinahe mit dem Risikoansatz eines Bausparfinanzierers. Für viele in der Politik schien das offenbar eine neue Erfahrung zu sein. Darum sind Äußerungen, dass Märkte oder Agenturen an allem schuld wären, verzeihlich.

Der Vertrag ist im Zusammenhang mit dem ESM (dem Europäischen Stabiltitätsmechanismus) zu sehen. In dem wird bestimmt, dass innerhalb einer durch die Kommission festgelegten Frist der gesamtstaatliche Haushalt ausgeglichen zu sein hat. Das heißt, dass ohne Einrechnung von Sondermaßnahmen, also der Regelhaushalt, ein Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen darf.

Die Einhaltung der Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin sollte vorzugsweise durch eine Verfassungsnorm in den jeweiligen Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Die Bestimmungen betreffen den gesamten Sektor Staat, also neben dem Bund auch die Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände, SV-Träger und Kammern. Folglich sind alle Teilsektoren des Staates auch Teil der Überprüfungsmechanismen durch die Kommission.

In einer Verordnung, die vom Rat zu beschließen ist und daher ohne Mitwirkung der nationalen Parlamente unmittelbar gelten wird, wird festgelegt, dass der Kommission eine mittelfristige Finanzplanung und die Haushaltsentwürfe aller Teilsektoren des Staates vorzulegen sind.

Das heißt nichts anderes, als dass die Kontrolle der Kommission über die Teilsektoren Österreichs stärker ist, als dies die Verfassung dem Bund zugesteht.

Massive Kontrollmaßnahmen

Die Kommission erstellt einen mit den Mitgliedstaaten harmonisierten Rahmen für die Vorgaben über die gesamtstaatliche Haushaltsplanung, also für alle Sektoren. Im Falle eines übermäßigen Defizits kommt es zu massiven Kontrollmaßnahmen einschließlich der Erlassung eines „Wirtschaftspartnerprogramms“, in dem die Strukturreformen festgelegt werden. Wird ein Staat durch den EFSF, den ESM oder IWF finanziert, so werden in einer weiteren Verordnung die Überwachungsmechanismen sowie die Koordination der Maßnahmen festgelegt.

Hat Parlament geschlafen?

Alle diese Rechte der Gemeinschaft vermögen das zentrale Merkmal der Souveränität eines Staates, wie das selbstständige Bestimmen über die Einnahmen und Ausgaben (© deutscher Bundesverfassungsgerichtshof), zu beseitigen. Vor diesem Hintergrund, der eigentlich dramatisch ist, sind das österreichische Sparpaket und das Verhalten der Spieler im österreichischen politischen Prozess mit einiger Verwunderung zu werten.

Zuerst das Parlament: Bei der Vorbereitung der sich anbahnenden gemeinschaftsrechtlichen Verschärfungen hätte schon längst erkannt werden müssen, was droht, weil alle vorbereitenden Rechtsakte der Kommission gleichzeitig mit ihrer Weiterleitung an den Rat an die nationalen Parlamente übersandt werden.

Das Parlament, vor allem aber die Opposition, hätte im Rahmen des Überprüfungsverfahrens, ob eine Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes vorliegt, entsprechende Stellungnahmen unterbreiten können. Die haben das aber nicht gemacht, obwohl die Kernkompetenz des Parlaments, nämlich den Haushalt allein zu beschließen, eingeschränkt werden wird.

Anstatt dauernd Sondersitzungen einzuberufen, hätten die Abgeordneten nur lesen müssen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen sollen. Im Nachhinein dann den Untergang der Republik zu beschwören vermag das Versäumnis nicht mehr zu beseitigen.

Länder und die Kammern, deren Repräsentanten zuhauf in Brüssel herumhocken, haben im selben Ausmaß alles verschlafen, obwohl sie unmittelbar betroffen sind. Die Regierung war unter diesen Umständen gezwungen, ein Sparpaket mit mehr Substanz als üblich vorzulegen. Bei den Ausgaben ist augenscheinlich, dass erstmalig der öffentliche Dienst fast duldsam substanzielle Einschränkungen hingenommen hat, genauso wie die Pensionisten.

Strukturmaßnahmen fehlen

Auf der Einnahmenseite ist die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei Immobilien nur eine logische Folge dessen, was für Kapitalvermögen schon gilt. Die Änderungen im Bereich der Umsatzsteuer sind nur eine Anpassung an europäische Standards, auch wenn das Vertreter der Gemeinden und gemeinnütziger Wohnbaueinrichtungen nicht so sehen. Bemühungen wie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sind zwar keine Luftposten, verdienen jedoch keinen hohen Wetteinsatz.

Ausreichen aber werden alle diese Maßnahmen nicht. Es fehlt an substanziellen Strukturmaßnahmen, aber auch an ausreichend vermögensabhängigen Abgaben. Es muss eine Gesundheitsreform kommen, die bewirkt, dass die Spitäler zum Bund wandern. Die Länder können sich nicht abstimmen, sonst wäre es nicht möglich, dass an den Bundesländergrenzen Akutfälle solange dem Krankentransport überlassen bleiben, bis es zum Kassenwechsel – also von der Krankenkasse zur Sterbekasse – kommt.

Die Länder sollten vielmehr die Leistungsverwaltung übernehmen, dann könnten sogar alle Sozialversicherungsträger aufgegeben werden. Die Sozialpartnereinrichtungen, die Kammern, sind mit rund zwei Milliarden Kosten viel zu teuer. Die vermögensabhängigen Abgaben sind vor allem im Bereich Grundsteuer viel zu niedrig, wenn man Österreich mit 590 Millionen Euro mit den vier Milliarden in Belgien vergleicht.

Es ist auch über eine vernünftige Erbschaftssteuer zu diskutieren, aber nicht über eine Vermögensteuer, weil diese wirklich die Vermögenden vertreibt. Das kann dann jeder, der dies nicht glaubt, bei François Hollande erfragen.

Zum Autor


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Gottfried Schellmann ist Steuerberater und hat die Interessen der österreichischen Wirtschaftstreuhänder von 1996 bis 2008 in Brüssel vertreten. Seit 2009 ist er Vorsitzender des Steuerausschusses der Confédération Fiscale Européenne. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2012)

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